Versorgung nach Unfall und Krankheit: Rehabilitation ins Leben

25.02.2021 | Politik


Die Definition von individuell richtigen Zielen ist maßgeblich für den Erfolg von Rehabilitations-Maßnahmen. Die Betroffenen sollen dazu befähigt werden, wieder in den Arbeitsprozess einsteigen zu können. Denn Studien zeigen: nicht arbeiten macht krank.
Sophie Fessl

In Österreich wird Rehabilitation von Seiten der Sozialversicherungsträger sehr ernst genommen – mittlerweile auch von der Politik, weil wir in der COVID-Zeit gezeigt haben, wofür die Rehabilitationseinrichtungen stehen“, betont PVA-Chefarzt Martin Skoumal. Je nach Kostenträger unterscheidet sich die Zielsetzung der Rehabilitation. In der Pensionsversicherung wird Rehabilitation mit dem Ziel gewährt, dass Menschen im Berufsleben und in der Gesellschaft wieder einen angemessenen Platz einnehmen können. „Sinn einer Rehabilitation ist die Wiederherstellung oder der Erhalt der Erwerbsfähigkeit sowie die Verminderung der Pflegebedürftigkeit“, erklärt Skoumal. In der Unfallversicherung wiederum ist es das Ziel, nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit ebenfalls wieder eine Teilhabe am Berufsleben und gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Bei der Krankenversicherung ist es andererseits das Ziel, den Erfolg einer Akutbehandlung zu sichern und Krankheitsfolgen zu erleichtern, sodass die Selbsthilfefähigkeit erhalten bleibt.

„Uns interessiert die Teilhabe: Wie kann der bestmögliche Zustand mit dem Grad der Behinderung erreicht werden, damit ich an meinem Leben teilhabe – am beruflichen Leben wie auch am sozialen?“, erläutert Skoumal. Sowohl Selbstständigkeit als auch Eigenständigkeit sollen erhalten bleiben, um die Pflegebedürftigkeit zu verringern. „So werden auch die Reha-Ziele individuell vereinbart. Was möchte ich erreichen, und wie ist das möglich?“

Funktionelle Ziele wählen

Die Wahl funktioneller Ziele sieht auch Christian Wiederer, Ärztlicher Direktor vom Klinikum am Kurpark Baden als vordergründig. „Wir beschäftigen uns nicht mit allgemeinen Zielen wie Schmerz oder Grad der Beweglichkeit, sondern damit, was für die Partizipation wichtig ist, was für meine Aktivitäten im Beruf, Alltag und Sozialleben wichtig ist. Es geht nicht darum, ob ich das Knie auf 90 oder 105 Grad abbiegen kann, sondern ob ich Stiegen steigen und damit meine Wohnung erreichen oder mich selbstständig an- und ausziehen oder meinen Lieblingssport ausüben kann.“

Diese partizipativen Ziele werden individuell mit dem Patienten zu Beginn der Rehabilitation vereinbart. Vielfach braucht es hier noch ein Umdenken der Patienten, berichtet Wiederer aus der Praxis. „Oft sind Patienten überrascht über die Frage nach dem persönlichen Ziel und müssen länger überlegen, was wirklich wichtig für sie ist, was für sie besser werden muss.“ Doch diese Definition individuell wichtiger Ziele ist maßgeblich für den Erfolg der Reha-Maßnahmen. „Das Engagement der Patienten ist für den Erfolg der Rehabilitation notwendig. Und wenn ein Ziel für den Patienten interessant ist, ist der Patient viel motivierter, die Rehabilitation mit großem Einsatz zu machen.“

Im Jahr 2018 gab es laut Statistik Austria österreichweit rund 154.500 Rehabilitationsaufenthalte mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 23,8 Tagen. 79 Krankenanstalten stehen für Rehabilitation zur Verfügung, 29 für die Langzeitversorgung und drei für „Genesung und Prävention“. Der häufigste Grund für einen Rehabilitationsaufenthalt war eine Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparats – auf diese Indikation entfielen 55.748 Aufenthalte –, gefolgt von Erkrankungen des Kreislaufsystems mit 32.621 Aufenthalten sowie Verletzungen und Vergiftungen mit 18.380 Aufenthalten. Weiters waren Krebserkrankungen und Erkrankungen des Nervensystems Gründe für Rehabilitationsaufenthalte.

Unter Beziehern von Rehabilitationsgeld – bei vorübergehender Invalidität beziehungsweise Berufsunfähigkeit – entfielen im Jahr 2019 die meisten Bewilligungen auf psychiatrische Rehabilitationsmaßnahmen, auf Maßnahmen im Bereich des Bewegungs- und Stützapparates sowie auf Maßnahmen im Bereich der Neurologie.

Für Wiederer ist auch die Unterscheidung für den Zuweiser zwischen den Zielen und Möglichkeiten einer Rehabilitation oder einer Kur oder einer Gesundheitsvorsorge aktiv wichtig. „Sobald ein Problem behandlungsbedürftig ist, Schäden oder Veränderungen entstehen, sollte der Patient in die Rehabilitation kommen. Eine Kur oder Gesundheitsvorsorge ist für die Vorsorge gedacht. Doch leider wird teilweise von zuweisenden Ärzten nicht so genau zwischen diesen Schienen unterschieden.“

Nach einer Rehabilitation der Phase II – einem Anschlussheilverfahren, einer Rehabilitation nach Unfall oder einem Rehabilitationsheilverfahren – gibt es drei Möglichkeiten. Ein Teil der Patienten kann nach einer Rehabilitation wieder zurück in den Beruf. Für einen weiteren Teil ist eine Rückkehr in den ursprünglichen Beruf nicht möglich: Hier sieht die PVA vor, dass Patienten in einer beruflichen Rehabilitation umgeschult werden und einen anderen Beruf ergreifen. „Bei der dritten Gruppe kann man sehen, dass sie es wieder in ihren Beruf zurückschaffen wird, aber noch nicht jetzt, sie benötigt noch gezielte Maßnahmen. Diese Gruppe trainieren wir im RehaJET auf den Arbeitsplatz hin“, berichtet Skoumal.

RehaJET steht für Rehabilitation für Job, Erwerbsfähigkeit und Teilhabe. Dieses Programm der PVA verknüpft medizinische und berufliche Rehabilitation. In Workparks wird die genaue Arbeitssituation simuliert und trainiert. So wurden bereits die Arbeitsbedürfnisse von LKW-Fahrern, Bäckern, Eurofighter-Piloten, sitzenden Bürokräften oder Bauarbeitern nachgebaut. „Das Programm ist aufwändig, aber erste Evaluierungen zeigen erfreuliche Ergebnisse“, berichtet Skoumal. Der RehaJET soll mit neuen Leistungsprofilen auch auf die Vertragspartner ausgerollt werden. „Grundsätzlich möchten wir Menschen wieder in ihrem Arbeitsprozess befähigen, da Studien zeigen: nicht arbeiten macht krank.“

2020 waren auch die Rehabilitationseinrichtungen durch COVID gefordert. Einerseits waren Rehabilitationseinrichtungen zeitweise geschlossen, andererseits entlasteten diese die Akutspitäler durch Fast-Track-Bewilligungen, erinnert Skoumal. „Wir konnten Patienten sehr zeitig zur Frühmobilisation aus den Spitälern holen und erhöhten so die Kapazität der Spitäler.“ Weiters werden spezielle Rehabilitationsmaßnahmen, besonders im Bereich der Lungenrehabilitation angeboten. „Wir sehen COVID-Patienten mit immensen Lungenproblemen, aber auch kardiologischen und neurologischen Problemen, die ein individuelles Reha-Programm benötigen.“ Auch im Bereich der psychiatrischen Rehabilitation könnten Maßnahmen für COVID-Patienten notwendig werden, um die Auswirkungen von reduziertem körperlichen und kommunikativen Kontakt auf Intensivstationen abzufangen.

Trotz nur dreiwöchiger Schließung vom Klinikum am Kurpark Baden sieht Wiederer Auswirkungen auf die Patienten, deren Rehabilitation verschoben wurde. „Gerade wo eine rasche Rehabilitation benötigt wird wie bei Gelenksersatzoperationen haben wir eine deutliche Verschlechterung der Funktion beobachtet. Teils mussten Aufenthalte dann verlängert werden, bei anderen Patienten war ein weiterer Aufenthalt notwendig.“ Gleichzeitig wurden Hygiene- und Präventionsmaßnahmen umgesetzt. „Unter Beachtung der Sicherheitsmaßnahmen stellt die Rehabilitation eine sichere Therapie dar. Es ist noch in keinem Rehabilitationszentrum ein Cluster an COVID-Infektionen aufgetreten. Wir sind ein sicherer Ort. Dazu sind wir auch unseren Patienten gegenüber verpflichtet.“

Ausbau der ambulanten Rehabilitation

Während der Schließung der stationären Rehabilitationseinrichtungen bestand auch keine Möglichkeit für eine ambulante Rehabilitation, was die Situation laut Wiederer erschwerte. Auf einen Ausbau dieser ambulanten Rehabilitation möchte die PVA auch in Zukunft setzen, erklärt Skoumal. „2020 gelang es uns, mit Vertragsvergaben die ambulanten Zentren stark auszubauen. Wir decken so fast 70 Prozent der Bevölkerung ab, die in ambulanten Rehabilitationszentren versorgt werden könnten.“ In nordischen Ländern wird Rehabilitation zum Großteil ambulant oder als Tele-Rehabilitation durchgeführt, in Österreich soll der stationäre Bereich nicht mehr stark erweitert werden. „Der Trend geht hin zur ambulanten Rehabilitation.“

Wo eine ambulante Rehabilitation nicht möglich ist, soll in Zukunft auf Tele-Rehabilitation gesetzt werden, so Skoumal. Seit Jänner dieses Jahres gibt es einen Probebetrieb für Tele-Rehabilitation im PVA Zentrum für ambulante Rehabilitation in Graz sowie im PVA Reha-Zentrum Bad Schallerbach. „Mit App und via Video wird eine Tele-Rehabilitation angeboten. Im Testbetrieb möchten wir sehen wie die Technik funktioniert, wie das Angebot angenommen wird und wie Patienten damit umgehen können.“

Außerdem wird eine Plattform für Tele-Rehabilitation entwickelt, die ergänzend zur Rehabilitation der Phase 3 flächendeckend angeboten werden soll. Auch ein Programm für pflegende Angehörige wird gestartet. Sie sollen psychisch und therapeutisch entlastet werden, aber auch geschult werden, etwa in der richtigen Mobilisierung der Pflegebedürftigen.

Wiederer sieht in der Rehabilitation einen Trend in Richtung persönlicher, individueller Betreuung. „Es werden die Ansprüche höher werden, aber da die Ergebnisse individueller sind, wird die Rehabilitation den Einzelnen auch weiter bringen. Die Schwerpunkte werden ausgeprägter, die Partizipation wichtiger.“

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2021