Engpass bei Gutachtern: Unwürdig kaputtgespart

12.09.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Mangel an ärztlichen Gutachtern in Österreich hat dramatische Ausmaße erreicht – auf Gutachten, etwa bei Obduktionen oder bei Pensionsantritt, muss monatelang gewartet werden, der ärztliche Nachwuchs ist angesichts der veralteten Honorarordnung abgeschreckt. Die Österreichische Ärztekammer, die seit Jahren auf diese Entwicklung hingewiesen hat, läutet nun vehement die Alarmglocken.

Thorsten Medwedeff

Die Honorare für Gutachter in Österreich wurden zuletzt im Jahr 2007 angepasst, die ärztlichen Sachverständigen erhalten fixe, zeitunabhängige Gebühren – unabhängig davon, ob die Erstellung des Gutachtens nun 30 Minuten oder mehrere Stunden gedauert hat. Eine unhaltbare Situation, befindet Harald Schlögel, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Leiter des ÖÄK-Gutachter-Referats: „Schon lange vor der nun grassierenden Inflation haben wir das heftig kritisiert und darauf hingewiesen, dass dies in einigen Jahren zu dramatischen Engpässen bei Gutachtern führen wird – genau an diesem Punkt sind wir nun angelangt. Spätestens jetzt müssen wir gegensteuern.“ Dazu komme, dass die ärztlichen Gutachter-Honorare etwa in Deutschland fast doppelt so hoch seien – warum also eine ärztliche Sachverständigen-Karriere in Österreich starten?

Die Folgen: Österreich hat zu wenige Gutachter. Das wirkt sich vor allem auf jene Zeit aus, die man braucht, um ein Gutachten zu erhalten – das kann derzeit Monate dauern, auch bei Obduktionen oder Pensionsgutachten, wo eigentlich Tempo gefragt wäre. „Wenn wir hier nicht schleunigst Verbesserungen erreichen, wird das unsere neue Normalität sein – mit allen katastrophalen Konsequenzen, die eines reichen Landes wie Österreich unwürdig sind“, betont Schlögel.

Unwürdig, wie das konsequente Kaputtsparen der auch international höchst renommierten Gerichtsmedizin in Wien, die in ihrer Existenz bedroht ist. „Die Wiener Gerichtsmedizin kann auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken und zählte einst zur Weltspitze der Forschung. Das Institut in der Sensengasse und damit die Ausbildung des Nachwuchses wurde aber über die vergangenen Jahrzehnte hinweg ausgehungert. Die Ärztekammer hat immer wieder darauf hingewiesen, dass man damit einen gravierenden Mangel an Gerichtsmedizinern billigend in Kauf nimmt. Nun bekommen wir die Rechnung präsentiert“, sagt Schlögel.

Den ärztlichen Nachwuchs schrecken diese Szenarien ab – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem viele Gutachter in Österreich sehr bald pensionsfähig sind. Zudem ist schon der Weg, bis man anerkannter Gutachter ist, langwierig: Voraussetzungen für beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige sind eine fünf Jahre andauernde Tätigkeit in verantwortlicher Stellung in jenem Fachgebiet, für das die Eintragung erfolgen soll. Die Tätigkeit als Turnusarzt zum Beispiel wird nicht angerechnet. Dazu kommen entsprechende juristische Kenntnisse, die erworben werden müssen. Und auch die Gutachter-Tätigkeit selbst ist sehr speziell und hochkomplex. „Das hohe Maß an Verantwortung bei der Erstellung von Gutachten stimmt überhaupt nicht mit der Honorierung überein“, unterstreicht Schlögel. „Die Gebühren müssen sofort angepasst werden. Es ist nicht mehr einzusehen, warum einige Berufsgruppen, darunter auch Ärzte, gesetzlich in feste Tarife gezwungen werden – das ist eine systematische Benachteiligung. Wir müssen diesen, aber auch alle anderen Hebel, sofort in Bewegung setzen – sonst droht der Zusammenbruch der forensisch-medizinischen Begutachtung in Österreich.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2022