BKNÄ: Stark sinkendes Interesse am Medizinstudium

10.05.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die Zahlen sind alarmierend: Für eine Teilnahme am österreichweiten MedAT-Aufnahmeverfahren haben sich nur 15.788 Interessierte angemeldet – 2021 waren es noch 17.823. Die ÖÄZ begibt sich auf Ursachenforschung: Was diesen Schwund ausgelöst hat und welche Folgen das für  die österreichische Gesundheitsversorgung haben kann.

Thorsten Medwedeff

„Offensichtlich geh die Angst vor dem Arztberuf um“, konstatiert Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Die Zahlen sprechen für sich: 15.788 Bewerberinnen bzw. Bewerber gibt es für den MedAT 2022, der am 8. Juli an den Medizinischen Universitäten in Wien, Innsbruck und Graz sowie an der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler  Universität in Linz stattfindet. 2021 hatten sich 17.823 Interessenten für den Arztberuf angemeldet. „Das ist ein Schwund von mehr als 2.000 und ein Rückgang von mehr als 11 Prozent! Die mangelhaften Arbeits-
bedingungen, die steigende Arbeitsbelastung und die immer gravierender werdende, mangelnde Wertschätzung für unsere Ärzte zeigt offenbar erste Wirkung und schreckt vor dem Arztberuf ab. Damit dieser  Trend nicht anhält, sollten wir schleunigst diesen Fehler im System beseitigen, sonst ist unsere Gesundheitsversorgung massiv gefährdet“, sagt Mayer. Damit ist Österreich bei den Anmeldezahlen für den Aufnahmetest MedAT noch nicht einmal beim Vor-Corona-Pandemie-Niveau angekommen. 2020 hatten sich auch über 17.000 angemeldet (17.599), 2019 waren es 16.443 – man muss schon bis 2018 zurückblicken, um eine ähnlich niedrige Zahl zu finden, damals waren es 15.880 angemeldete Bewerber. Und sogar 2017 waren es mehr als heute (15.991).

Überlastung, Übergriffe und Überalterung

Was ist in diesen fünf Jahren passiert? Die Aussicht, als Arzt zu arbeiten, scheint weniger attraktiv – das ist ein Trend, vor dem die Österreichische Ärztekammer seit Jahren warnt. „Die Corona-Pandemie hat das Ganze nur noch verstärkt und die Versäumnisse der Jahre davor glasklar aufgezeigt“, resümiert Mayer. „Ausgebrannte und überlastete Ärzte, die sich auch noch verbalen und  körperlichen Angriffen ausgesetzt sehen – das ist leider keine Werbung für den Arztberuf. Dazu kommen Arbeitsbedingungen, die anstatt besser immer schlechter zu werden drohen. Es fehlen eine qualitative Ausbildungsoffensive und Ideen für Teilzeitarbeitsmodelle, die der Lebensplanung der Jungen entsprechen. Das alles macht den Arztberuf für unsere Jugend nicht besonders attraktiv.“
Diese Entwicklung kommt zu einem höchst ungünstigen  Zeitpunkt: In den kommenden Jahren steht eine Pensionierungswelle in der Ärzteschaft bevor. „Der Nachwuchs braucht jetzt neue Anreize und Gestaltungsmöglichkeiten für eine bessere Work-Life-Balance. Und nicht nur das, wir sollten uns in unserer Gesellschaft schleunigst um eine deutlich bessere Wertschätzung der Arbeit unserer Ärzte bemühen. Denn nur durch deren  aufopfernde Leistungsbereitschaft haben wir es während der Pandemie in Österreich geschafft, unsere Gesundheitsversorgung auf Top-Niveau aufrecht zu erhalten.“
Damit das auch in Zukunft gelingt, dafür sei endlich eine vorausschauende und nachhaltige Strategie in der Gesundheitspolitik gefragt. Mayer: „Alle Stakeholder in Österreich, angefangen bei der Politik, sollten gemeinsam schonungslos analysieren, wie man das Arztsein wieder attraktiver machen kann. Blanker Aktionismus ist hier fehl am Platz, wie etwa das reine Erhöhen der Studienplätze.“
Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr eine Erhöhung der Medizin-Studienplätze bis ins Jahr 2028 durch den Nationalrat geboxt. Dann wird es 2.000 geben, heuer sind es 1.850, noch im Vorjahr waren es 1.740. „Wenn wir aber gleichzeitig vom Rechnungshof vorgerechnet bekommen, dass rund 31 Prozent der Absolventen an den heimischen Medizin-Unis gar nicht in Österreich den Arztberuf ergreifen und das Interesse weiter sinkt, ist diese Maßnahme in höchstem Maße fragwürdig. Wenn wir nicht sofort handeln und den Jungärzten ein wirklich attraktives Angebot machen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir weiterhin auf unsere Kosten topausgebildete Ärzte für die Schweiz und Deutschland produzieren!“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 09 / 10.05.2022