Liquid Biopsy und Epigenetik

27.09.2021 | Schwerpunkt Forschung

Die Analyse von Tumor-DNA mit Hilfe von Liquid Biopsy lässt epigenetische Muster erkennen. Die Kombination mit zielgerichteter molekularer Bildgebung ermöglicht ein holistisches Bild des Tumorgeschehens, die Eingrenzung der Tumor-Entität sowie die zielgenaue Festlegung von Prognose und Therapie.
Manuela-C. Warscher

Epigenetik ist die Verbindung zwischen Genomdaten und Erkrankung. Die epigenetische Regulation beeinflusst die Entstehung von (Tumor-) Erkrankungen. Bei vielen Krankheiten sind diese epigenetischen Mechanismen allerdings gestört, sodass Gene zur falschen Zeit in den falschen Zellen aktiv oder inaktiv sind. So konnten Forscher des Wiener CeMM (Center for Molecular Medicine) kürzlich das Protein BRD4 als entscheidenden Marker von Tumor-Erkrankungen identifizieren: Es gelang ihnen mit Hilfe der Liquid Biopsy aufzuzeigen, wie die epigenetischen Signaturen von Knochentumoren wie etwa jene des Ewing-Sarkoms bei Kindern für die personalisierte Diagnose und Therapie genützt werden können. „Epigenetische Analysen zeigen das Profil jeder einzelnen Zelle und erlauben beispielsweise eine Prognose über die Wirkung einer Arzneimitteltherapie“, sagt Univ. Prof. Markus Mitterhauser vom Institut für Nuklearmedizin des Ludwig-Boltzmann-Instituts Applied Diagnostics an der Medizinischen Universität Wien. Allerdings bergen zielgerichtete Therapien das Risiko von Resistenzen. Umso wichtiger ist es, prädiktive und therapeutische Biomarker zu überwachen. In den vergangenen zehn Jahren haben sich zirkulierende Tumorzellen (CTC) und Tumor-DNA (ctDNA) als neue Biomarker der translationalen Forschung durchgesetzt.

Snapshot des Tumors

Dabei birgt vor allem die Tumor-DNA das Potential für die künftige Anwendung von Liquid Biopsy im klinischen Alltag; nicht zuletzt deswegen, weil die klassische Gewebebiopsie als Grundlage der pathologischen Routinediagnostik „an ihre Grenzen“ stoße, wie Mitterhauser ausführt. Die klassische Befundung liefere lediglich einen Snapshot des Tumors, der sich im Laufe der Zeit oder durch Therapie unzählige Male verändere. „Daher genügt eine einzige Biopsie nicht, um ein umfassendes Bild der Krankheit zu erhalten.“ Dieses umfassende Bild könnte die wiederholte Flüssigbiopsie aus Speichel, Blut oder Urin liefern. „Doch histomorphologische Untersuchungen bleiben State of the Art. Molekulare Tumordiagnostikmethoden werden diese ergänzen, aber nicht ersetzen“, erklärt Univ. Prof. Gerda Egger vom Institut für Pathologie der Medizinischen Universität Wien.

Heterogenität des Tumors

Von gesunden wie auch entarteten Zellen gelangen durch Nekrose- und Apoptose-Prozesse Genfragmente in die Blutbahn. Eine Analyse dieser Tumor-DNA durch Liquid Biopsy ermöglicht es, die Tumor-Entität einzugrenzen sowie Prognose und Therapie zielgenauer festzulegen. Auf diese Weise könne einerseits ein Gesamtüberblick über das Tumorwachstum erlangt werden; andererseits ermögliche diese minimal-invasive Methode eine engmaschige Beobachtung des Tumors, sagt Egger. „Auf Basis der abgestorbenen Tumor-Zellen lässt sich die Heterogenität des Tumors leichter charakterisieren. Außerdem kann mit der frei zirkulierenden Tumor-DNA die Tumorlast quantitativ bestimmt werden.“

Die Möglichkeit, Liquid Biopsy auch in der Früherkennung anzuwenden, birgt allerdings noch Probleme, da sowohl die Menge der freizirkulierenden Tumor-DNA als auch jene in Tumor-Frühstadien im Blut zu gering und nicht nachweisbar ist. „Ein verlässlicher Nachweis ist oft erst bei fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren möglich“, so Egger. Deshalbmüsse Liquid Biopsy immer in Verbindung mit anderen diagnostischen Verfahren wie der molekularen Bildgebung stattfinden. „In naher Zukunft ist nicht absehbar, dass sie als einzige Diagnose eingesetzt wird.“

Holistisches Bild vom Tumorgeschehen

Während es die Liquid Biopsie ermöglicht, epigenetische Muster zu erkennen, zeigt die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) die Eigenschaften im Inneren des Tumors (siehe Kasten). „Die Ergebnisse der Liquid Biopsy müssen durch eine zielgerichtete Bildgebung spezifiziert werden. Das Bild vom Tumorgeschehen wird damit holistischer“, bekräftigt Mitterhauser. Der Einsatz diverser bildgebender Verfahren in der Diagnostik und in der Therapie-Kontrolle ist heute zentral. „Mit der PET-CT lässt sich sowohl das Ansprechen auf die Chemotherapie ausmachen als auch im weiteren Therapieverlauf erkennen, ob Rezidive auftreten“, so der Experte. Ein exakterer Einblick in die Tumorbiologie jedes einzelnen Patienten ist beispielsweise mit der FDG-PET (F-18 Fluordesoxyglukose-PET) möglich. Darüber hinaus wurden bislang spezifische Tracer zum Nachweis der Apoptose, der Gefäßneubildung, des Aminosäurebedarfs oder der Hypoxie entwickelt. Dennoch: Trotz aller Fortschritte stoßen die bildgebenden Methoden an ihre Grenzen, wenn es beispielsweise um Kinder und Jugendliche geht, bei denen eine „wiederholte Gabe von Radiodiagnostika“ nicht ratsam ist. Wichtig sei allerdings, so Mitterhauser, der österreichweit flächen-deckende Einsatz der molekularen Bildgebung. „Die Diagnose kann nicht davon abhängig sein, wo ich lebe: in Wien oder in einem Bundesland.“ Deutlich über eine Million Euro kostet die Infrastruktur eines PET-CTs. „Hier muss gefragt werden: Was kostet ein Toter und eine nicht-funktionierende Therapie?“

Patient endet nicht beim Biomarker

Personalisierte Medizin höre in Österreich nämlich häufig auf, sobald eine Therapie festgelegt ist. „Aber das geht nicht weit genug. Denn ein Patient endet nicht beim Biomarker“, gibt Mitterhauser zu bedenken. So verlasse beispielsweise ein 54-Jähriger mit einem Prostatakarzinom zwar nach einer erfolgreichen Operation das Krankenhaus – allerdings impotent und inkontinent. Patientenbetreuung reiche jedoch weit über medizinische Themen hinaus. „Die personalisierte Medizin, wie wir sie weitläufig verstehen, bedeutet Hightech Biomarker Medicine, die die Person als Person vernachlässigt“, bedauert Mitterhauser. In diese Kerbe schlägt auch Univ. Prof. Barbara Prainsack vom Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien: „Wir sollten nicht nur auf die Segnungen der Genom-Analyse und Big Data vertrauen, sondern die persönlichen und sozialen Aspekte der Gesundheit systematischer betrachten.“ Der Kontakt zwischen Arzt und Patient müsse innerhalb der personalisierten Medizin wichtiger werden, betonen die beiden Experten unisono. „Eine Umfrage unter Patienten, die an einem Prostata-Karzinom leiden, hat gezeigt, dass niemand für den Patienten Zeit hat“, unterstreicht Mitterhauser die Bemühungen der Initiative PATIO (Patient Involvement in Oncology, Anm.: Das Projekt möchte Prostatakrebsbetroffene in die Forschung einbinden, um den Alltag mit dem Krebs zu erleichtern), deren Ziel es sei, „hinzuschauen“. Der Allgemeinmediziner sei hier „zentrale und zugleich wichtigste Anlaufstelle“, wie Mitterhauser betont. „Er ist der Künstler mit direktem Kontakt zum Patienten“.


Prädiktive und prognostische Biomarker

Am Ludwig Boltzmann Institute Applied Diagnostics in Wien arbeiten Forscher um Gerda Egger und Markus Mitterhauser an prädiktiven und prognostischen Biomarkern beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom und Kolorektal-Karzinom, mit deren Hilfe das Ansprechen der Therapie überwacht werden soll. In einem ersten Schritt haben die Wissenschafter molekulare Ziele wie Mutationen oder Gen-Expression definiert, die für eine molekulare PET/SPECT-Bildgebung und für Flüssigbiopsien geeignet sind. Darüber hinaus entwickeln und charakterisieren sie präklinische Modelle des Hormon-refraktären Prostata-Karzinoms und metastasierenden Kolorektal-Karzinoms basierend auf Organoiden und PDX (Patient-Derived Xenograft)-Mausmodellen. An diesen Modellen werden präklinische Evaluierungen von etablierten Markern durchgeführt, Tumor-biologische Fragen erforscht und Arzneimitteltests realisiert, um neuartige Therapieziele und prädiktive Marker zu identifizieren.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 /25.09.2021