FAQs: Migräne kompakt

25.11.2022 | Medizin

Die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen rund um das Thema „Migräne“ bie­tet fol­gende Übersicht.

Deut­lich mehr als eine Mil­lion Men­schen … in Öster­reich ist von Migräne betrof­fen. Beginn meist in der Puber­tät; aus­ge­präg­ter Zusam­men­hang mit der Men­ar­che. Der Häu­fig­keits­gip­fel liegt zwi­schen dem 20. und 40. Lebens­jahr; hier sind Frauen mehr als drei­mal so oft betrof­fen wie Män­ner. Zur Reduk­tion der Häu­fig­keit kommt es oft erst im höhe­ren Alter.

Patho­phy­sio­lo­gisch … spielt das tri­ge­mi­no­vas­ku­läre Sys­tem eine bedeu­tende Rolle. Es kommt zur Funk­ti­ons­stö­rung zwi­schen Hirn­stamm, Tha­la­mus und kor­ti­ka­len schmerz­ver­ar­bei­ten­den Struk­tu­ren. Somit wird das Vor­ur­teil, Migräne sei „nur psy­cho­gen“ bedingt, ent­kräf­tet. Wäh­rend einer Atta­cke wer­den neu­ro­in­flamm­a­to­ri­sche Sub­stan­zen frei­ge­setzt; allen voran Cal­ci­to­nin Gene­Related Pep­tide (CGRP). Die­ses hat vor allem durch mono­klon­ale Anti­kör­per für die Pro­phy­laxe große Bedeu­tung erlangt.

Zwei Haupt­ty­pen … unter­schei­det man kli­nisch: die Migräne mit und jene ohne Aura. Wei­ters unter­schei­det man zwi­schen epi­so­discher Migräne mit weni­ger als 15 Kopf­schmerz­ta­gen pro Monat; bei Über­schrei­ten von chro­ni­scher Migräne, wovon min­des­tens acht Tage die Merk­male eines Migrä­ne­kopf­schmer­zes auf­wei­sen müssen.

Die Migräne ohne Aura … ist gekenn­zeich­net durch hef­tige Schmerz­at­ta­cken, die unbe­han­delt vier bis 72 Stun­den andau­ern. Bei Kin­dern und Jugend­li­chen kann die Atta­cke schon nach zwei Stun­den ohne The­ra­pie enden.

Das domi­nante Sym­ptom … der Migräne ohne Aura sind meist ein­sei­tig loka­li­sierte, pul­sie­rende Kopf­schmer­zen von mit­tel­star­ker bis star­ker Inten­si­tät. Sie sind sehr häu­fig von Übel­keit und/​oder Erbre­chen, Licht­ und Lärm­emp­find­lich­keit sowie dem Bedürf­nis nach Rück­zug beglei­tet. Die Beschwer­den wer­den unter kör­per­li­cher Belas­tung heftiger.

Typisch für die Migräne mit Aura … ist die neu­ro­lo­gi­sche Aus­falls­sym­pto­ma­tik, die meist vor den Kopf­schmer­zen beginnt. Die Aura brei­tet sich in zeit­li­cher Abfolge aus und dau­ert in der Regel zwi­schen fünf und 60 Minu­ten. Meis­tens liegt eine visu­elle Aura in Form von Licht­blit­zen, Sko­to­men oder For­ti­fi­ka­ti­ons­spek­tren („Zick­Zack“­Linien) vor, was für den Betrof­fe­nen unan­ge­nehm, jedoch nicht gefähr­lich ist. In man­chen Fäl­len kommt es zu Auren ohne Kopf­schmer­zen („iso­lierte AuraSymptomatik“).

In den Tagen vor dem Kopf­schmerz … berich­ten 30 Pro­zent der Pati­en­ten von Pro­dromi wie Müdig­keit, Kon­zen­tra­ti­ons­schwie­rig­kei­ten, Nacken­stei­fig­keit und Heiß­hun­ger. Beson­ders das „food cra­ving“ vor den Atta­cken hat fälsch­li­cher­weise dazu geführt, dass viele Lebens­mit­tel für die Atta­cke ver­ant­wort­lich gemacht wurden.

Nicht-medi­ka­men­töse The­ra­pie­ver­fah­ren … haben das Ziel, den Stress zu redu­zie­ren. Sie soll­ten bei allen Betrof­fe­nen unter Berück­sich­ti­gung der per­sön­li­chen Lebens­um­stände ange­wen­det wer­den. Zu den The­ra­pie­ver­fah­ren mit wis­sen­schaft­li­cher Evi­denz zäh­len pro­gres­sive Mus­kel­re­la­xa­tion nach Jacob­son (PMR), Biofeedback­Training, kogni­tive Ver­hal­tens­the­ra­pie und regel­mä­ßi­ger Aus­dau­er­sport (Richt­wert: drei­mal 30 Minu­ten pro Woche). Zwar ist die Wirk­sam­keit von Aku­punk­tur bestä­tigt; die Über­le­gen­heit von klas­si­scher TCM­Akupunktur gegen­über Placebo­Akupunktur jedoch nur minimal.

Gold­stan­dard in der Behand­lung … ist die Akut­the­ra­pie mit Analge­tika bezie­hungs­weise nicht­steroidalen Anti­rheu­ma­tika (NSAR) sowie mit Trip­ta­nen. Bei NSAR gibt es die beste Evi­denz für Ibu­profen und Ace­tyl­sa­li­cyl­säure. Bei Kon­tra­in­di­ka­tio­nen sind Par­acet­amol und Met­ami­zol Alternativen.

Trip­tane … sind vor allem bei Pati­en­ten mit mit­tel­schwe­ren und schwe­ren Migrä­ne­at­ta­cken die The­ra­pie der Wahl. Glei­ches gilt, wenn mit NSAR keine adäquate Schmerz­lin­de­rung zu errei­chen ist. Trip­tane soll­ten bei einer Migrä­ne­at­ta­cke so früh wie mög­lich ein­ge­nom­men wer­den. Sie sind prin­zi­pi­ell neben­wir­kungs­arm. Bei Pati­en­ten mit schwe­ren kar­dio­vas­ku­lä­ren Vor­er­kran­kun­gen wie St.p. Insult, TIA, pAVK oder schwe­rer KHK besteht auf­grund der Mög­lich­keit einer vaso­konstrik­to­ri­schen Wir­kung eine Kontraindikation.

In der Schwan­ger­schaft … sind Trip­tane nicht zuge­las­sen. Im ers­ten und zwei­ten Tri­me­non wer­den bei Atta­cken Ibu­profen oder ASS emp­foh­len. Im drit­ten Tri­me­non wird Par­acet­amol empfohlen.

Im Kin­des- und Jugend­al­ter … sind Ibu­profen (Dosie­rung: 10mg/​kg KG) oder Ace­tyl­sa­li­cyl­säure 500mg (cave: Reye­Syndrom) Mit­tel der ers­ten Wahl; Par­acet­amol (Dosie­rung: 15mg/​kg KG) Mit­tel der zwei­ten Wahl. Bei Therapie­refraktären Atta­cken kön­nen ab dem zwölf­ten Lebens­jahr Suma­trip­tan oder Zol­mit­rip­tan ein­ge­setzt wer­den. Bei leich­ten oder sel­te­nen Atta­cken wer­den nicht­medikamentöse reiz­ab­schir­mende Maß­nah­men emp­foh­len: Ruhe, Nie­der­le­gen in einem abge­dun­kel­ten Raum und küh­lende Umschläge auf der Stirn.

Ein Fall­strick in der Akut­the­ra­pie … ist das Krank­heits­bild des Medication­Overuse­Headache (MOH): chro­ni­scher Kopf­schmerz an ≥ 15 Tagen/​Monat für min­des­tens drei Monate. Gefähr­det sind Pati­en­ten, die NSAR an mehr als 15 Tagen oder Trip­tane und/​oder Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­rate an mehr als zehn Tagen pro Monat ein­neh­men. Risi­ko­fak­to­ren sind unter ande­rem das weib­li­che Geschlecht, psych­ia­tri­sche Vor­er­kran­kun­gen wie Depres­sio­nen oder Angst­zu­stände, Stress sowie unzu­rei­chende kör­per­li­che Betätigung.

Durch die dyna­mi­sche Natur … der Migräne kommt es bei einem beträcht­li­chen Teil der Pati­en­ten zu einer Exazer­ba­tion (Häu­fung der Atta­cken, Ver­stär­kung der Schmerz­in­ten­si­tät und/​oder Wirk­ver­lust der Akut­me­di­ka­tion). Rund 38 Pro­zent der Betrof­fe­nen qua­li­fi­zie­ren sich für eine pro­phy­lak­ti­sche The­ra­pie – abhän­gig von der Atta­cken­häu­fig­keit und dem indi­vi­du­el­len Leidensdruck.

Als Hil­fe­stel­lung zur Eva­lua­tion die­nen die „6 A“:

  • Atta­cken­fre­quenz: ≥ drei Migrä­ne­at­ta­cken oder ≥ acht Kopf­schmerz­tage, an denen die Lebens­qua­li­tät der Pati­en­ten ein­ge­schränkt ist.
  • Atta­cken­dauer: über 72 Stun­den anhal­tende Kopf­schmer­zen trotz adäqua­ter Akuttherapie.
  • Akut­the­ra­pie: Pati­en­ten, bei denen Akut­the­ra­pien inef­fi­zi­ent, unver­träg­lich oder kon­tra­in­di­ziert sind.
  • Analge­tika: bei Über­ge­brauch von Analge­tika oder begin­nen­dem MOH.
  • Aty­pi­sche Migräne: kom­pli­zierte Atta­cken mit pro­lon­gier­ter und beein­träch­ti­gen­der Aura sowie Migräne­Subtypen wie hemi­ple­gi­sche Migräne, Basilaris­Migräne, oder migränö­ser Infarkt.
  • Anlie­gen: auf Wunsch der Patienten.

In der prä­ven­ti­ven The­ra­pie … haben sich mit guter Evi­denz Beta­Blocker, Topi­ra­mat, Flu­na­ri­zin, Amit­ri­pty­lin sowie Onabotulinum­Toxin Typ A eta­bliert. Weit­rei­chende Neben­wir­kungs­pro­file sind zu beach­ten. Als erfolg­rei­che Pro­phy­laxe defi­niert man die mitt­lere Reduk­tion der Migrä­ne­at­ta­cken oder Migrä­ne­tage um min­des­tens 50 Pro­zent vom Ausgangswert.

Mono­klon­ale Anti­kör­per … gegen das Neu­ro­pep­tid Cal­ci­to­nin Gene­Related Pep­tide stel­len eine gute Alter­na­tive bei the­ra­pie­re­frak­tä­ren Pati­en­ten dar. Mono­klon­ale Anti­kör­per zeich­nen sich durch eine nach­ge­wie­sene Wirk­sam­keit, einen raschen Wir­kungs­ein­tritt und eine gute Ver­träg­lich­keit bei gerin­ger Neben­wir­kungs­rate aus.
(MaS)

Quelle: State of the Art „Migräne“ von Assoz. Prof. Priv. Doz. Gre­gor Bröss­ner et al., ÖÄZ 9/​10. Mai 2021

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2022