Facharzt Allgemein- und Familienmedizin – Beginn einer neuen Ära

26.10.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin als Zeichen für Anerkennung und Wertschätzung wird gleichzeitig auch inhaltlich weiterentwickelt. Die Ausbildung wird schrittweise von drei auf fünf Jahre verlängert, wobei die zwei zusätzlichen Jahre in einer Lehrpraxis und überwiegend im niedergelassenen Bereich absolviert werden sollen, zudem sollen beispielsweise Kompetenzen in den Bereichen Geriatrie, Palliativmedizin, Psychosomatik und Schmerztherapie erworben werden. Mit der Umsetzung wird eine jahrelange Forderung der Österreichischen Ärztekammer erfüllt.

Sophie Niedenzu

Die Allgemein- und Familienmedizin umfasst die primäre Gesundheitsversorgung, die kontinuierliche und koordinative medizinische Betreuung des gesamten menschlichen Lebensbereichs und soll als erste Anlaufstelle für sämtliche gesundheitliche Anliegen dienen. Sie soll die Gesundheitskompetenz bei den Patienten stärken, etwa durch gesundheitsfördernde Aktivitäten, Beratung und Aufklärung unter Berücksichtigung des jeweiligen epidemiologischen Hintergrundes – wesentlich ist die Zusammenarbeit und Koordination mit Fachärzten anderer Sonderfächer sowie die interdisziplinäre mit Angehörigen anderer Gesundheitsberufe. Das Aufgabenfeld ist groß, die Ziele für den neuen Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin gesteckt. Das Gesundheitsministerium, die Bundesländer, die Sozialversicherung sowie die Österreichische Ärztekammer haben sich einstimmig, im Rahmen der Art. 44-Kommission, dem beratenden Organ des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, darauf geeinigt. Damit steht das Grundgerüst. Weitere Gespräche sind noch offen, da für die Umsetzung Änderungen im Ärztegesetz durchgeführt werden müssen. Sobald die Gespräche mit dem Ministerium abgeschlossen sind und die Änderung des Ärztegesetzes im Parlament beschlossen ist, kann bei der Österreichischen Ärztekammer der Antrag auf Facharztzuerkennung gestellt werden. „Der Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin ist ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung für alle Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten“, zeigt sich der Allgemeinmediziner, Vizepräsident und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Österreichischen Ärztekammer, Edgar Wutscher, zufrieden: „Wir sind überzeugt, dass dadurch auch die Jüngeren verstärkt in die Allgemeinmedizin gehen werden.“ Das sei auch dringend notwendig, denn derzeit sind österreichweit 159 Kassenstellen unbesetzt.

Was die Übergangsbestimmungen für berufsberechtige Ärzte für Allgemeinmedizin angeht, hat das Bundesministerium folgendes vorgegeben:Nach einer fünfjährigen Tätigkeit in der allgemeinmedizinischen Primärversorgung kann der Antrag auf Facharzt gestellt werden.

  • Bei einer Tätigkeit kürzer als fünf Jahre und Absolvierung der Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin kann ebenfalls der Antrag auf Facharzt gestellt werden.
  • Ärzte mit Jus practicandi ohne Tätigkeit in der allgemeinmedizinischen Primärversorgung machen die Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin.

Ausbildung wird weiterentwickelt

Unabhängig von der Einführung des Facharztes wird auch die Ausbildung weiterentwickelt. Die Ausbildung zum Allgemeinmediziner wird von drei auf fünf Jahre verlängert. Das soll schrittweise bis 2030 erfolgen, um Ausbildungslücken zu verhindern. Die zwei zusätzlichen Jahre werden als Lehrpraxis und überwiegend im niedergelassenen Bereich absolviert. „Durch die schrittweise Weiterentwicklung der Ausbildung auf fünf Jahre und den Ausbau der Lehrpraxis wird die Allgemeinmedizin dort vermittelt, wo sie gemacht wird“, sagt Wutscher. Direkt am Patienten in der Ordination zu arbeiten, steigere die Ausbildungsqualität. Auch Daniel von Langen, Vorsitzender des Bildungsausschusses der Österreichischen Ärztekammer, ist überzeugt: „Gerade die Lehrpraxis ist ein wichtiger Wegbereiter für die Niederlassung.“ Zudem solle mit der Umstrukturierung und der längeren Ausbildungsdauer zukünftig auch die Betreuung verbessert werden: „In der Lehrpraxis gibt es konkrete Ansprechpersonen, das ist eine deutliche Verbesserung“, sagt er.

Zu der Weiterentwicklung und Professionalisierung der Arztausbildung in der Allgemein- und Familienmedizin gehört für Wutscher auch, dass die Zeit in der Lehrpraxis nun flexibler einteilbar ist, weil die Ausbildungsdauer das nun auch mög-lich mache. „Wünsche und Ideen können jetzt auch direkt umgesetzt werden, so etwa, dass ein Teil der Lehrpraxis im urbanen, einer im ländlichen Bereich gemacht werden kann, um die verschiedenen Aspekte der Arbeit als Allgemeinmediziner in der Ausbildung zu erleben“, sagt der ÖÄK-Vizepräsident. Ebenso sei es möglich, einen Teil der Lehrpraxis am Anfang der Arztausbildung zu absolvieren, bevor man im Spital arbeite, betont Wutscher. „Bei einer fünfjährigen Ausbildung ist es machbar, zuerst zu sehen, wie die Arbeit in der allgemein-medizinischen Praxis abläuft, dann im Spital zu arbeiten und am Ende wieder in der Lehrpraxis zu arbeiten, um sich dort mit dem erlernten Wissen auch sehr viel selbstständig einbringen zu können“, sagt Wutscher.

Die Ausbildungsinhalte für den Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin sind skizziert, geringfügige Änderungen in der Beurteilung der Fächer und somit ein Wechsel zwischen dem 1. Bereich und dem Wahlpflichtfächer-Bereich noch möglich.

Mit Stand 13. Oktober sieht die Ausbildung wie folgt aus:

Sonderfach-Grundausbildung

Die Grundausbildung, die der neunmonatigen Basisausbildung folgt und 33 Monate dauert, ist in vier Bereiche gegliedert und soll in Zukunft folgendes umfassen:

  1. Bereich (einige Fachbereiche sind auch in einer Sonderfach Lehrpraxis absolvierbar):
  • Innere Medizin (6 Monate)
  • Kinder- und Jugendheilkunde (3 Monate)
  • Orthopädie und Traumatologie (3 Monate)
  • Neurologie (3 Monate)
  • Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin (3 Monate)
  • Frauenheilkunde und Geburtshilfe (3 Monate)
  1. Bereich: Eines von zwei Wahlpflichtfächern (Dauer zumindest 2 Monate):
  • Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
  • Haut- und Geschlechtskrankheiten
  1. Bereich: Zwei weitere Wahlfächer (Dauer jeweils zumindest 2 Monate):
  • Anästhesiologie und Intensivmedizin
  • Augenheilkunde und Optometrie
  • Chirurgie
  • Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, sofern nicht bereits als Wahlpflichtfach gewählt
  • Haut- und Geschlechtskrankheiten, sofern nicht bereits als Wahlpflichtfach gewählt
  • Urologie
  • Radiologie
  • Physikalische Medizin und Allgemeine Rehabilitation
  1. Bereich: Absolvierung einer allgemeinmedizinischen Ausbildung über sechs Monate in einer Lehrpraxis, in Lehrpraxen, Lehrgruppenpraxen, Lehrambulatorien oder in Primärversorgungseinheiten (PVEs). Optional wäre auch die Absolvierung in einer allgemeinmedizinischen Zentralen Ambulanten Erstversorgung (ZAE) möglich, in der die Leitung von einem Allgemeinmediziner wahrgenommen wird oder in der die Behandlung im Rahmen des Umfangs der Allgemeinmedizin erfolgt und somit als allgemeinmedizinische Ausbildung gewertet werden kann.

Sonderfach-Schwerpunktausbildung

Die Sonderfach-Schwerpunktausbildung über 18 Monate kann in unterschiedlichen Lehrpraxen, Lehrgruppenpraxen, Lehrambulatorien oder PVEs absolviert werden, wünschenswert unter Berücksichtigung der regionalen Unterschiede des städtischen und ländlichen Bereichs, wobei jeweils in einer der oben genannten Ausbildungseinrichtungen zumindest sechs Monate durchgehend zu absolvieren sind. Ergänzend dazu sollen jedenfalls Kompetenzen in den Sonderfächern Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde und Haut- und Geschlechtskrankheiten erworben werden. Sofern sie nicht als Sonderfachbereich in der Sonderfachgrundausbildung gewählt wurden, können Kurse der ÖÄK (z.B. Präsenzkurse, E-Learning etc.) absolviert werden. Zusätzlich müssen im Rahmen der Schwerpunktausbildung Kompetenzen während der Lehrpraxis, allenfalls auch in Krankenanstalten oder in zusätzlichen Kursen in zumindest einem der folgenden Bereiche erworben werden: Geriatrie, Palliativmedizin, Psychosomatik und Schmerztherapie. Die Voraussetzung dafür ist die Beibehaltung der Tätigkeit in der Lehrpraxis in der Dauer von zumindest zwei Tagen oder 16 Stunden pro Woche.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2022