Bein­ödeme – Score zur Abschätzung

25.11.2022 | Medizin

Als Ursa­che für Bein­ödeme kommt eine Viel­zahl von Krank­heits­bil­dern in Frage. Der Wells­Score dient zur kli­ni­schen Abschät­zung der Wahr­schein­lich­keit einer tie­fen Bein­ve­nen­throm­bose. Die füh­rende kar­diale Ursa­che von Bein­öde­men ist die Herzinsuffizienz.

Mar­tin Schiller

Herz­in­suf­fi­zi­enz, Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz, Leber­in­suf­fi­zi­enz, Throm­bo­sen, Tumore oder ope­ra­tive Ein­griffe – viele Krank­heits­bil­der kom­men als Ursa­che für Bein­ödeme in Frage. „Für die Abklä­rung ist zunächst wich­tig, ob Ödeme an bei­den Bei­nen oder ein­sei­tig auf­tre­ten. Lie­gen Ödeme an bei­den Bei­nen vor, kann dies auf eine kar­diale Ursa­che hin­deu­ten oder es liegt ein Pro­te­in­man­gel zu Grunde. Ein­sei­tige Ödeme basie­ren oft auf Gefäß­pro­ble­men“, erklärt Assoc. Prof. Tho­mas Gary von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Angio­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz. Und wei­ter: „Das Ödem selbst ist als Flüs­sig­keits­ein­la­ge­rung defi­niert. Eine wich­tige Frage dabei ist aber: Wann liegt eine Throm­bose vor?“ Bei Pati­en­ten mit Vari­zen, die abends leicht geschwol­lene Beine haben, bestehe dies­be­züg­lich meist noch keine große Sorge. „Kann ein Pati­ent jedoch kaum noch schmerz­frei gehen, ist natür­lich die Abklä­rung mit Ver­dacht auf eine tiefe Bein­ve­nen­throm­bose indi­ziert“, betont der Experte.

Phle­bo­gra­fie oft obsolet

Der dia­gnos­ti­sche Pro­zess zur Abklä­rung einer tie­fen venö­sen Throm­bose (TVT) beginnt mit der Ein­schät­zung der kli­ni­schen Wahr­schein­lich­keit. Dazu steht mit der Ermitt­lung des Wells­Scores ein „vali­dier­tes Instru­ment“ (Gary) zur Ver­fü­gung (siehe Tabelle). Basie­rend auf die­ser Ein­schät­zung kann ein D­Dimer­Test durch­ge­führt wer­den. D­Dimere ent­ste­hen als Spalt­pro­dukte aus Fibrin und zei­gen eine ver­mehrte Gerinnungs­ und Fibri­no­ly­se­ak­ti­vi­tät jeg­li­cher Genese an. „Sowohl bei hohem Wells­Score als auch bei ent­spre­chen­den Beschwer­den und erhöh­tem D­Dimer­Wert sollte zur wei­te­ren Abklä­rung bezie­hungs­weise zum Aus­schluss einer Throm­bose ein Bild­ge­bungs­ver­fah­ren durch­ge­führt wer­den“, sagt Gary. Die Bild­ge­bung erfolge mit­tels Ultra­schall; die frü­her ein­ge­setzte Phle­bo­lo­gie sei heute obsolet.

Mit einer the­ra­peu­ti­schen Anti­ko­agu­la­tion sollte bereits vor der Siche­rung der Throm­bo­se­dia­gnose begon­nen wer­den: „Bestä­tigt sich der Ver­dacht auf eine Throm­bose, hat die The­ra­pie dann näm­lich schon begon­nen.“ Spä­tes­tens nach Abklä­rung der Ursa­che sei die The­ra­pie mit NOAKs indi­ziert. Eine tiefe Bein­ve­nen­throm­bose müsse umge­hend behan­delt wer­den, um eine Lun­gen­em­bo­lie zu ver­hin­dern, „denn diese ist die größte Kom­pli­ka­tion einer TVT“. Bei Atem­not und Ver­dacht auf Lun­gen­em­bo­lie sollte eine Über­wei­sung in spi­tals­ärzt­li­che Behand­lung erfolgen.

Flüs­sig­keits­an­samm­lun­gen in den Bei­nen kön­nen auch eine Berufs­krank­heit sein. Davon betrof­fen sein kön­nen Men­schen, die im Zuge der Aus­übung ihres Berufs über­wie­gend ste­hen, aber auch „Per­so­nen, die im Berufs­all­tag viel sit­zen, wie Büro­an­ge­stellte, Schal­ter­be­diens­tete und Fernfahrer“.

Lymph­ödeme sind ebenso mög­li­che Ursa­chen für meist vorfuß­ und knö­chel­be­tonte Ödeme. Eine mög­li­che Kom­pli­ka­tion des Bein­Lymphödems sei das Ery­si­pel, wie Gary erklärt.: „Die gestaute Lym­phe begüns­tigt die Ver­meh­rung von Strep­to­kok­ken, die Rot­lauf aus­lö­sen kön­nen. Ein Risiko besteht aber auch umge­kehrt: Bei Rot­lauf ver­kle­ben durch die Strep­to­kok­ken die Lymph­spal­ten, die Lym­phe kann nicht abflie­ßen und Ödem­bil­dung ist die Folge.“

Hin­weis auf Herzinsuffizienz

Die füh­rende kar­diale Ursa­che für Bein­ödeme ist eine Herz­in­suf­fi­zi­enz, berich­tet Univ. Prof. Johann Auer von der Abtei­lung für Innere Medi­zin I des Kran­ken­hau­ses St. Josef Brau­nau. „Beson­ders bei älte­ren Men­schen kön­nen Bein­ödeme als Hin­weis auf eine Herz­in­suf­fi­zi­enz gese­hen wer­den.“ Eine aus­führ­li­che Ana­mnese sei zur Abklä­rung nötig: „Kurz­at­mig­keit, ver­min­derte Leis­tungs­fä­hig­keit und Abge­schla­gen­heit sind klas­si­sche Sym­ptome.“ Betrach­ten müsse man aber immer das indi­vi­du­elle Risi­ko­pro­fil wie zum Bei­spiel das gleich­zei­tige Vor­lie­gen einer Arte­ri­el­len Hyper­to­nie oder eines Dia­be­tes mel­li­tus oder eines Myo­kard­in­farkts in der Vor­ge­schichte. Um die Dia­gnose zu sichern oder eine Herz­in­suf­fi­zi­enz aus­zu­schlie­ßen, sollte ein BNP­Bluttest gemacht wer­den. Gemes­sen wird dabei das Brain­Natriuretic Pep­tide, das im Herz gebil­det wird. „Bei deut­lich erhöh­tem Wert ist eine Mit­be­tei­li­gung des Her­zes an der Ent­ste­hung des Ödems wahr­schein­lich“, sagt Auer. Die Absi­che­rung der Dia­gnose mache das Bein­ödem zum Leit­sym­ptom und ermög­li­che die Ein­lei­tung einer geziel­ten Therapie.

Liegt eine Herz­in­suf­fi­zi­enz zugrunde, sei das Ödem als Aus­druck einer Über­wäs­se­rung eine zusätz­li­che Belas­tung für das Herz. „Es kommt gewis­ser­ma­ßen zu einem Teu­fels­kreis­lauf“, sagt Auer. „Die Herz­funk­tion droht zu dekom­pen­sie­ren. Es kann zur Ansamm­lung von Was­ser in der Lunge kom­men und diese Über­wäs­se­rung beein­träch­tigt wie­derum die Herzleistung.“

Als Ursa­che von Bein­öde­men kommt auch die Ein­nahme von Medi­ka­men­ten wie zum Bei­spiel Calcium­Antagonisten im Rah­men einer kar­dio­lo­gi­schen Behand­lung in Frage, wie Auer betont. So sei bei­spiels­weise Amlo­di­pin ein mög­li­cher Aus­lö­ser. Auch Gary macht auf diese Pro­ble­ma­tik auf­merk­sam und ver­weist auf zeit­li­che Zusam­men­hänge: „Ist die Ver­schrei­bung kürz­lich erfolgt, kann dies der Grund für die Ödem­bil­dung sein. Wenn ein Pati­ent Calcium­Antagonisten jedoch jah­re­lang gut ver­tra­gen hat, schei­den diese als Ursa­che des plötz­lich auf­tre­ten­den Bein­ödems aus.“

In der Früh­phase: Kompression

Die Ent­stau­ungs­the­ra­pie mit Kom­pres­si­ons­strümp­fen ist ein wich­ti­ger Teil der The­ra­pie von Öde­men. Sie kann in der Früh­phase einer Throm­bose zum Ein­satz kom­men und damit die Häu­fig­keit und Schwere eines post­throm­bo­ti­schen Syn­droms redu­zie­ren. „Frü­her wurde das Tra­gen der Strümpfe für einen Zeit­raum von sechs Mona­ten ver­ord­net. Heute erfolgt der Ein­satz vor allem in der Akut­phase und sorgt schnell für Lin­de­rung“, berich­tet Gary. Der Effekt: „Der Rück­trans­port des Blu­tes zum Herz wird ver­bes­sert, die Venen­wand entlastet.“

Die pas­sende Kom­pres­si­ons­klasse rich­tet sich stets nach dem Beschwer­de­bild. „Klasse 1 mit leich­ter Kom­pres­si­ons­stärke wird bei Per­so­nen mit Vari­zen ange­wen­det und fin­det auch bei Rei­sen klas­si­scher­weise Ver­wen­dung. Klasse 2 ist bei mit­tel­mä­ßig aus­ge­präg­ten Öde­men sinn­voll. Klasse 3 ist durch eine kräf­tige Kom­pres­si­ons­stärke gekenn­zeich­net. Diese Strümpfe kom­men zum Bei­spiel bei aus­ge­präg­ten Lymph­öde­men zum Ein­satz und wer­den spe­zi­ell an das bereits ent­staute Bein ange­passt. Eine starke Ein­engung ist hier sinn­voll, damit die Lym­phe nicht wie­der ins Inters­ti­tium fließt.“

Nach genauer Abklä­rung des Ödems kön­nen Bewe­gungs­emp­feh­lun­gen für die Pati­en­ten aus­ge­spro­chen wer­den. „Schwim­men hat sich als Bewe­gungs­art bewährt“, sagt Gary. „Pati­en­ten mit Lipö­de­men spre­chen oft gut auf Aqua­jog­ging an. Der dabei ent­ste­hende hydro­sta­ti­sche Druck des Was­sers wirkt wie eine Kom­pres­si­ons­the­ra­pie.“ Die Was­ser­tem­pe­ra­tur sollte sich im Nor­mal­be­reich befin­den, war­mes Was­ser werde von Venen­pa­ti­en­ten oft als unan­ge­nehm emp­fun­den. In der Akut­phase rät Gary daher auch vom Besuch einer Therme ab. Die nach inten­si­ver sport­li­cher Akti­vi­tät mög­li­che Throm­bose der Arme ist bei den Bei­nen kein Thema. „Wenn der Mus­kel stark wächst, kann es pas­sie­ren, dass Venen im Schul­ter­gür­tel abge­drückt wer­den. Bei den Bei­nen besteht die­ses Risiko nicht, da es weni­ger neur­al­gi­sche Eng­stel­len gibt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2022