COVID-19-Therapie: Medikamente als Sicherheitsnetz

25.02.2022 | Coronavirus, Medizin

Erkranken Menschen mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf an COVID-19, stehen derzeit in Österreich zwei orale virustatische Medikamente sowie ein parenteral zu verabreichender monoklonaler Antikörper zur Verfügung. Diese Medikamente können ein zweites Sicherheitsnetz sein, sind jedoch kein Ersatz für eine Impfung, wie Experten betonen.

Sophie Fessl

Die virustatischen Substanzen haben besonders viel Aufmerksamkeit erhalten, da sie in Kapselform eingenommen werden können und Patienten daher für diese Behandlung nicht in ein Krankenhaus müssen“, erläutert Univ. Prof. Horst Olschewski von der Klinischen Abteilung für Lungenkrankheiten am Universitätsklinikum Graz. Beide Substanzen, Lagevrio® (Wirkstoff Molnupiravir) und Paxlovid® (Wirkstoffkombination Nirmatrelvir/Ritonavir) nehmen Einfluss auf die Vermehrungsfähigkeit des Virus. „Nach der Einnahme kann das Virus nicht mehr so gut replizieren, so dass der Körper eine große Chance hat das Virus zu besiegen – so zumindest die Theorie. In der Praxis geben die Studien klare Hinweise darauf, dass es tatsächlich möglich ist, einen schweren Verlauf der Erkrankung unwahrscheinlicher zu machen.“

Wirkstoff ist Prodrug

Molnupiravir inhibiert die Vermehrung von SARS-CoV-2 durch letale Mutagenese, indem es Fehler in das virale Genom einführt. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein Prodrug, um die veresterte Form des Ribonukleosid-Analogon β-D-N4-Hydroxycytidin (NHC). Nach Spaltung des Esters wird NHC in die Zellen aufgenommen und in seine aktive Form NHC-Triphosphat (NHC-TP) umgewandelt. Dieses Ribonukleotid-Analogon wird in die virale RNA eingebaut, wo es Kopierfehler induziert: Die virale RNA-dependent RNA polymerase (RdRp) verwendet NHC-TP als Substrat anstelle von Cytidintriphosphat oder Uridintriphosphat. NHC kann im Gegensatz zu Cytidin nicht nur eine Basenpaarung mit Guanin (A) sondern auch mit Adenin (A) ausbilden. Somit führt der Einbau von NHC-TP zu Mutationen von G zu A und es entstehen mutierte RNA-Produkte. „Molnupiravir wirkt also über letale Mutagenese, denn das Virus akkumuliert rasch viele Mutationen“, erklärt Univ. Prof. Michael Freissmuth vom Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien.

Lagevrio® erhielt im Dezember 2021 die Notfallzulassung (Emergency Use Authorization) der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. Die Entscheidung der EMA über eine Zulassungsempfehlung in Europa wird für das erste Quartal 2022 erwartet. Derzeit steht dieses Präparat über ein „Compassionate Use Programm“ in Österreich zur Verfügung. „Momentan haben wir die meiste Information über das Produkt aus den Studien, die für die Zulassung durchgeführt wurden“, betont Univ. Prof. Bernd Lamprecht von der Universitätsklinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie des Kepler Universitätsklinikums in Linz.

Im Rahmen der MOVe-OUT-Studie wurden 710 Patienten mit Molnupiravir und 701 mit Placebo behandelt. Die Personen waren über 18 Jahre alt und wiesen mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf auf. Dazu zählten Alter über 60 Jahre, Adipositas, Diabetes mellitus oder eine chronische Herz-, Nieren- oder Lungenerkrankung. Die Studienteilnehmer waren zum Zeitpunkt der Studie nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft und wurden 1:1 auf Wirkstoff beziehungsweise Placebo randomisiert. Eine Behandlung erfolgte innerhalb von fünf Tagen ab Symptombeginn bei milden bis moderaten Symptomen mit einer durch das Labor bestätigten COVID-19-Erkrankung.

In der Intention-to-treat-Population war das Risiko für Hospitalisierung oder Tod innerhalb der ersten 29 Tage nach Diagnose bei Studienteilnehmern, die Molnupiravir erhielten, um 30 Prozent reduziert. 6,8 Prozent der Patienten im Molnupiravir-Arm wurden hospitalisiert beziehungsweise starben, während im Kontrollarm 9,7 Prozent hospitalisiert wurden oder starben. Die Mortalitätsrate wurde unter Molnupiravir um 89 Prozent gesenkt: Während neun Patienten (1,3 Prozent) im Placebo-Arm innerhalb von 29 Tagen starben, starb ein Patient (0,1 Prozent) im Molnupiravir-Arm. „Das würde ich als einen eindeutigen Effekt einschätzen. Die COVID-19-Todesrate innerhalb der ersten 29 Tage nach Diagnose wurde eindrücklich gesenkt“, ordnet Freissmuth die Studienergebnisse ein.

Aus der MOVe-OUT-Studie liegen auch Informationen über Verträglichkeit und Nebenwirkungen vor. „In dieser Studie wurden für Molnupiravir sogar weniger Nebenwirkungen berichtet als in der Placebo-Gruppe“, erklärt Lamprecht. Die relevantesten Nebenwirkungen, über die im Untersuchungszeitraum berichtet wurden, waren Durchfall bei zwei Prozent, Übelkeit bei einem Prozent sowie Schwindel bei ebenfalls einem Prozent der Patienten.

Geringes Interaktionspotential

Der Wirkstoff wird in den Zellen zu Uridin verstoffwechselt, einem normalen intermediären Metabolit, erläutert Freissmuth. „Daher gibt es wenig Interaktionspotential mit anderen Wirkstoffen. Da nur ein kleiner Teil renal ausgeschieden wird, ist keine Dosisanpassung bei Patienten mit einer Nierenschädigung mit einer glomerulären Filtrationsration über 30 ml/Minute notwendig.“ Da Patienten mit einer niedrigeren Filtrationsrate nicht in die Studie eingeschlossen wurden, liegen für diese keine Daten vor. „Allerdings ist nicht zu erwarten, dass hier eine Dosisanpassung notwendig wäre.“ Weiters ist keine Anpassung bei eingeschränkter Leberfunktion oder bei geriatrischen Patienten notwendig.

Für die Schwangerschaft gibt es keine Therapieempfehlung für Molnupiravir. „Da davon auszugehen ist, dass die Substanz a priori auch mutagen sein kann, ist ihre Anwendung in der Schwangerschaft verboten“, betont Freissmuth. „Allerdings gibt es keine Hinweise, dass in der kurzen Anwendungsdauer von fünf Tagen ein mutagenes Risiko eingeführt wird.“ Auch Lamprecht weist daraufhin, dass eine Schwangerschaft vor der Anwendung ausgeschlossen werden muss. „Außerdem sollte dafür Sorge getragen werden, dass es im Anschluss an eine Anwendung nicht gleich zu einer Schwangerschaft kommt. Diese Vorsicht ist durchaus für beide Geschlechter geboten, auch wenn hierzu noch keine detaillierten Informationen vorliegen.“

Da Molnupiravir das Wachstum von Knochen und Knorpel beeinflussen könnte, ist es nur für die Behandlung von Erwachsenen über 18 Jahren einsetzbar. Auf Basis der Studiendaten und limitierten Erfahrungen sind derzeit keine weiteren Kontraindikationen bekannt. Die Indikation für eine Behandlung besteht daher bei Erwachsenen über 18 Jahren mit einer COVID-19-Erkrankung, die noch nicht hospitalisiert sind und ein erhöhtes Risiko für einen Übergang in eine schwere Erkrankung haben.

Die Einnahme von Molnupiravir erfolgt über fünf Tage unabhängig von den Mahlzeiten. Um die notwendige Dosis von 800 mg morgens und 800 mg abends zu erreichen, müssen morgens und abends je vier Tabletten zu 200 mg eingenommen werden. Die Einnahme sollte möglichst innerhalb des Zeitfensters von fünf Tagen ab Symptombeginn erfolgen.

Paxlovid®, eine orale COVID-19-Therapie mit den Wirkstoffen Nirmatrelvir/Ritonavir, erhielt am 28.1.2022 eine Conditional Marketing Authorisation in der EU. In den USA erteilte die FDA im Dezember 2021 eine Notfallzulassung (Emergency Use Authorization). Die Daten der zulassungsrelevanten EPIC-HR-Studie waren zu Redaktionsschluss (7.2.) noch nicht in einem wissenschaftlichen Fachjournal veröffentlicht.

Paxlovid® enthält zwei Substanzen, Nirmatrelvir und Ritonavir. Nirmatrelvir hemmt die 3-Chymotrypsin-like Protease (3C-L Protease) von SARS-CoV-2. Coronavirus-Proteasen prozessieren und spalten mehrere Stellen im viralen Polyprotein. Durch die Hemmung der 3C-L Protease können die Virusbausteine nicht mehr produziert und somit keine neuen infektiösen Partikel gebildet werden. Der Wirkstoff Ritonavir inhibiert Cytochrom P450-abhängige Monooxygenase-3A4 (CYP3A4) und CYP2D6 und hemmt somit den Abbau von Nirmatrelvir, sodass eine höhere Plasmakonzentration von Nirmatrelvir erzielt wird. „Da Nirmatrelvir durch den First-Pass-Effekt entfernt wird, würde sonst kein ausreichender Spiegel erreicht werden“, erläutert Freissmuth. Nirmatrelvir hemmt die Protease der Omikron-Variante im gleichen Ausmaß wie die Protease anderer Varianten.

Die EPIC-HR-Studie schloss laut den Angaben des Herstellers 1.392 Patienten ein: 697 erhielten Nirmatrelvir/Ritonavir und 682 ein Placebo. Das relative Risiko für eine Hospitalisierung oder Tod (kombinierter Endpunkt) bei nicht-hospitalisierten Hochrisiko-Patienten konnte mit Nirmatrelvir/Ritonavir um 89 Prozent reduziert werden. In der Gruppe, die den Wirkstoff erhielt, wurden fünf Patienten (0,7 Prozent) innerhalb der ersten 28 Tage ab Symptombeginn hospitalisiert; kein Patient verstarb. Im Placebo-Arm hingegen wurden 44 Patienten (6,5 Prozent) hospitalisiert; neun verstarben in weiterer Folge.

Auch in die EPIC-HR-Studie wurden Erwachsene mit nachgewiesener COVID-19-Erkrankung eingeschlossen, die noch keinen Sauerstoffbedarf aber ein erhöhtes Risiko für einen Übergang in eine schwere Erkrankung hatten. Auch hier sollte der Therapiebeginn möglichst innerhalb von fünf Tagen ab Symptombeginn erfolgen. „Die Kollektive sind schwer zu vergleichen, aber die Effektgröße war mit Nirmatrelvir/Ritonavir deutlicher mit einer Risikoreduktion um fast 90 Prozent, während Molnupiravir eine Risiko reduktion von 30 Prozent erzielte“, fasst Freissmuth zusammen.

Das bisher bekannte Nebenwirkungsprofil ist „prinzipiell günstig“, erklärt Lamprecht. Durchfall trat bei vier Prozent der behandelten Patienten auf; eine vorübergehende Veränderung des Geschmackssinns bei fünf Prozent. Weiters wurden ein Ansteigen des Blutdrucks und Muskelschmerzen beobachtet. Auch Paxlovid® ist nur für die Anwendung bei Erwachsenen gedacht; für Schwangerschaft und Stillzeit gibt es ebenfalls keine Empfehlung.

Nirmatrelvir habe laut Freissmuth kein mutagenes Potential. Da allerdings Ritonavir CYP3A4 (und CYP2D6) hemmt, ist mit vielen Medikamenten-Interaktionen zu rechnen. „Bei Einnahme dieses Wirkstoffs muss damit gerechnet werden, dass sich der Wirkspiegel anderer Substanzen verändert und unter Umständen in Folge unerwünschte Ereignisse auftreten“, erklärt Olschewski. Und weiter: „Bei Molnupiravir ist dies nicht der Fall, was als Vorteil dieser Substanz angesehen werden kann.“

Problematisch: Interaktionen

Potentielle Interaktionen mit Medikamenten oder Substanzen, die ebenfalls über CYP3A4 abgebaut werden, betreffen bestimmte Lipidsenker, Anti-Arhythmika, Analgetika, Antipsychotika und Neuroleptika, aber auch Beruhigungs- und Schlafmittel. „Gerade im Alter beziehungsweise mit bestimmten Komorbiditäten sind solche Therapien durchaus wahrscheinlich. Die Konzentration solcher Präparate oder die Konzentration von Paxlovid können durch die Kombination gefährlich erhöht werden“, berichtet Lamprecht. „Allerdings sind nur bestimmte Substanzen betroffen, nicht die gesamten Wirkstoffgruppen. Daher müssen potentielle Interaktionen vor Therapiestart im Einzelfall entsprechend berücksichtigt werden.“ Außerdem seien eine schwere Nierenschädigung sowie eine schwere Leberschädigung Kontraindikationen für den Einsatz von Paxlovid® beziehungsweise müsse die Dosis entsprechend angepasst werden, so Lamprecht.

Die Einnahme von Paxlovid® erfolgt ebenfalls über fünf Tage. 300 mg Nirmatrelvir (in zwei Tabletten zu je 150 mg) und 100 mg Ritonavir (eine Tablette zu 100 mg) werden alle zwölf Stunden eingenommen unabhängig von den Mahlzeiten. Auch hier sollte die Einnahme möglichst rasch nach Diagnosestellung innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn erfolgen.

Olschewski weist darauf hin, dass nur ungeimpfte Personen in die Studien eingeschlossen wurden. „Prinzipiell gelten diese Aussagen für das Kollektiv der frisch Infizierten, die noch nicht geimpft oder genesen waren. Der Benefit für geimpfte Personen ist noch nicht bekannt.“ Personen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf sollten für die Behandlung priorisiert werden, betont Olschewski. „Wenn jemand einen Risikofaktor wie Diabetes mellitus oder eine vorher bestehende Erkrankung an Herz, Lunge, Niere oder Leber aufweist oder eine Organtransplantation hinter sich hat, würde man diesen in den Kreis der Patienten zählen, die von einer solchen prophylaktischen Therapie besonders profitieren können.“ Gleichzeitig bedeutet das Vorhandensein dieser Medikamente nicht, dass eine Impfung weniger wichtig wird, erklärt Lamprecht. „Die Medikamente sind kein Ersatz für eine vorbeugende Maßnahme wie die Impfung. Sie können aber ein wertvolles zweites Sicherheitsnetz sein, gerade wenn Menschen eine Infektion erleiden, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben.“

Therapie mit monoklonalen Antikörpern

Als weitere Behandlungsoption für Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf stehen vor einer Hospitalisierung auch monoklonale Antikörper gegen das Spikeprotein zur Verfügung. „Die Antikörper verhindern eine Bindung des Spikeproteins an die Zelle und neutralisieren das Spikeprotein“, erläutert Freissmuth. „Allerdings sind alle Varianten Fluchtmutanten in Bezug auf diese Antikörper.“ Von den in Österreich leicht erhältlichen monoklonalen Antikörpern gibt es derzeit nur für Sotro-vimab Daten, dass dieses auch die Omikron-Variante neutralisiert.

Da die Magensäure die Antikörper zerstört, müssen diese parenteral zugeführt werden. Außer einer nachgewiesenen Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe der Präparate sind keine Kontraindikationen gegeben. Es treten keine Leber- oder Nierenschädigungen auf und es sind keine Interaktionen mit anderen Substanzen bekannt. In der Schwangerschaft besteht keine klare Empfehlung zur Anwendung; es gilt, das individuelle Risiko-Nutzen-Verhältnis abzuwägen. Monoklonale Antikörper werden einmalig in einer rund 30-minütigen Infusion verabreicht mit einer anschließenden Nachbeobachtungsphase. Auch monoklonale Antikörper müssen in der Anfangsphase der Infektion eingesetzt werden, um das Virus zu blockieren. „Sobald es zu einer massenhaften Vermehrung kommt und Folgekomplikationen auftreten, ist es zu spät für diese Therapie“, betont Lamprecht.

Während eine präventive Gabe von Virostatika nicht sinnvoll ist, könne eine prophylaktische Antikörpertherapie bei bestimmten Patientengruppen denkbar sein, erläutert Lamprecht. „Einerseits wäre bei Hochrisiko-Patienten eine Post-Expositionsprophylaxe möglich, andererseits könnte bei Menschen unter immunsuppressiver Therapie, die aus einer Impfung keine perfekte Immunantwort erhalten können, eine prophylaktische Therapie durchaus möglich sein.“ Derzeit seien Produkte mit einer längeren Halbwertszeit in Entwicklung, die einen länger andauernden Schutz bieten könnten.

Für eine generelle Behandlung von Nicht-Risikopatienten ist eine Antikörper-Therapie allerdings nicht sinnvoll, betont Olschewski. „Die genauen Kosten sind nicht bekannt, aber der Impfstoff ist billiger. Eine mögliche Behandlung mit Sotrovimab im Fall einer Infektion ist keine gute Ausrede, um sich nicht impfen zu lassen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 04 / 25.02.2022