Standpunkt Herwig Lindner: Anpacken – jetzt!

25.03.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Herwig LindnerViele junge Ärztinnen und Ärzte haben sich ihr Berufsleben anders vorgestellt – vor allem, wenn sie im Spital arbeiten. Nicht, weil sie sich die Medizin anders vorgestellt hätten, darauf werden sie im Medizinstudium vorbereitet. Aber mit welch schwierigen Bedingungen sie in der praktischen Arbeit konfrontiert werden, darauf bereitet sie niemand vor. Viele der bei uns top-ausgebildeten Ärzte verlassen Österreich – oder suchen sich einen Beruf außerhalb des Gesundheitssystems.

Die Pandemie ist nicht die Ursache für den Ärztemangel, sie ist der Katalysator. Die bekannten Gründe müssen endlich von den Verantwortlichen erkannt werden. Nur dann ist eine Problemlösung möglich. Die Systempartner müssen gemeinsam nach schonungsloser Analyse ein Strategiekonzept erarbeiten, wie das Arztsein wieder attraktiv werden kann. Aber dazu scheint die Politik nicht gewillt! Im Gegenteil – sie nimmt sogar das Aushungern des öffentlichen Gesundheitssystems in Kauf.

Die Realität im Spital sieht derzeit aus Personalsicht wenig attraktiv aus und ist das bittere Ergebnis, beim Betreiben einer vorausschauenden Gesundheitspolitik versagt zu haben. Die fatalen Folgen: Die Spitalsambulanzen werden hemmungslos überrannt – rund um die Uhr. Eine von uns längst geforderte Patientensteuerung gibt es nicht. Das Bürokratiemyzel breitet sich aus, für medizinische Kernaufgaben und Ausbildung bleibt kaum Zeit.

Daher erwarten wir von der Politik, dass sie endlich die Probleme im öffentlichen Gesundheitswesen anpackt. Dort und da ein paar Studien­plätze an Privatuniversitäten zuzukaufen hilft nicht weiter. Weitere ­Jahre des Zauderns oder gar Aushungerns darf es nicht geben!

Oft hört man von Bundes- oder Landespolitikern: „Wir können keine Ärzte herbeizaubern. Wir tun alles, was möglich ist“. Nein, Sie tun nicht alles! Sie setzen den zweiten Schritt vor den ersten! Einen mit zweifelhaftem Effekt. Im ersten Schritt muss die Abwanderung von Ärzten aus dem Land und dem System gestoppt werden. Die beruflichen Lebensbedingungen der Ärzteschaft müssen nachhaltig verbessert werden. Know-how und Expertise stellen wir gerne bereit. Investitionen und vorausschauende Personalplanung sind aber unabdingbar, um der Mangelwirtschaft in allen ärztlichen Bereichen den Kampf anzusagen.

Es ist nicht viel Zeit, um den drohenden Kollaps im Gesundheitswesen noch abzuwenden. Also anpacken – jetzt!

Dr. Herwig Lindner
1. Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 06 / 25.03.2022