BKNÄ: „Hausapotheke gehört zum Hausarzt“

25.04.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Wie wichtig eine Hausapotheke für den ländlichen Raum ist, kann man am besten erfahren, wenn man vor Ort mit den Menschen spricht. Mit einem Kamerateam geht es auf eine Reise durch die Bundesländer. Dabei entstand die Videoserie „Landarzt und Hausapotheke“, die nun veröffentlicht wurde.

Sascha Bunda

Unsere Reise beginnt in der Steiermark. Gasen im Bezirk Weiz ist eine ländliche Gemeinde par excellence. Wald und landwirtschaftlich genutzte Flächen prägen den Ort. Knapp über 800 Einwohner leben hier, überregional ist der Ort vielleicht als Heimatgemeinde der volkstümlichen Musikgruppe „Stoakogler“ bekannt. Die nächste öffentliche Apotheke ist 13 Autokilometer entfernt, öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht und wer die kurvigen Strecken durch den Wald kennenlernt, kann sich gut vorstellen, dass das in der Nacht, bei Regen oder im Winter keine allzu angenehme Reise ist. Wir treffen Bürgermeister Erwin Gruber zum Gespräch. „Wir sind hier sehr abgelegen“, beginnt er: „Darum ist es so wichtig, dass nicht der Patient zum Medikament fährt, sondern das Medikament wohnortnah beim Arzt vorhanden ist“, erklärt er die Wichtigkeit der Hausapotheke im Ort. „Ein Verlust der Hausapotheke wäre für uns fatal“, erklärt Gruber. Es würden unmittelbar Arbeitsplätze verloren gehen, die Versorgung mit Medikamenten und langfristig dann wahrscheinlich auch mit ärztlichen Dienstleistungen wäre nicht mehr gesichert.“ Eine halbe Autostunde weiter treffen wir in Puch bei Weiz Andreas Kirisits. Der Allgemeinmediziner mit Hausapotheke ist stolz auf den Service, den er bieten kann. „Natürlich ist es angenehm, nur einen Weg zu haben und manchmal auch gar keinen Weg. Patienten, die aus der Großstadt kommen, sind oft sehr erstaunt – denn diesen Service kennen sie nicht, dass ich bis ans Nachtkasterl liefere. Oft auch zu ungewöhnlichen Zeiten wie am Wochenende oder in den Abendstunden,“ erzählt Kirisits. Ohne Hausapotheke müsste er stattdessen Patienten einen Zettel in die Hand drücken – „einem kranken Patienten zuhause, der zum Beispiel 39 Grad Fieber hat –, und dieser müsste sich selbst darum kümmern, wie das Medikament zu ihm kommt“, schildert Kirisits die Bedeutung der Hausapotheke.

„Katastrophe Kilometergrenze“

Der nächste Lokalaugenschein führt uns in die niederösterreichische Gemeinde Stetten. Hier ordiniert die Allgemeinmedizinerin Martina Hasenhündl – ohne Hausapotheke. Obwohl die Bezirkshauptstadt Korneuburg nur fünf Straßenkilometer und die Wiener Stadtgrenze nur 18 Kilometer entfernt sind, ist das schon ein großes Problem für ihre Patienten. „Vor allem am Abend haben ältere Menschen, die nicht mehr mobil sind, oder auch Alleinerziehende, gar keine Chance, zur Nachtapotheke zu kommen. Die müssen bis Montag warten, um mit dem Autobus nach Korneuburg zu kommen“, erzählte Bürgermeister Thomas Windsor-Seifert und konstatiert: „Die Kilometergrenze ist für uns eine Katastrophe.“

„Gesundheit muss dir als Gemeinde und als Bürgermeister etwas wert sein“, sagt Windsor-Seifert. Daher habe man auch in das Ordinationsgebäude investiert. Aber ohne Hausapotheke werde es natürlich schwer, die ärztliche Versorgung in der Gemeinde aufrechtzuerhalten, ist dem Bürgermeister klar. „Alte Menschen sind immer auf die Hilfe durch Nachbarn oder Angehörige angewiesen. Oft gibt es die aber nicht mehr, weil die Menschen alleine sind“, erzählt Hasenhündl. „Wir fahren auf Visite, weil der Patient aufgrund seines Zustandes nicht zu uns kommen kann, stellen dort eine Diagnose, eine Therapie und ein Rezept aus. Und dann stellt sich die Frage, wie der Patient, der ja so krank ist, dass er nicht zu mir kommen kann, zu seinem Medikament kommt. Er muss wieder einen Weg finden, dass ihm das jemand holt. Hier ist es besonders eklatant, wie insuffizient diese Versorgung ist.“

„Wehren bis zum Anschlag“

Wir machen Station in Oberösterreich. In der malerischen Innviertler Marktgemeinde Eberschwang wollte sich vor gut zehn Jahren eine öffentliche Apotheke ansiedeln, was für die beiden hausapothekenführenden Ärzte in der Gemeinde eine deutlich schwierigere bis unmögliche Nachfolgersuche bedeutet hätte. Der Bürgermeister, alle Fraktionen des Gemeinderates, die Ärzte und die Bevölkerung setzten sich mit allen Mitteln gegen die öffentliche Apotheke zur Wehr, sammelten über 1.300 Unterschriften in der 3.500-Einwohner-Gemeinde und hatten am Ende Erfolg. „Es ist ganz wichtig, sich dagegen zu wehren – bis zum Anschlag. Die Hausapotheke gehört zum Hausarzt und der Hausarzt gehört in jede Gemeinde wie die Kirche, das Gemeindeamt und der Kirchenwirt“, bringt es Bürgermeister Josef Bleckenwegner, auch damals als Ortschef federführend beteiligt, auf den Punkt. Die Frage, was der Verlust der Hausapotheke für seine Gemeinde bedeuten würde, entlockt dem Bürgermeister ein deutliches Seufzen. „Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann. Gemeinden haben ohnehin mit der Infrastruktur zu kämpfen, die Ausdünnung des ländlichen Raumes ist kein leeres Schlagwort, sondern ein spürbares Thema in vielen Gemeinden. Viele Bürgermeisterkollegen, mit denen ich spreche, blicken ein bisschen neidvoll nach Eberschwang, dass wir den Verlust verhindern konnten.“

„Für den Ort hätte es bedeutet, dass wir ohne Hausapotheke keine Nachbesetzung mehr gefunden hätten. Eberschwang wäre zu einer Einarztgemeinde und schlussendlich wohl zu einer Nullarztgemeinde geworden. Da wäre es vorbei gewesen“, schildert Silvester Hutgrabner, Allgemeinmediziner und Leiter des ÖÄK-Hausapothekenreferates. „Jeder, der als Patient eine Hausapotheke kennt, der kann sich gar nichts anderes mehr vorstellen. Zehn, zwanzig Kilometer pro Strecke fahren zu müssen, ist für unsere Patienten unvorstellbar“, so Hutgrabner, dem eines besonders wichtig ist: „Wir wollen keine öffentlichen Apotheken zusperren, aber wir sollten endlich aufhören, dauernd Hausapotheken zuzusperren“, appelliert der Allgemeinmediziner für ein duales System.

Vor der Ordination treffen wir Patienten von Hutgrabner zum Gespräch. „Ich habe weder ein Fahrzeug noch einen Führerschein – ohne Hausapotheke wäre das für uns, die ältere Bevölkerung, eine ganz schwierige Sache. Zudem weiß ich bei meinem Hausarzt, dem ich vertraue, dass ich mich ihm mit meiner Krankheit anvertrauen kann“, erzählt uns ein Herr.

Der Fall Retzbach

Welche skurrilen Folgen der anachronistische Gebietsschutz mit Mindestabstand zwischen ärztlicher Hausapotheke und öffentlicher Apotheke haben kann, zeigt der Besuch in der Gemeinde Retzbach im nördlichen Niederösterreich, wenige Kilometer von der Grenze zu Tschechien entfernt. Hier hat sich die Allgemeinmedizinerin Sandra Sprung mit großer finanzieller Unterstützung der Gemeinde eine moderne Ordination eingerichtet. Unter der Tafel am Gebäude, die die Ordinationszeiten zeigt, ist eine weitere Tafel angebracht – sie ist leer. Und sie wird auch leer bleiben. Hier hätte eigentlich der Hinweis auf die Hausapotheke stehen sollen, die bereits von der Bezirkshauptmannschaft bewilligt war, der Abstand zur öffentlichen Apotheke in Retz wurde mit 6.071 Metern gemessen. Doch als die Apotheke ihren Standort vom Hauptplatz extra in das benachbarte Industriegebiet verlegte, wurde die Bewilligung vom Landesverwaltungsgericht abgewiesen – jetzt war der Abstand zu gering. Die Gemeinde und die Ärztin kämpften verzweifelt um die Hausapotheke, es folgten eine Unterschriftenaktion und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der an den Verwaltungsgerichtshof übergab – letztendlich blieb das Unterfangen erfolglos. „Die Bedeutung einer Hausapotheke für eine Gemeinde und für die Bevölkerung ist evident, denn es ist klar, dass es für viele Bewohner, vor allem für ältere Leute, eine enorme Erleichterung bedeutet, wenn sie ihre Medikamente direkt über die Hausapotheke bekommen“, erklärte uns Vizebürgermeister Alois Binder. Der Ärger in der Gemeinde ist nun entsprechend groß: „Es kann nicht sein, dass die Apotheken ihre Geschäfte auf Kosten von einigen hundert Leuten in einer Gemeinde machen“, stellte Binder den Gebietsschutz in Frage. Auch Sprung selbst zeigte sich ebenso wie ihre Patienten erschüttert: „Irgendwie verliert man das Vertrauen in das Rechtssystem. Man muss sich fragen: Ist das noch der Sinn der Sache? Geht es um den Patienten oder geht es um den Profit?“ Sie verwies auf ihre Ordinationszeiten, die bisweilen bis 18 Uhr dauern. „Der Patient bekommt an diesem Tag nicht mehr die Medikamente, die er bräuchte. Mit Hausapotheke hingegen geht der Patient mit seinem Sackerl nach Hause.“

Alle Videos der Reihe finden Sie unter www.aerztekammer.at/landarzt-und-hausapotheke

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 08 / 25.04.2022