Antibiotika in der Geriatrie: Interaktion mit Dauermedikation

10.03.2022 | Medizin

Wegen der häufig bestehenden Dauermedikation muss bei der ­Verordnung von Antibiotika vor allem auf mögliche Interaktionen ­geachtet werden: vor allem jene zwischen Makrolid-Antibiotika mit Statinen und oralen Antikoagulantien, ebenso auch mit Rifampicin. Grundsätzlich gilt bei der Antibiotika-Therapie: so kurz wie möglich, um allfällige Kollateralschäden zu vermeiden.

Sophie Fessl

Da sich altersbedingt die Prozesse der Pharmakokinetik verändern, sind bei ­älteren Patienten auch Anpassungen bei der Antibiotika-Gabe notwendig. „Die Niere zeigt im Alter physiologisch einen Funktionsverlust. Zwischen dem 20. und dem 80. Lebensjahr reduziert sich die glomeruläre Filtrationsrate um etwa 40 Prozent. Daher müssen alle Medikamente – auch Antibiotika – an die Nierenfunktion angepasst werden“, erklärt Univ. Prof. Bernhard Iglseder von der Universitätsklinik für Geriatrie am Uniklinikum Salzburg. Dabei sind alle Prozesse der Pharmakokinetik durch Alterung betroffen. „Gleichzeitig spielt bei geriatrischen Patienten aufgrund der Multimorbidität das Thema Polypharmazie eine große Rolle. Das stellt uns vor Herausforderungen bei der Wahl des richtigen Antibiotikums“, ergänzt Jan Benjamin Roll vom Institut für Labordiagnostik und Mikrobiologie des Klinikums Klagenfurt.

Grundsätzlich können alle Antibiotika bei geriatrischen Patienten eingesetzt und daher das Antibiotikum gewählt werden, das am besten gegen den nachgewiesenen Erreger wirkt. Außerdem gäbe es gerade bei Antibiotika ein hohes Ausmaß an Alternativen, sodass das sicherste und effektivste Medikament für den Patienten ausgewählt werden könne, so Iglseder. Denn bei einer reduzierten Nierenfunktion etwa akkumulieren alle nierenpflichtigen Medikamente und ein toxischer Dosis-Bereich wird rascher erreicht. Da die Nierenfunktion anhand der glomerulären Filtrationsrate gut messbar und mit Näherungsparametern abschätzbar ist, sollte auf eine entsprechende Anpassung der Medikation geachtet werden, betont Iglseder.

Drug Monitoring bei nephrotoxischen Antibiotika

Falls mehrere Optionen zur Verfügung stehen, sollten nephrotoxische Antibiotika wie Aminoglykoside und Vancomycin bei Patienten mit Niereninsuffizienz vermieden werden. „Wenn diese Substanzen eingesetzt werden müssen, sollte über das therapeutische Drug Monitoring der Serum-Spiegel regelmäßig kontrolliert werden“, betont Roll. Eine Anpassung an die Nierenfunktion ist besonders für Antibiotika mit geringer therapeutischer Breite von Bedeutung. „Generell sollte in den ersten 24 Stunden die volle Dosis verabreicht werden, um eine Aufsättigung zu erreichen. Die weitere Dosis wird dann an die Nierenfunktion angepasst“, so Roll weiter. Iglseder verweist hierfür auf die für alle Antibiotika verfügbaren Daten zur korrekten Anpassung an eine reduzierte Nierenfunktion.

Besondere Vorsicht ist beim Einsatz von Aminoglykosiden sowie bei Vancomycin notwendig. „Bei diesen Substanzen mit einer geringen therapeutischen Breite kann rasch eine toxische Dosis erreicht werden. Daher ist ein therapeutisches Drug Monitoring besonders wichtig“, betont Roll.

Reduzierte Leberfunktion problematisch

Im Alter ist weiters die hepatische Elimination vermindert; ebenso auch die Funktionalität von Cytochrom P450. Eine Anpassung an eine reduzierte Leberfunktion ist allerdings schwieriger, da diese schwerer abschätzbar ist als die Nierenfunktion. „Bei der Leberfunktion haben wir wenige Parameter, anhand derer wir diese gut messen und abschätzen können“, erläutert Iglseder. „Trotzdem müssen bei einer stark verminderten Leberfunktion einige Präparate gut angepasst und reduziert werden.“ Insbesondere Fluorchinolone und Makrolide, aber auch Clindamycin und Metronidazol sollten bei verminderter Leberfunktion in der Dosis reduziert werden. „Allerdings ist dies nicht in dem selben Ausmaß fein einstellbar wie bei einer reduzierten Nierenfunktion.“

Da im Alter weniger Muskelmasse, aber anteilsmäßig mehr Fett und Bindegewebe im Körper vorhanden sind, haben ältere Menschen auch veränderte Verteilungsvolumina für Medikamente. „Für lipophile Medikamente sind höhere Verteilungsvolumina vorhanden. Andererseits sind viele ältere Menschen auch mangelernährt, weswegen Albumin-gebundene Medikamente eine andere Transportkinetik aufweisen“, berichtet Iglseder. Bei einer Kachexie kommt hinzu, dass – neben den veränderten Verteilungsvolumina und dem veränderten Eiweißstatus – das Krea­tinin in hohem Ausmaß nicht mehr als Faktor für die Nierenfunktion verlässlich ist, da die Muskulatur als Ausgangssubstrat für die Bildung von Kreatinin fehlt.

Antibiotika und Dauermedikation

Aufgrund häufig bestehender Dauermedikation muss bei geriatrischen Patienten vor allem auch auf die Interaktion von Antibiotika mit anderen Substanzen geachtet werden. „Insbesondere über das CAP3A4-System können Interaktionen auftreten, was vor allem Makrolid-Antibiotika und in geringerem Ausmaß Fluorchinolone betrifft“, berichtet Iglseder. „Der Spiegel von anderen Substanzen, die bei älteren Menschen gegeben werden, können so steigen.“ Zahlreiche Wechselwirkungen sind beschrieben: Eine wichtige Interaktion ist die zwischen Makrolid-Antibiotika und Statinen. „Makrolide können auch mit direkten oralen Antikoagulantien interagieren und ihren Spiegel steigern. Umgekehrt gibt es starke Induktoren von CYP3A4 wie Rifampicin, die zu einer verminderten antikoagulatorischen Wirkung führen können“, fügt Iglseder hinzu.

Auch Interaktionen mit Psychopharmaka und Antihypertensiva sind bekannt. So können etwa Erythromycin und Clarithromycin durch den Abbau über Cytochrom P450 3A4 die Wirkung dieser Medikamente verstärken. „Fluorchinolone haben bei älteren Menschen potentiell auf das ZNS stärkere Nebenwirkungen, da sich die Rezeptorprofile im Alter verändern“, berichtet Iglseder. „Aus dem Grund sind ältere Menschen auch anfälliger für ein Delir. Allerdings ist der Effekt von Antibiotika schwer vom delirogenen Potential der Grunderkrankung zu trennen.“ Da Infektionen ein Präzipitationsfaktor für ein Delir sind, rät Iglseder, wenn nicht zwingend notwendig, auf Fluorchinolone zu verzichten. Auf eine zentralnervöse Nebenwirkung sollte laut Roll vor allem bei Fluorchino­lonen, Metronidazol sowie bei hoch dosierten Penicillinen geachtet werden. Von den Carbapenemen könne insbesondere Imipenem bei zu hoher Dosierung Krampfanfälle auslösen.

Eine relevante Nebenwirkung bei älteren Patienten sind auch mögliche Herzrhythmusstörungen. Diese können bis zur Torsade-de-Pointes-Tachykardie reichen. Sie können etwa nach der Einnahme von QT-Zeit verlängernden Medikamenten auftreten wie zum Beispiel Fluorchino­lonen, was durch einen niedrigen Kalium-Spiegel weiter begünstigt wird. „Allerdings muss immer der Gesamtkontext betrachtet werden. Bei einem hoch Betagten, der im Wesentlichen gesund ist und sonst keine Begleitmedikation nimmt, ist das Risiko für eine QT-Zeit Verlängerung nicht so hoch, obwohl es pharmakologisch möglich wäre“, berichtet Iglseder.

Wie auch bei jüngeren Patienten sollte die Therapiedauer so kurz wie möglich sein, mahnt Roll. „Es wurde mehrfach nachgewiesen, dass bei vielen Infektionen durch eine kürzere Therapiedauer die Kollateralschäden durch die Antibiotika-Gabe – bei gleichem oder sogar besserem klinischen Outcome – deutlich verringert werden können.“ Deshalb seien in den letzten Jahren auch die Leitlinien-Empfehlungen bezüglich Therapiedauer nach unten revidiert worden – etwa bei der Behandlung der Pneumonie.

Gefahr: Infektion mit Clostridioides

Roll weist auf die Gefahr einer Infektion mit Clostridioides difficile hin, die als Folge einer Antibiotika-Behandlung auftreten kann, mit Diarrhoe einhergeht und bei geria­trischen Patienten mit einer hohen Letalität assoziiert ist. Ein besonders hohes Risiko besteht vor allem nach der Gabe von Clindamycin, Breitspektrum-Cephalosporinen, Fluorchinolonen, Carbapenemen und – mit einem etwas geringeren Risiko – bei Amoxicillin/Clavulansäure. Vor allem geriatrischen Patienten seien häufiger mit multiresistenten Erregern besiedelt und erleiden häufiger Infektionen durch multiresistente Erreger, was die Behandlung erschwere.

„Vor der Verschreibung sollte stets der Gesamtzustand des Menschen betrachtet werden“, fügt Iglseder hinzu. „Ist der Patient gebrechlich? Sehr kachektisch? Mit einer verschlechterten Organfunktion? Gibt es kognitive Beeinträchtigungen und welche Ko-Medikationen sind im Spiel? Das muss bei der Auswahl des Antibiotikums berücksichtigt werden, damit man die maximale Sicherheit für den Patienten erzielt.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 05 / 10.03.2022