Com­pli­ance & Adhä­renz: Das Wie und das Wann

26.10.2022 | Medizin

Die Adhä­renz hat mitt­ler­weile das Kon­zept der Com­pli­ance abge­löst. Um sie – auch lang­fris­tig – zu gewähr­leis­ten, gibt es zahl­rei­che Stra­te­gien: vom Auf­bau einer guten Arzt-Pati­en­ten-Bezie­hung bis hin zu einer für den Pati­en­ten mög­lichst ein­fa­chen und beque­men Medikamenteneinnahme.

The­ra­pie­ad­hä­renz ist aus kar­dio­lo­gi­scher Sicht des­halb wich­tig, weil wir bei Herz­pa­ti­en­ten durch eine regel­mä­ßige Ein­nahme von Herz-Kreis­lauf-sta­bi­li­sie­ren­den Medi­ka­men­ten das Risiko einer Ver­schlech­te­rung der Erkran­kung stark redu­zie­ren kön­nen“, berich­tet Priv. Doz. Chris­toph Bren­ner von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III, Kar­dio­lo­gie und Angio­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Auch bei der Behand­lung von Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus habe die Adhä­renz, das Ein­hal­ten von gemein­sam ver­ein­bar­ten The­ra­pie­zie­len, einen hohen Stel­len­wert, erklärt Assoc. Prof. Yvonne Win­ho­fer-Stöckl von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Endo­kri­no­lo­gie und Stoff­wech­sel der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III am AKH Wien. „Stu­dien zei­gen, dass bei guter Adhä­renz das Risiko für Spät­kom­pli­ka­tio­nen und auch die Mor­ta­li­tät signi­fi­kant gesenkt wer­den können.“

Adhä­renz habe laut Win­ho­fer-Stöckl mitt­ler­weile das Kon­zept der Com­pli­ance abge­löst: Wäh­rend Com­pli­ance das ein­sei­tige Befol­gen der Vor­ga­ben durch den Pati­en­ten beschreibt, so steht bei Adhä­renz der gemein­same Beschluss der The­ra­pie im Mit­tel­punkt. „Das kann nicht nur die medi­ka­men­töse The­ra­pie umfas­sen, son­dern auch Lebens­stil­mo­di­fi­ka­tio­nen, wenn diese als gemein­sa­mes The­ra­pie­ziel erar­bei­tet wur­den.“ Ziel die­ses Pati­en­ten-zen­trier­ten Manage­ments sei es, Kom­pli­ka­tio­nen zu ver­mei­den und die Lebens­qua­li­tät zu opti­mie­ren. Nach einem Myo­kard­in­farkt kann bei­spiels­weise das Risiko für eine Ver­schlech­te­rung der Erkran­kung oder einen Re-Infarkt um etwa 75 Pro­zent gesenkt wer­den, wenn Pati­en­ten lang­fris­tig und dau­er­haft mit kar­dio­pro­tek­ti­ven Medi­ka­men­ten behan­delt wer­den, berich­tet Bren­ner. So nehme heut­zu­tage ein 65-Jäh­ri­ger im Schnitt dau­er­haft fünf ver­schie­dene Prä­pa­rate regel­mä­ßig ein. „Die Kehr­seite ist, dass die lang­fris­tige The­ra­pie­ad­hä­renz signi­fi­kant mit der Anzahl der ein­zu­neh­men­den Tablet­ten sinkt. Aber ein dau­er­haf­ter Erfolg kann nur erreicht wer­den, wenn die Adhä­renz über 80 Pro­zent beträgt.“

Ein Punkt, der bei der Behand­lung von Pati­en­ten mit kar­dio­vas­ku­lä­ren Erkran­kun­gen laut Bren­ner zu beach­ten sei, ist dass die meis­ten Medi­ka­mente zur Sekun­där­pro­phy­laxe die­nen. „Die Pati­en­ten spü­ren selbst nicht die Hyper­cho­le­ste­rin­ämie oder den erhöh­ten Blut­zu­cker. Erst Fol­ge­er­schei­nun­gen wie Herz­in­farkt oder Gefäß­ver­schlüsse berei­ten Beschwer­den. Daher ist es schwer, eine dau­er­hafte Adhä­renz zu erhal­ten.“ Außer­dem bleibt der Erfolg einer Sekun­där­pro­phy­laxe – ein nicht-erfolg­tes Ereig­nis – unbemerkt.

Um Adhä­renz zu ver­bes­sern, ver­weist Win­ho­fer-Stockl zunächst auf die fünf Dimen­sio­nen der Adhä­renz, die von der WHO in Bezug auf Adhä­renz defi­niert wur­den: sozio­öko­no­mi­sche, the­ra­pie­as­so­zi­ierte, pati­en­ten­as­so­zi­ierte, krank­heits­as­so­zi­ierte und mit dem Gesund­heits­sys­tem-asso­zi­ierte Fak­to­ren. Aus die­sen Fak-oren lasse sich ablei­ten, wie Adhä­renz ver­bes­sert wer­den könnte.

Bren­ner rät dazu, eine ver­trau­ens­volle Arzt-Pati­en­ten-Bezie­hung auf­zu­bauen und den Pati­en­ten umfas­send über die The­ra­pie auf­zu­klä­ren. „Der Pati­ent sollte genau wis­sen, wel­ches Medi­ka­ment für wel­che Wir­kung benö­tigt wird, warum es Sinn macht, das Medi­ka­ment dau­er­haft ein­zu­neh­men, und wel­che Pro­bleme dadurch ver­hin­dert wer­den kön­nen.“ Dabei soll­ten auch mög­li­che Neben­wir­kun­gen expli­zit ange­spro­chen werden.

Beson­ders bei chro­ni­schen Erkran­kun­gen, die eine Per­sis­tenz in der The­ra­pie benö­ti­gen, sei Distress eine wich­tige Kom­po­nente in Bezug auf man­gelnde Adhä­renz, betont Win­ho­fer-Stöckl. „Die emo­tio­nale, aber auch kogni­tive Über­for­de­rung des Pati­en­ten mit der The­ra­pie kann die Adhä­renz nega­tiv beein­flus­sen.“ Auch der Über­wa­chung bezie­hungs­weise Über­prü­fung der The­ra­pie kommt eine wich­tige Rolle zu. „Man­che The­ra­pien errei­chen nicht den glei­chen Erfolg im real World-Set­ting wie in ran­do­mi­sier­ten Stu­dien. Es hat sich gezeigt, dass sich bis zu 75 Pro­zent des Unter­schieds durch die Adhä­renz erklä­ren las­sen“, berich­tet Win­ho­fer-Stöckl im Hin­blick auf eine Stu­die zu moder­nen blut­zu­cker­sen­ken­den Sub­stan­zen. Ein Unter­schied zu kli­ni­schen Stu­dien sei, dass im rea­len Set­ting die Ein­nahme der Medi­ka­tion nicht über­prüft wird.

Sie rät, Ver­schrei­bun­gen als Indi­ka­tor her­an­zu­zie­hen, ob ein Medi­ka­ment regel­mä­ßig ein­ge­nom­men wird. Auch Bren­ner emp­fiehlt, die The­ra­pie­ein­nahme zu doku­men­tie­ren, etwa durch das Füh­ren eines Blut­druck­ta­ge­buchs vom Pati­en­ten oder die regel­mä­ßige Über­prü­fung der Labor­werte. Ver­mu­tet man man­gelnde Adhä­renz, sollte dies offen ange­spro­chen wer­den. „Wich­tig ist, dem Pati­en­ten gegen­über nicht in eine Vor­wurfs­hal­tung zu gehen“, betont Win­ho­fer-Stöckl. „Durch fai­res Fra­gen kann man ergrün­den, worin das Pro­blem liegt: Ob etwa nega­tive Erfah­run­gen mit der The­ra­pie gemacht wur­den oder ein belas­ten­des Lebens­er­eig­nis die Ein­nahme erschwert.“

Wei­ters soll­ten die zu Beginn gemein­sam ver­ein­bar­ten The­ra­pie­ziele regel­mä­ßig über­prüft wer­den. „Wenn ein Ziel wie etwa ein HbA1c-Wert nicht erreicht wird, muss genau nach­ge­fragt wer­den: War das Ziel rea­lis­tisch und ist das über­haupt die rich­tige The­ra­pie für mei­nen Pati­en­ten?“, berich­tet Win­ho­fer-Stöckl. Bei Nicht-Errei­chen der The­ra­pie­ziele sei es auch wich­tig, die the­ra­peu­ti­sche Träg­heit zu über­win­den, betont Win­ho­fer-Stöckl. „Wenn das Ziel nicht erreicht wurde, sollte nicht ein­fach auf die nächste Kon­trolle gewar­tet wer­den, son­dern die The­ra­pie rasch geän­dert oder adap­tiert werden.“

Um die Adhä­renz zu ver­bes­sern, setzt Bren­ner auch auf eine für den Pati­en­ten mög­lichst ein­fa­che und bequeme Medi­ka­men­ten-Ein­nahme. Dabei kom­men bei­spiels­weise lang­wirk­same Prä­pa­rate zum Ein­satz, damit der Pati­ent im Ide­al­fall nur ein­mal täg­lich daran den­ken muss, das Medi­ka­ment ein­zu­neh­men. „Ver­schie­dene Medi­ka­mente und Dosen soll­ten so zusam­men­ge­fasst wer­den, dass mög­lichst alle zum sel­ben Zeit­punkt gege­ben wer­den. Bei der Herz-Kreis­lauf-The­ra­pie gibt es aus fast jeder Medi­ka­men­ten­gruppe Prä­pa­rate, die nur ein­mal täg­lich gege­ben wer­den müs­sen.“ Auch die Ver­schrei­bung von Poly­pil­len sei ein prak­ti­ka­bler Weg, um die Adhä­renz zu ver­bes­sern, so Bren­ner. SF

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2022