Recht: Haftung für Impfschäden beim Off-Label-Use

27.09.2021 | Politik

Mit der Frage über eine allfällige Haftung für Schäden, die speziell die Off-Label-Anwendung von Impfstoffen betrifft, befasst sich der folgende Beitrag.
Christiane Wendehorst*

Seit der breitflächigen Verfügbarkeit von Impfstoffen gegen COVID-19 hat auch die Diskussion über eine allfällige Haftung für Schäden, welche durch die Impfung verursacht werden könnten, größeren Raum eingenommen. Besonders groß ist die Verunsicherung, was eine sogenannte Off-Label-Anwendung von Impfstoffen anbelangt, also eine Anwendung von Impfstoffen außerhalb deren eigentlichen Zulassungsbereichs.

Dabei sind vor allem vier Fallgestaltungen relevant: 1) die Impfung wird Personen verabreicht, für welche eine allgemeine Zulassung noch nicht vorliegt (zum Beispiel Schwangere, Kinder); 2) die Impfung wird auf andere Weise verabreicht, als in den Hersteller-Informationen und Zulassungsbedingungen offiziell angegeben (zum Beispiel in einer anderen Dosierung, mit einem anderen Intervall zwischen den Teilimpfungen); 3) es werden Impfungen verschiedener Impfstoffhersteller miteinander kombiniert, ohne dass für diese Kombination eine Zulassung bestünde (sogenanntes heterologes Impfschema, „Kreuzimpfung“); 4) es wird ein „dritter Stich“ (beziehungsweise „zweiter Stich“ bei primärer Verwendung von COVID-19 Vaccine Janssen) gesetzt.

Zur Haftung für Impfschäden beim Off-Label-Use – unter besonderer Berücksichtigung der Situation bei der Impfung gegen COVID-19 – kommt die Verfasserin zu folgenden Ergebnissen:

  1. Kommt es infolge der Off-Label-Anwendung eines Impfstoffs gegen COVID-19 zu einem Impfschaden, so besteht jedenfalls dann ein Entschädigungsanspruch nach den Vorschriften des Impfschadengesetzes gegen den Bund, wenn die betreffende Off-Label-Anwendung vom Nationalen Impfgremium empfohlen war. Das ist unter bestimmten Voraussetzungen etwa bei der Impfung von Schwangeren der Fall oder nunmehr für eine ganze Reihe genauer definierter Patientengruppen beim „dritten Stich“ (beziehungsweise beim zweiten Stich nach COVID-19 Vaccine Janssen).
  2. Nach der wissenschaftlichen Auffassung der Verfasserin sollte ein Entschädigungsanspruch nach dem Impfschadensgesetz aber auch dann zustehen, wenn die betreffende Off-Label-Anwendung eines Impfstoffs gegen COVID-19 von Nationalen Impfgremium zwar nicht ausdrücklich empfohlen wurde, sie aber der Meinung in Österreich anerkannter wissenschaftlicher Fachkreise entsprach und seitens des Nationalen Impfgremiums nicht ausdrücklich vor ihr gewarnt wurde. Angesichts von Sinn und Zweck des Impfschadengesetzes sollte im Zweifel zugunsten Geschädigter von einer Entschädigungspflicht ausgegangen werden, was allerdings nichts aussagt über einen allfälligen Rückgriff seitens des Bundes gegenüber dem Arzt.
  3. Die Ausführungen des Nationalen Impfgremiums zum heterologen Impfschema (sogenannte Kreuzimpfung) in den derzeit aktuellen Fachinformationen zur Impfung gegen COVID-19 (Version 5, Stand: 17. August 2021) sind nach der wissenschaftlichen Auffassung der Verfasserin nicht so zu lesen, dass sie eine ausdrückliche Warnung gegen ein heterologes Impfschema beinhalten würden. Insbesondere dadurch, dass das Nationale Impfgremium die Kreuzimpfung schon dann implizit billigt, wenn diese aus der Sicht der betroffenen Personen dringend wünschenswert ist, kommt den Worten „wird … nicht empfohlen“ kaum noch eigenständige Bedeutung bei und sollte auch dann, wenn ein Schaden infolge einer Kreuz-impfung eintreten sollte, von einer Entschädigungspflicht des Bundes ausgegangen werden. Durch die klare Empfehlung des Gremiums für den „dritten Stich“, welcher bei primär durch COVID-19 Vaccine Janssen oder Vaxzevria immunisierten Personen eine Empfehlung für eine Kombination verschiedener Impfstoffe beinhaltet, ist diese Einschätzung noch einmal bestätigt worden.
  4. Die Produkthaftung des Impfstoffherstellers wird durch die Tatsache, dass der Impfstoff im Rahmen einer Off-Label-Anwendung verabreicht wurde, zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, doch ist die Hürde für Geschädigte, Ersatz zu erlangen, nochmals höhergesteckt. Zur Haftung kann es insbesondere kommen, wenn (zum Beispiel aus Studien) vorliegende Informationen zu Kontraindikationen nicht in die Anwendungsinformationen aufgenommen wurden, obgleich eine betreffende Off-Label-Anwendung nicht fernliegend war.
  5. Die Haftung des Arztes, welcher die Impfung verabreicht oder anordnet, wird durch die Tatsache, dass es sich um eine Off-Label-Anwendung gehandelt hat, in verschiedener Hinsicht beeinflusst. Generell sind die Sorgfaltsanforderungen bei Off-Label-Anwendungen merklich erhöht und den Arzt trifft eine deutlich verschärfte Pflicht, sich eines Konsenses in zuverlässigen Fachkreisen zu vergewissern, Studien zu allfälligen Kontraindikationen sorgfältig zu verfolgen und eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen. Eine Off-Label-Anwendung bedarf stets einer genauen Begründung und der Patient ist über die Tatsache, dass es sich um eine Off-Label-Anwendung handelt, und über die daraus resultierenden Risiken gesondert aufzuklären.
  6. Anders als bei der Einstandspflicht des Bundes nach dem Impfschadengesetz kann es für die Haftung des Arztes aber nicht strikt auf die offiziellen Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums ankommen. Vielmehr kann eine individuelle Off-Label-Anwendung durch einen Arzt im Einzelfall gerechtfertigt oder sogar geboten sein (und damit keine Haftung auslösen), wenn eine offizielle Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (noch) nicht vorliegt. Die offiziellen Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums geben dem Arzt aber jedenfalls absolute Sicherheit, das heißt eine Off-Label-Anwendung von Impfstoffen, die sich im Rahmen dieser Empfehlungen hält und die auch sonst weder Behandlungsfehler (zum Beispiel Übersehen individueller Kontraindikationen) oder Aufklärungsfehler beinhaltet, kann nicht zur Haftung führen.
  7. Überwiegt der mit einer Off-Label-Anwendung einer Impfung (verglichen mit dem Unterlassen einer Impfung) verbundene individuelle Nutzen klar das mit ihr verbundene individuelle Risiko, kann der Arzt auch dann nach den Grundsätzen über die Haftung für Behandlungsfehler zur Verantwortung gezogen werden, wenn er von ihr pflichtwidrig abrät oder die mit ihr verbundenen Risiken pflichtwidrig derart übertrieben darstellt, dass der Patient infolgedessen von der Impfung Abstand nimmt und später Schäden erleidet, welche durch die Impfung verhindert worden wären. Das gilt auch und gerade für Impfungen, die vom Nationalen Impfgremium empfohlen wurden. Tatsächlich dürfte ein Haftungsrisiko für Ärzte bei unterlassenen Impfungen weitaus höher sein als ein Haftungsrisiko bei vorgenommenen Impfungen.

Tipp: Die Langfassung steht unter www.aerztekammer.at/coronavirus#haftung zum Download zur Verfügung.

Literatur bei der Verfasserin

*) Univ. Prof. Dr. Christiane Wendehorst, Institut für Zivilrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien; E-Mail: christiane.wendehorst@univie.ac.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 /25.09.2021