BKNÄ: Wirkstoffverschreibung – Gefahr für Patientensicherheit

25.02.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

In der wieder aufs Tapet gebrachten Einführung der Wirkstoffverschreibung sieht die Ärztevertretung eine große Gefahr für die Patientensicherheit. Mit einer Informationskampagne wurde die Bevölkerung nun für das Thema sensibilisiert.

Sascha Bunda

Die Wirkstoffverschreibung – in größeren Teilen der Bevölkerung können sich nur wenige für das Thema erwärmen oder seine Tragweite nachvollziehen. Dabei sind die möglichen Konsequenzen für alle gravierend. Dass Rechnungshof und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein die Einführung einer Wirkstoffverschreibung ohne größere Aufklärung der Bevölkerung vorangetrieben haben, konnte die Bundeskurie niedergelassene Ärzte so nicht hinnehmen. Neben der entsprechenden Resolution im September des Vorjahres (die ÖÄZ berichtete), in der die Wirkstoffverschreibung vollinhaltlich abgelehnt wurde, startete Anfang Februar auch eine Informations- und Aufklärungskampagne, um die Öffentlichkeit für die vielen Nachteile dieser Regelung zu sensibilisieren – mit dem Slogan „Gegen Wirkstoffverschreibung – für Patientensicherheit“ sowie der Webseite www.gegenwirkstoffverschreibung.at, die mit Inseraten in den größten österreichischen Tageszeitungen, Infoscreens in den größten österreichischen Städten sowie auf den großen Internetplattformen beworben wurden.

„Die Wirkstoffverschreibung würde vorsehen, dass der Arzt statt einer bestimmten Handelsmarke nur noch den Wirkstoff verschreibt. Der Apotheker kann dann abgeben, was er für richtig hält beziehungsweise was ihm im Hinblick auf Rabatte oder andere Faktoren, die nichts mit der Gesundheit des Patienten zu tun haben, am günstigsten erscheint“, erklärte Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, bei einer Pressekonferenz zum Auftakt der Kampagne. „Wir halten schon eine mögliche Aut-idem-Regelung für sinnlos und gefährlich, das haben wir auch immer wieder dargelegt.“ Bei dieser Regelung würde der Apotheker die generelle Möglichkeit erhalten, bei wirklicher oder angeblicher Nicht-Lieferbarkeit das vom Arzt verschriebene Medikament durch ein anderes, seiner Ansicht nach wirkstoffgleiches, zu ersetzen. „Eine Wirkstoffverschreibung, bei der die Entscheidung über die tatsächlich abgegebene Arzneispezialität gänzlich vom Arzt auf den Apotheker übergeht, ist daher aus unserer Sicht eine dunkelrote Linie. Die Entscheidungshoheit muss natürlich bei den Ärzten liegen, die durch ihr jahrelanges Studium und die zusätzlichen Aus- und Weiterbildungen die nötige Kompetenz dafür mitbringen. Es kann dochnicht im Sinne der Patientensicherheit sein, diese Schlüsselrolle des Arztes in der medikamentösen Therapie infrage zu stellen!“

In kompetenten Händen bleiben

„Zunächst einmal ist eines festzuhalten: Wenn ein Arzt ein Medikament verschreibt, dann denkt er sich auch etwas dabei“, schilderte Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin und Allgemeinmediziner in Tirol: „Niemand kennt meine Patienten medizinisch besser als ich. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass eine Patientin Schluckbeschwerden hat, verschreibe ich ihr ein lösliches Medikament. Wenn nun der Apotheker, der weder das Wissen noch die medizinische Kompetenz mitbringt, nur auf den Wirkstoff schaut und dieser Patientin einfach das gibt, was er gerade auf Lager hat und dieses Präparat dann eben nicht löslich ist, dann stehen wir vor einem gravierenden und potentiell gesundheitsgefährdenden Problem“, sagt Wutscher. Zudem sei dann auch mit Haftungsproblemen zu rechnen.

Aus der Erfahrung wisse man, dass sich ein häufiger Wechsel von Medikamenten negativ auf die Compliance auswirkt. „Zudem erhöht das das Risiko von Fehl- und/oder Mehrfacheinnahmen – dass sich das ungünstig auf die Gesundung der Patienten auswirkt, kann sich wohl jeder vorstellen“, so Wutscher. „Patienten, die unter Umständen schon jahrelang ein spezielles Präparat einnehmen, orientieren sich einfach an der Verpackungsfarbe, an der Farbe der Tablette. Das Ergebnis ist eine große Verunsicherung – die Patienten nehmen die Medikamente dann gar nicht oder doppelt. Bei Aut idem wäre das ja schon schlimm genug, doch bei einer Wirkstoffverschreibung könnte ich überhaupt nicht mehr beeinflussen, was der Patient bekommt“, sagt Wutscher.

Ein weiterer Punkt, der oft übersehen werde, gehe über Form und Farbe der Medikamente hinaus – es ist der Geschmack. „Das beste Medikament ist immer das, das auch genommen wird. Wir wissen aus dem Bereich der Kinderheilkunde, dass der Geschmack einer Arznei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Lehnt ein Kind einen gewissen Geschmack ab, wovon der Apotheker nichts weiß, so bleibt oft nichts Anderes übrig, als sich ein neues Medikament verschreiben zu lassen“, führt Wutscher aus: „Diese zusätzlichen Kosten führen zusätzlich noch das Argument der Kostensenkungen durch Aut idem oder Wirkstoffverschreibung ad absurdum.“

Die einzigen, die von einer Wirkstoffverschreibung wirklich profitieren würden, wären die Apotheken, die sich möglicherweise bei der Entscheidung, welches Produkt sie abgeben, durch Argumente wie Einkaufskonditionen und Rabatte beeinflussen lassen. „Das alles zulasten der Patienten – und daher können wir nur unterstreichen, dass solche fragwürdigen Lösungen aus der Sicht der Ärztevertretung und im Sinne der Patientensicherheit rigoros abzulehnen sind!“, sagte Wutscher.

Viele Nachteile

Es habe gute Gründe, warum die Diskussion um die Wirkstoffverschreibung, die ein regelmäßig wiederkehrendes Ritual sei, den immer gleichen Ausgang finde, sagte dazu Ernst Agneter, Pharmakologe und Inhaber des Lehrstuhles für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität: „Die Wirkstoffverschreibung hätte viele Nachteile, aber kaum Vorteile.“ Der mögliche Vorteil kleinerer Lager für Apotheker würde sich nur sehr begrenzt in Lagen mit hohen Laufkundschaftsanteil auswirken, denn de facto habe jede Apotheke mit funktionierendem Warenwirtschaftssystem nur Medikamente auf Lager, die auch üblicherweise nachgefragt werden.

Sollte es Preisunterschiede bei den austauschbaren Arzneispezialitäten geben, werde die Auswahl wohl von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet, sagte auch Agneter. Die von der Sozialversicherung kolportierte Einsparung laufe aber den Interessen der Apotheker entgegen und sei insofern vernachlässigbar, als die wirklichen Einsparungen durch den Preisverfall lukriert würden und nicht durch den Austausch verschiedener Generika untereinander, sagte Agneter. Auch müsse dann vorgeschrieben werden, dass durch den Apotheker nur die günstigste Arzneispezialität des jeweiligen Wirkstoffes abgegeben werden dürfe. „Das bedingt einen gravierenden Nachteil: Diese Vorgangsweise würde zu einer akuten Gefährdung der Versorgung führen. Denn die günstigste Arzneispezialität müsste dann in diesem Monat – die Preise können einmal im Monat geändert werden – 100% des Marktes abdecken, ohne dass dies planbar ist.“

Zudem liege der Krankenkassenpreis von über 41% aller erstattungsfähigen Arzneimittelpackungen unter der Rezeptgebühr. „Mit anderen Worten wird der Großteil der Arzneimittel, welche von einer Aut-idem-Regelung umfasst wären, privat bezahlt“, so Agneter: „Der Patient darf also zahlen, hätte aber keinerlei Mitspracherecht bei der Auswahl seines Arzneimittels und bekommt in der Apotheke ein anderes als gewohnt und mit dem Arzt besprochen“, unterstrich Agneter.

Dazu kämen noch weitere Probleme, führte der Pharmakologe aus: „Wie soll zum Beispiel ein Arzt einen Nebenwirkungsbericht ausfüllen, wenn er nicht einmal weiß, was sein Patient bekommen hat?“ Ebenso könnten Aut idem oder Wirkstoffverschreibung auch einen unvermuteten Off-Label-Bereich schaffen: Bei Indikationserweiterungen des Originals, die geschützt sind, könne es vorkommen, dass das Generikum diese Indikation nicht in der Fachinformation stehen hat. „Falls hier etwas passieren sollte – wer haftet dann für diese Off-Label-Anwendung?“, stellt Agneter eine wichtige Frage. Der Arzt könnte dann ja auch nicht die entsprechende Aufklärung leisten.

Was jeder Patient tun kann

„Aut idem oder Wirkstoffverschreibung bringen keine realen Vorteile, sondern nur Nachteile. Die Argumente, die für die Einführung immer wieder vorgebracht werden, gehen ins Leere: Lieferengpässe würden sich nur noch verschlimmern und von Einsparungen kann keine Rede sein“, fasste Johannes Steinhart zusammen. Neben der Informationskampagne appelliere man auch an die Patienten: „Bestehen Sie in der Apotheke darauf, genau das Präparat zu erhalten, das ihr Arzt verschrieben hat!“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 04 / 25.02.2022