1 Diesjähriger Nobelpreis für Medizin
Zu neuen Behandlungsoptionen bei chronischen Schmerzen könnten die Entdeckungen des Physiologen Prof. David Julius und des Molekularbiologen Prof. Ardem Patapoutian führen. Die diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin wurden für ihre Entdeckungen der Temperatur und Tastrezeptoren in der Haut ausgezeichnet.
2 Hitze und Kälte
Bereits vor 30 Jahren entdeckte Julius, dass Capsaicin Temperaturwahrnehmungen entschlüsselt; nicht bekannt war jedoch, wie der Capsaicin-Rezeptor aussieht. Bei Versuchen in Zellkultur-Zellen zeigte sich, dass der Ionenkanal TRPV1 der gesuchte Rezeptor für Hitze und Capsaicin ist, und dieser ein elektrisches Signal aufbaut. Patapoutian entdeckte wenig später TRPM8, den Ionenkanal für die Kältewahrnehmung.
3 Druck und Berührung
Patapoutian suchte bei der Forschung an Zellen aus der Haut von Nagern jene, die bei Berührung mit einer Pipette elektrische Signale erzeugen. Dabei identifizierte er nach 72 Genen jenes, das für die Berührungswahrnehmung verantwortlich ist. Es bildet einen Ionenkanal namens Piezo1 (griechisch für Druck), der bei mechanischem Druck das spezifische Nervensignal auslöst.
4 Künstlicher Tastsinn und Haut
Eine elektronische Sensorhaut, die Druckreize in optische Signale verwandelt, könnte Handprothesen künftig mit einem Tastsinn ausstatten. In die aus Polyurethan bestehende obere Schicht werden Nanoröhrchen eingearbeitet; dies wirkt als Piezowiderstand. Integrierte Transistoren erzeugen daraus Pulse mit einer Frequenz bis zu 200 Hertz. Wann derartige Prothesen zum Einsatz kommen werden, ist derzeit noch nicht absehbar.
5 Usher-Syndrom
Patienten mit einem UsherSyndrom – sie sind weniger empfindlich für Berührungen – weisen eine Mutation jenes Gens auf, das für USH2A kodiert. Dieses Protein wird in MeissnerKörperchen produziert. Diese – und nicht wie ursprünglich angenommen Nervenzellen – nehmen kleinste Vibrationen wahr. Menschen, die am UsherSyndrom leiden, benötigen einen höheren Stimulus, um Vibrationen zu spüren. Im Gegensatz dazu empfinden sie Temperaturveränderungen und leichte Schmerzen. Das ist nach Ansicht der Wissenschafter ein Hinweis dafür, dass der Mechanismus evolutionär konserviert wurde.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 /10.11.2021