Interview Alexander Moussa: E-Health in Ordinationen: „Gesundheit dauerhaft optimieren“

15.12.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Wie potentielle Angriffsflächen bei der IT-Sicherheitsstruktur aufgespürt werden können, wie ein Wechsel der Software bei der Patientendokumentation in Ordinationen reibungslos umgesetzt werden kann und was es mit einem digitalen Gesundheitspfad der Zukunft auf sich hat, darüber spricht der Allgemeinmediziner und Leiter des Referats für e-Health in Ordinationen der Österreichischen Ärztekammer, Alexander Moussa, im Interview mit Sophie Niedenzu.

Mit welchen Themen befassen Sie sich derzeit als Leiter des Referats „e-Health in Ordinationen“? Eines der wichtigsten Anliegen ist das IT-Sicherheitskonzept. Bei diesem Serviceangebot der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte der Österreichischen Ärztekammer für alle niedergelassenen Ärzte handelt es sich um einen umfassenden Online-Fragenkatalog zur Protokollierung der Datensicherheitsmaßnahmen, die gesetzlich für niedergelassene Ärzte verpflichtend ist. Mit dem Serviceangebot möchten wir den Kollegen aktiv helfen, Kosten zu sparen. Das Tool weist auf potentielle Angriffsflächen hin und dient so der Unterstützung der IT-Sicherheitsstruktur in den Ordinationen. Wir möchten hier verstärkt auf diese Möglichkeit aufmerksam machen, denn das IT-Sicherheitskonzept hilft, die Organisationsinfrastruktur technisch auf mögliche Mängel zu durchleuchten.

Der Wechsel zwischen den Anbietern für die digitale Patientendokumentation gestaltet sich für niedergelassene Ärzte oftmals schwierig – wie soll das erleichtert werden? Wir möchten die Freizügigkeit der Patientendaten optimieren und arbeiten am sogenannten Normdatensatz. Damit können wir sicherstellen, dass Ärzte einerseits die Möglichkeit haben, ihre Arztsoftwarelösungen flexibel zu wechseln, aber gleichzeitig auch die Kontinuität der Patientendokumentation erhalten bleibt und möglicher Datenverlust vermieden wird. Der Normdatensatz soll einen dauerhaften Zugriff auf die Patientendokumentation nach DSGVO gewährleisten, wenn Ärzte beispielsweise ihre Tätigkeit einstellen. Mit dem Normdatensatz können Patientendaten frei von einem System ins andere gespielt werden. Derzeit gibt es viele Brüche, wenn Ärzte – aus welchen Gründen auch immer – die Software wechseln. Das Problem ist, dass der rohe Datensalat in einer neuen Software oft nicht gleichwertig ist. Wir wollen verhindern, dass die Qualität dieses Datenschatzes, den wir durch die Arbeit am Patienten erheben, verloren geht.

Die beiden genannten Projekte sollen den Arbeitsalltag in Ordinationen unterstützen – was ist mit dem Begriff „e-Health“ noch weiter gemeint? Es geht bei dem Thema E-Health nicht nur um klassische IT-Hardware und Software-Lösungen, sondern darum, welche Angebote wir für die Gesundheitsvorsorge bieten können, das geht über die technischen Grundlagen weit hinaus. Im Zentrum sind digitale Tools, die helfen, den Gesundheitsstatus im Blick zu haben und die Gesundheit dauerhaft zu optimieren. So können digitale Plattformen die Interaktion zwischen verschiedenen Institutionen, zwischen Ärzten, Bürgern und Spitälern fördern. Wir wollen nicht einfach bestehende Prozesse digital abbilden, sondern effiziente und userfreundliche Lösungen schaffen, und das alles mit dem Ziel, die Versorgung zu verbessern. Wir als Österreichische Ärztekammer wollen hier intensiv mitarbeiten und die digitale Evolution der medizinischen Betreuung vorantreiben und optimieren.

Was sehen Sie hier bislang als größten Erfolg? Einer der größten Erfolge ist der e-Impfpass, dessen Entwicklung durch die Pandemie beschleunigt wurde. Wir waren als ÖÄK von der Konzeption an durchgehend voll eingebunden und konnten aktiv mitarbeiten. Das Tool ist aber unabhängig von der Pandemie etwas, das langfristig helfen kann, Gesundheitsdaten zu sammeln, um eine epidemiologische Situation einzuschätzen. Zudem haben die Patienten jetzt einen besseren Überblick über anstehende Auffrischungen bei den Impfungen. Bei der Entwicklung waren wir als Ärztevertreter immer beteiligt und hatten einen sehr guten Austausch. Mit ELGA haben wir leider nach wie vor keine große Freude, weil es hier unter anderem bei der Usability schwächelt. Die Digitalisierung des Mutter-Kind-Passes ist eine Vision, die wir kurz und mittelfristig anstreben, da wollen wir uns auch intensiv einbringen.

Ab wann ist eine digitale Lösung erfolgreich? Wenn sie benutzerfreundlich ist und einen tatsächlichen Mehrwert für die Patientenversorgung bietet. Digitale Anwendungen dürfen nicht Selbstzweck sein und bewährte Prozesse verlangsamen, sondern müssen eine Unterstützung sein. Letztlich geht es darum, dass wir als Ärzte die maximale Zeit für Patienten haben wollen, die wir bekommen können. Die bestmögliche digitale Lösung bringt uns nichts, wenn wir dadurch keine bessere Patientenversorgung haben. Die Digitalisierung allein ist zu wenig, wenn zugrundeliegende Verfahren und Strukturen nicht hinterfragt und adaptiert werden. Gerade in der Medizin stehen wir am Anfang einer digitalen Transformation: Es werden viele neue Modelle etabliert werden und einige werden auch abgelöst werden. Die Mitgestaltung dieser digitalen Disruption mit unserer Expertise und unserer Gestaltungskraft als Kenner des Systems ist unser oberstes Ziel.

Wie weit sind wir hier in Österreich mit den e-Health-Projekten? Grundsätzlich sehr weit, viel weiter als andere Länder. So sind wir etwa bei der Idee der elektronischen Gesundheitsakte nicht so schlecht aufgestellt. Das Problem ist vielmehr, dass wir nicht die optimale Nutzung aller im System und eine fehlende Usability haben. Grundsätzlich soll ELGA ihren Teil dazu beitragen, persönliche Gesundheitsdaten unter Ausweitung des bestehenden öffentlich-rechtlichen Schutzes hochsicher und unabhängig zu verwalten.

Was sind die Themen der Zukunft? Digitale Gesundheitsapplikationen, wie beispielsweise in Deutschland. Da sind die Apps verschreibungsfähig, etwa für die Patientenbetreuung. Wichtig ist, dass dieses Angebot öffentlich finanziert sind. Der digitale Gesundheitspfad zum Beispiel hat hier durchaus Potential. Da stehen wir ganz am Anfang in der Grundkonzeption und die politischen Entscheidungen sind noch zu treffen, aber Teile stehen schon, wie etwa das steirische Gesundheitsportal. Da sind wir als Ärztevertreter von Anfang an in den Prozess mit einbezogen worden.

Was ist hier das Ziel? Langfristig soll jeder Bürger die Möglichkeit haben, durch eine zentrale Applikation, etwa am PC oder an einem mobilen Gerät, seine Gesundheitsdaten einzusehen. So eine Applikation erinnert beispielsweise an Vorsorgetermine oder ausständige Impfungen und unterstützt in der Suche nach dem Gesundheitsangebot der Region. Sie kann auch den Austausch mit den behandelnden Ärzten fördern. Zudem sind dann die Befunde zentral abrufbar, ebenso können Arzttermine dort organisiert werden. Die öffentliche Hand kann hier viele Lösungen für eine zentrale öffentliche Plattform anbieten, was der private Markt nicht bieten kann. Was letzteres angeht, gibt es immer wieder auch Bedenken in puncto Datensicherheit. Private Lösungen kann und soll es auch geben, weil diese auch Innovationen mit sich bringen, aber der zentrale Knotenpunkt für eine digitale Gesundheitsplattform sollte die öffentliche Hand sein. Der digitale Gesundheitspfad ermöglicht es, dass sich alle Stakeholder miteinander vernetzen und auch private Anbieter von Applikationen integriert werden. Mit so einer Ebene könnten Gesundheitsdaten sicher ausgetauscht werden. Wir stehen erst am Beginn einer digitalen Transformation im Gesundheitssystem. Es ist die gesamtstaatliche Pflicht und im öffentlichen Interesse, dass diese Prozesse optimal abgebildet werden und die Ärzteschaft diesen Weg selbst mitgestaltet, sowie entsprechende Experten für die Entwicklungen einbezogen werden. Man darf den großen volkswirtschaftlichen Nutzen nicht außer Acht lassen: die gesunden Lebensjahre in Österreich sind doch einiges geringer als die durchschnittliche Lebenserwartung. Die Kosten werden wieder eingespielt, wenn der digitale Gesundheitspfad die Gesundheitsversorgung verbessert.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2022