BKAÄ: Diagnose – Personalmangel: Quod erat demonstrandum

26.10.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Zu wenig medizinisches Fachpersonal, Zweifel an fairer Gesundheitsversorgung und ein genereller Optimierungsbedarf im österreichischen Gesundheitssystem – das sind die zentralen Ergebnisse des neuesten Austrian Health Reports. Für die Österreichische Ärztekammer nicht überraschend: Seit Jahren weist sie auf Probleme im Gesundheitssystem hin.

Thorsten Medwedeff

Wie fair, fit und effizient ist das österreichische Gesundheitssystem? Mit dieser Fragestellung befasste sich der Austrian Health Report des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES). Dabei wurden einerseits 801 Personen aus der breiten Bevölkerung, andererseits 460 Health Care Professionals um ihre Meinung zum Gesundheitssystem gefragt. 84 Prozent der Befragten in der breiten Bevölkerung befinden, es gebe zu wenig Personal im Gesundheitswesen, eine Aufstockung müsse dringend her. Für Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte zeigt dies eindeutig, dass die Bevölkerung genau erkannte habe, dass das Gesundheitssystem am akuten Personalmangel kranke: „Das unterstreicht unsere jahrelangen Forderungen nach mehr ärztlichem Personal in den Spitälern. Wenn es schon die Bevölkerung schmerzhaft sieht und fühlt, woran es hapert, dann müsste jetzt auch die Politik endlich aufwachen und reagieren“, fordert Mayer. Unter den befragten Health Care Professionals (HCP) hatten sogar 92 Prozent angegeben, dass sie mehr Personal für nötig erachten (siehe Abb. 1).

Was die Bundeskurie der angestellten Ärzte seit Jahren immer wieder betont, ist offenbar nach wie vor das dringendste Problem. Das Personal sei immer noch das Nadelöhr der Gesundheitsversorgung, betont der ÖÄK-Vizepräsident: „Die Pandemie hat gezeigt: Bevor uns die Spitalsbetten ausgehen, geht uns das qualifizierte Personal aus. Diese Engstelle können wir nur sprengen, indem die Politik und die Spitalsträger in die wichtigste Ressource im Spital, ins Personal, zu investieren beginnen – und zwar jetzt und sofort und nicht erst übermorgen.“ Einmal mehr verweist Mayer auf einen Zehn-Punkte-Plan zur Bekämpfung des Personalmangels, den er auch auf der Spitals-Enquete der Bundeskurie der angestellten Ärzte der ÖÄK, gemeinsam mit der MedUni Wien („Wieviel Personal braucht das Spital?“), am 22. September in Wien vorgestellt hat. Die wichtigsten Maßnahmen laut dem ÖÄK-Vizepräsidenten sind demnach:

  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Spital u.a. durch Besetzung offener Dienststellen und leistungsgerechte Entlohnung. Höhere Leistungen benötigen mehr Fachpersonal, das wiederum verbessert die Arbeitsbedingungen. Gleiches sollte laut BKAÄ für andere Spitalsbereiche gelten, ganz besonders in der Pflege oder im Palliativbereich
  • Einhaltung des KA-AZG ohne versteckte Überstunden
  • Personelle Engpässe dürfen nicht durch eine Erhöhung der Arbeitszeit ausgeglichen werden, Primarärzte sind keine Personalreserve
  • Investitionen in eine dringende, qualitative Ausbildungsoffensive
  • Innovative, flexible Work-Life-Balance-Modell zulassen, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts und den Bedürfnissen der jeweiligen Lebenssituation entsprechen
  • Reduktion von bürokratischen Tätigkeiten, um mehr Zeit für die Patienten zu haben
  • Steuerung von Patientenströmen zur Entlastung der Spitalsambulanzen, unabhängig von einer Pandemie

Mayer betont aber auch, dass vor allem der niedergelassene Kassenbereich wieder stärker versorgungsrelevant sein muss: „Der Effekt der dadurch entstehen würde, entlastet die Spitalsambulanzen. Denn nicht jeder Patient muss gleich in ein Spital kommen, daher wäre es zum Beispiel sinnvoll, vorgelagerte Strukturen mit behandelnden Ärzten vor jedem Krankenhaus zu haben.“

Die Zeit der Ausbeutung ist vorbei

Was der Austrian Health Report auch zeigt: nur noch 56 Prozent der Bevölkerung und 54 Prozent der HCPs sind mit dem österreichischen Gesundheitssystem zufrieden. Für Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, sei dieses noch vorhandene große Vertrauen ein Ergebnis des unermüdlichen und persönlichen Einsatzes der Ärzte: „Nicht nur in der Pandemie, sondern auch darüber hinaus wurden – und werden immer noch – oft die persönlichen Belastungsgrenzen auf die Probe gestellt“, betont Steinhart: „Sowohl in den Spitälern als auch in der Niederlassung basiert die Gesundheitsversorgung aber oftmals auf der Ausbeutung der Ressource Arzt.“ So könne – und werde – es nicht weitergehen, prognostiziert der ÖÄK-Präsident: Wochenarbeitszeiten in den Spitälern, die weit über die durchschnittlichen Belastungen am Arbeitsmarkt hinausgingen und Hausärzte, die sich 24 Stunden täglich als verantwortlich für die Gesundheitsversorgung in ihrer Gemeinde sehen – diese Beispiele hätten mitgeholfen, dass das österreichische Gesundheitssystem im internationalen Vergleich als vorbildlich gelte, doch: „Die Zeiten der Einzelkämpfer und der Selbstausbeutung nähern sich ihrem Ende.“ Denn die neue Ärztegeneration möchte Arbeit und Privatleben besser als bisher in eine optimale Balance bringen. Das stelle das Gesundheitssystem vor neue, große Herausforderungen, denn eines sei klar: „Entweder wird das möglich gemacht oder die besten Köpfe verlassen unser Land“, sagt Steinhart.

Das wiederum würde den akuten Personalmangel noch weiter befeuern – bis hin zum Flächenbrand, sprich: dem Zusammenbruch der gewohnt starken Versorgungsstruktur im heimischen Gesundheitssystem. Umso schwerer begreifbar sei es daher, dass Gesundheitsökonomen schon wieder von Einsparungen bei Spitalsbetten fabulieren und dass es im Bestreben, mehr Personal zu generieren: „Zwangsphantasien dahingehend gibt, wo man Ärzte nicht überall verpflichtend einsetzen möchte – das werden wir als Ärztekammer vehement bekämpfen“, betont Steinhart. Zudem müsse ein Abdriften in Richtung Zwei-Klassen-Medizin verhindert werden, denn das Ziel müsse eine qualitativ hochwertige Versorgung für alle bleiben. Und die aktuelle Befragung zeigt. Nur 22 Prozent der Befragten in der Bevölkerung empfinden die Gesundheitsversorgung als fair und glauben, dass alle gleich gute Behandlungen erhalten. „Das öffentliche System muss so attraktiv sein, dass man gerne darin arbeitet. Dazu gehört auch eine entsprechende Entlohnung“, warnt Mayer abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2022