Wahlärzte: Platte mit Sprung

25.04.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Zum wiederholten Male wurden seitens der Spitze der Österreichischen Gesundheitskasse Attacken auf die Wahlärzte geritten. ÖGK-Vizeobmann Andreas Huss forderte diesmal die Abschaffung des Wahlarztsystems – die Österreichische Ärztekammer reagierte scharf.

Sascha Bunda

Einmal mehr beschränkte sich die Österreichische Gesundheitskasse bei ihren Ideen zur Verbesserung des kassenärztlichen Systems auf eine bewährte und eindimensionale Forderung – Wahlärzte in das Kassensystem zwingen. ÖGK-Vizeobmann Andreas Huss hatte sich medial für die Abschaffung des Wahlarztsystems ausgesprochen und eine Trennung in Kassenärzte und reine Privatärzte gefordert. Über 1.000 neue Kassenstellen könnten seiner Vorstellung zufolge damit geschaffen werden. Diesen Überlegungen erteilte die Österreichische Ärztekammer eine klare Absage.

„Auch Wahlärzte haben eine eminent wichtige Funktion in unserem Gesundheitssystem – in ländlichen Bereichen etwa, in denen es keinen Kassenarzt mehr gibt, sind sie oft die einzige Option für die Menschen dort für den niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung“, richtete Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Huss aus. „Das löst das Problem überhaupt nicht, dass es aktuell offensichtlich einfach zu wenig attraktiv ist, einen Kassenvertrag anzunehmen. Der starke Trend hin zum Wahlarztbereich ist Ausdruck dafür, dass es im Kassenbereich Probleme gibt. Ärzte wollen sich Zeit für ihre Patienten nehmen können, sie wollen Familie und Beruf unter einen Hut bekommen können. Das sind die Punkte, bei denen die ÖGK herzlich eingeladen ist, endlich Verbesserungen zu schaffen, anstatt zu versuchen, einen Keil in die Ärzteschaft zu treiben“, kommentierte Szekeres.

„Die Aussagen von Huss erinnern an einen Zündler, der ‚Feuer‘ schreit“, meinte Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. „Seit Jahren wird das Kassensystem ausgehungert, da braucht man sich nicht wundern, wenn die jungen Ärzte dem System die kalte Schulter zeigen, weil dieses völlig veraltet und verstaubt ist. Es braucht dringend bessere Möglichkeiten der Zusammenarbeit, flexiblere Anstellungsmöglichkeiten, eine Kombination von Wahl- und Kassenarztmöglichkeit, weniger Bürokratie, und vieles mehr. Da soll die ÖGK zuerst einmal aufräumen, bevor sie einen ganzen freien Berufszweig abschaffen will. Das haben wir der ÖGK auch schon x-mal ausgerichtet. Aber die einzige Antwort, die wir von dort zu den Problemen im kassenärztlichen Bereich bekommen, ist immer nur die Attacke auf die Wahlärzte. Diese Platte hat schon einen gehörigen Sprung“, konstatiert Steinhart. Auch in Deutschland, das mit seiner Trennung in Kassenärzte und Privatärzte als Vorbild auserkoren wurde, gäbe es deutliche Probleme, verwies Steinhart auf eine Studie der Robert Bosch Stiftung. Dieser zufolge würden im Nachbarland bis zum Jahr 2035 ungefähr 11.000 Hausärzte fehlen. Die medizinische Versorgung auf dem Land sei davon besonders betroffen, da gerade dort die dauerhafte Sicherung der Patientenversorgung inzwischen nicht mehr gewährleistet werden könne – 40 Prozent der Landkreise wären dann unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht. Auch hier zeigt sich, dass dieses System gar nichts bringt“, so Steinhart: „Man kann die Realität und die Anforderungen junger Ärztinnen und Ärzte an ihren Beruf nicht einfach negieren. Entsprechend erwarten wir uns von der ÖGK als Partner sinnvolle und konstruktive Vorschläge, dafür sind wir immer zu haben – für kurzsichtige Brachialmaßnahmen aber sicher nicht.“

Momen Radi, Leiter des ÖÄK-Referates für Wahl- und Privatärzte, verwies darauf, dass der Beitrag der ÖGK für Wahlarztkostenrückerstattung 2020 mit 142,5 Millionen Euro gerade einmal 0,9 Prozent ihrer Gesamtausgaben von 15,2 Milliarden Euro ausgemacht hatte. Radi warnt auch davor, den Menschen die Wahlmöglichkeit zu nehmen. „Viele Patienten entscheiden sich bewusst für einen Wahlarzt und sind bereit, dafür auch etwas aus eigener Tasche beizutragen. Wenn sich sowohl Patienten als auch Ärzte vermehrt für den vertragslosen Bereich entscheiden, dann heißt das, dass mit dem Kassensystem etwas nicht in Ordnung ist. Hier möge die ÖGK ansetzen, anstatt den Kassenbereich mit willkürlichen Degressionen und Deckelungen an die Kandare zu nehmen, wenn ihr die Versicherten am Herzen liegen“, sagte Radi.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 08 / 25.04.2022