Standpunkt Herwig Lindner: Gewalt – rote Linie ist überschritten

25.01.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Lindner_Standpunkt__c_Bernhard_Noll_04Seit Februar 2020 kämpfen Ärzte, Wissenschaft, Industrie, Politik und die Majorität der Bevölkerung in einem beispiellosen Schulterschluss gegen die SARS-CoV-2-Pandemie. Nur einige wenige verweigern sich. Pochen auf ihre Freiheit, keine Schutzmaßnahmen einzuhalten, keine Masken zu tragen, sich nicht impfen zu lassen und andere zu gefährden. Solidarität ist für sie eine Einbahnstraße.

Für sich und die Gemeinschaft Sinnvolles abzulehnen, ist per se schon schwer zu akzeptieren. Aktiv dagegen mobil zu machen und auch vor Beschimpfungen, Morddrohungen und Gewaltausbrüchen nicht halt zu machen, ist ein für eine moderne zivilisierte Gesellschaft unwürdiges Verhalten. Wer hätte gedacht, jemals erleben zu müssen, dass sich Gewaltausbrüche – körperlich oder verbal – gegen unschuldige Ärzte und Pflegepersonal richten, nur weil sie ihre Arbeit tun und Hilfsbedürftigen zur Seite stehen?

Generell muss sich der Staat damit auseinandersetzen, dass ein Gezerre an der gesellschaftlichen Mitte eingesetzt hat, vornehmlich von rechts, das zu tiefen Gräben führt – quer durch die Bevölkerung, durch Gemeinden und Familien. Mit dem Ergebnis, dass eine sinnvolle Diskussion zu gesundheits- und gesellschaftsrelevanten Fragen kaum noch möglich ist. Es wird nicht mehr hinterfragt, oft wird mit Protestmärschen, Hassparolen und Gewalt agitiert. Diejenigen, die den konstruktiven Diskurs einfordern, sind am wenigsten daran interessiert. Manche Ärzte machen sich mitschuldig, indem sie sich für Aufmerksamkeit um jeden Preis rechtspopulistischer Kanäle bedienen. Dass sie dafür vom rechten Lager als Gallionsfiguren präsentiert werden, darf sie nicht verwundern.

Kritisches Hinterfragen ist das Recht jedes Einzelnen und für Ärzte Pflicht. Berufspflicht ist aber auch, den gesicherten Boden des naturwissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht zu verlassen und höchste Sorgfalt walten zu lassen. Das Ärztegesetz ist diesbezüglich eindeutig.

Die Bundeskurie angestellte Ärzte hat ihr Entsetzen über die zunehmende Gewaltbereitschaft einer Minderheit ausgedrückt und in einer Resolution dringend besseren Schutz von Ärzten, Pflegepersonal und Mitarbeitern in Impfstraßen gefordert. Die Regierung hat angekündigt, dafür die gesetzliche Grundlage zu schaffen. Ein weiterer Schritt ist ein Konzept zum Gewaltschutz auf Trägerebene und in den Ordinationen. Jeder Übergriff ist der Exekutive anzuzeigen. No tolerance!

Dr. Herwig Lindner
1. Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 01-02 / 25.01.2022