Interview Harald Mayer – Offensiv starten!

25.03.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Österreich hat seit einigen Tagen den dritten Gesundheitsminister im Laufe der Corona-Pandemie. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, skizziert im Gespräch mit Thorsten Medwedeff, wo für den neuen Minister Johannes Rauch die wichtigsten Angriffspunkte liegen.

Ein neuer Gesundheitsminister, eine neue Chance für Verbesserungen im heimischen Gesundheitssystem, sehen Sie das auch so? In jedem Fall, ich wünsche dem neuen Minister Johannes Rauch mehr Fortune als seinen Vorgängern, wünsche mir gleichzeitig aber auch, dass im Gesundheitsministerium endlich Kontinuität und Stabilität einzieht und vor allem noch mehr offensiven Gestaltungswillen, um die vielen brennenden Probleme im österreichischen Gesundheitssystem auch wirklich in Angriff nehmen zu wollen und gute Lösungen zu finden. Wir als Ärztekammer arbeiten hier gerne aktiv mit.

Was sind denn die brennenden Probleme? Dass wir den bisher größten Stresstest unseres Gesundheitssystems, die Corona-Pandemie, mit Bravour bestanden haben und wir die Versorgung unserer Patienten auf dem gewohnten, sehr hohen Niveau bewahren konnten, ist vor allem dem enormen persönlichen Einsatz des Spitalspersonals zu verdanken. Damit wir aber auch zukünftig auf diesem bärenstarken Level bleiben können, bedarf es einfach mehr Personal. Das ist der Brennpunkt Nummer eins. Das Personal ist das Nadelöhr unserer Gesundheitsversorgung – bevor uns nämlich die Spitalsbetten ausgehen, wird uns das Personal ausgehen und damit jene, die sich hochqualifiziert unsere Patienten betreuten. Daher müssen dringend offene Stellen nachbesetzt und neue geschaffen werden.

Aber das alleine löst die Probleme natürlich nicht, welche weiteren Optimierungen müssen her? Neues Personal bleibt nur dann motiviert und wird auch in Zukunft im ärztlichen Bereich arbeiten wollen, wenn generell die Arbeitsbedingungen verbessert werden, die Entlohnung auch einem internationalen Vergleich standhält und endlich die von der Bundeskurie für angestellte Ärzte seit langem geforderte, qualitative Ausbildungsoffensive gestartet wird! Zentraler Punkt dabei ist es, an jeder Abteilung, an der ausgebildet wird, einen Ausbildungsoberarzt zu installieren. Dahingehend würde ich mir vom neuen Minister einen starken Impuls wünschen.

Stichwort Ausbildung: Viele Jungärzte, die in Österreich studiert haben, gehen bekanntlich nach dem Studium ins Ausland. Bleiben da genug Ärzte für Österreich? Wenn wir weiterhin untätig zusehen, wie die bei uns top-ausgebildeten Jungärzte nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Skandinavien auswandern, werden wir bald ein Riesenproblem bekommen. Schon jetzt stehen bis zu 40 Prozent der Absolventen später nicht dem österreichischen Gesundheitssystem zur Verfügung. Dabei liegen die To-dos offen auf dem Tisch: Leistungsgerechte Entlohnung für Spitzenmedizin, bessere Karrierechancen, eine deutlich verbesserte Work-Life-Balance mit Teilzeit-Optionen, aber auch die bereits erwähnte Ausbildungsoffensive.

Nochmals Stichwort Ausbildung: Im Sommer 2021 gab es ja eine Ärztegesetz-Novelle, die die Kompetenzen bei der Festlegung von Ausbildungsstellen in Österreich neu geregelt hat. Ist Ihr Ärger darüber bereits verraucht? Keineswegs! Dass die Politik damals eingeknickt ist, den Ländern in ihrem Größenwahn nachgegeben und der Ärztekammer die Kompetenzen bei der Festlegung der Ausbildungsstellen entzogen hat, ist nach wie vor unglaublich, aber derzeit leider bitterer Fakt. Die Österreichische Ärztekammer war hier stets der Garant für eine qualitätsvolle und unabhängige Kontrolle. Dass die Bundesländer für die Festsetzung von Ausbildungsstellen nun, wohlgemerkt ohne ärztliche Expertise, neun Parallelsysteme aufbauen müssen, ist Steuergeldverschwendung mit Ansage. Dieses Geld wäre beim Spitalspersonal und bei Verbesserungen im Gesundheitswesen zum Wohle der Patienten wesentlich besser aufgehoben. Aber vielleicht kann ja der neue Gesundheitsminister als eine erste gute Tat diesen fatalen Irrtum revidieren und damit dafür sorgen, dass der drohende Qualitätsverlust bei der Arztausbildung noch rechtzeitig gestoppt wird.

Österreichische Ärztezeitung Nr. 06 / 25.03.2022