Restless-Legs-Syndrom: Abgrenzung von „Mimics“

25.05.2021 | Medizin

Bei der Diagnose Restless-Legs-Syndrom müssen „Mimics“ – Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen wie RLS – ausgeschlossen werden. Dazu zählen etwa arterielle und venöse Gefäßerkrankungen ebenso wie Polyneuropathien. In Folge einer Niereninsuffizienz oder einer Schilddrüsendysfunktion kann es zu einem sekundären RLS kommen.

Die Prävalenzdes Restless-Legs-Syndrom ist in der Allgemeinbevölkerung sehr hoch“, weiß Assoc. Prof. Priv. Doz. Stefan Seidel vom Spezialbereich Schlaf der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Wien. „Je nach Land und Studie wird sie zwischen drei und zehn Prozent geschätzt.“

Das RLS wird anhand der Symptomatik diagnostiziert; es gibt keinen Labormarker, der für das RLS beweisend ist. Typischerweise treten bei Patienten mit RLS Missempfindung und/oder Bewegungsdrang in den Beinen auf, seltener auch in den Armen. „Üblicherweise fällt es den Patienten schwer, diese Missempfindungen zu beschreiben“, berichtet Seidel aus der Praxis. „Neben ziehenden, brennenden Schmerzen erklären die Patienten beispielsweise, ihre Beine fühlten sich an, als würden sie ‚ersticken‘.“ Diese Missempfindungen sind typischerweise verbunden mit einem Bewegungsdrang beziehungsweise wird ein Bewegungsdrang durch die Missempfindungen ausgelöst. Zu Beginn der Erkrankung kommt es zu einer Tageszeit-abhängigen Verstärkung der Symptome. Abends oder in der Nacht sind die Beschwerden stärker als am Vormittag oder zu Mittag. Im Laufe der Erkrankung geht diese Tageszeitabhängige Verstärkung aber verloren.

Das vierte Hauptsymptom des RLS ist die Verstärkung der Beschwerden in Ruhe. Patienten erleben eine vorübergehende Linderung der Symptome, solange sie sich in Bewegung befinden. Manchmal hält diese Linderung auch für einige Zeit nach Ende der Aktivität an. „Wenn Patienten berichten, dass die Missempfindungen oder der Bewegungsdrang besser sind, wenn sie gehen – etwa wenn sie aus dem Bett aufstehen –, dann passt diese Beschreibung zu einem RLS“, erklärt Seidel.

Aufgrund dieser Symptomatik sollte laut Guidelines der europäischen RLS Studiengruppe für die Diagnose RLS in der Allgemeinpraxis bei Patienten mit unklaren Schlafstörungen oder Beinbeschwerden nach den Symptomen des RLS gefragt werden: Wenn Missempfindungen in den Beinen oder Beinbeschwerden nicht anders zuzuordnen sind und der Untersuchungsbefund unauffällig ist, sollte speziell an RLS gedacht werden. Auch bei Patienten, die wegen Schlafstörungen vorstellig werden, sollte daher speziell nach RLS gefragt werden.

Screening-Instrumente und Gespräch

Für die Diagnose RLS wurden Screening-Instrumente entwickelt. Doch das Gespräch mit den Patienten ist weiterhin ein wichtiger Bestandteil die Diagnose. Das genaue Zuhören sei auch deshalb wichtig, weil sogenannte „Mimics“, also Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen wie RLS, ausgeschlossen werden müssen. Zu diesen Mimics zählen arterielle und venöse Gefäßerkrankungen, Akathisie sowie Polyneuropathien und Wadenkrämpfe. Wie Seidel betont, könnten einige Mimics im Gespräch ausgeschlossen werden. „RLS-Beschwerden sind diffuser verteilt als Schmerzen, die durch einen Muskelkrampf ausgelöst und klar lokalisiert sind. Und bei neuropathischen Schmerzen fehlt die Tageszeitabhängigkeit, außerdem zeigen diese keine relevante Verbesserung bei Bewegung.“ Minus-Symptome wie Taubheit, mit denen neuropathische Schmerzen einhergehen können, treten bei RLS dagegen nicht auf. Bei Patienten mit neurologischen Vorerkrankungen wie etwa Multipler Sklerose oder einem Insult können RLS-Symptome mit einschießenden Spasmen verwechselt werden. Wenn Patienten mit neurologischen Vorerkrankungen Beschwerden beschreiben, die auf ein RLS hindeuten, rät Seidel daher zur Abklärung durch einen Facharzt.

Bei der Diagnose sollte ein kompletter Laborbefund eingeholt werden, um verstärkende und auslösende Momente für ein RLS zu detektieren wie sekundäre RLS-Formen in Folge einer Niereninsuffizienz oder einer Schilddrüsendysfunktion. Auch die Vitamin B12- und Folsäure-Spiegel sollten bestimmt werden sowie Eisen- und Ferritin-Werte und die Transferrin-Sättigung. Der Ferritin-Wert sollte bei über 75µg/l liegen, die Transferrin-Sättigung bei über 25.

Die meisten Patienten mit RLS werden erst vorstellig, wenn Schlafbeschwerden auftreten. Für Patienten mit leichter bis moderater RLS, die keine Schlafprobleme haben, rät Seidel zur Zurückhaltung bei der Behandlung. Hier können nicht-medikamentöse Möglichkeiten wie Kryotherapie oder Yoga zu einer Besserung der Symptomatik führen. Weiters sollten Patienten auf eine gute Schlafhygiene mit ausreichenden Schlafzeiten achten, da mangelnder Schlaf die RLS-Symptomatik noch verstärken kann.

Medikamentös stehen drei Wirkstoffgruppen für die Behandlung des RLS zur Verfügung. Das früher zur Behandlung eingesetzte Levodopa sei nun nicht mehr die Therapie der ersten Wahl, betont Seidel. „Es ist nicht mehr zu empfehlen, bei der Ersteinstellung Levodopa oder Dopaminagonisten zu verschreiben, da dies zur Augmentation führen kann.“

Bei der Augmentation handelt es sich um einen paradoxen Effekt der RLS-Therapie mit Levodopa und Dopaminagonisten: Nach dem anfänglichen Ansprechen auf eine niedrige Dosis nehmen die Beschwerden zu. Bei Dosiserhöhung bessern sich die Beschwerden kurzzeitig, nehmen aber im Verlauf zu, bis die Patienten wieder eine höhere Dosis zur Symptomkontrolle benötigen. Kommt es unter Therapie mit Levodopa oder Dopaminagonisten zur Augmentation, sollte die dopaminerge Therapie unter fachärztlicher Begleitung ausgeschlichen werden, rät Seidel.

Um das Risiko einer Augmentation bei chronisch und schwer betroffenen Patienten gering zu halten, sollte die Ersteinstellung mit Pregabalin oder Gabapentin erfolgen. „Bei Patienten, die darauf nicht ausreichend ansprechen, könnte ein möglichst niedrig dosierter und lang wirksamer Dopaminagonist eingesetzt werden“, berichtet Seidel aus der Praxis. „Schwer Betroffene mit Augmentation können auf ein Opioid umgestellt werden.“ Bei schwerer RLS kann Oxycodon in retardierter Form als Monopräparat oder in Kombination mit Naloxon eingesetzt werden. Da Opioide letztlich auch dopaminerge Rezeptoren stimulieren, werden sie in der RLS-Therapie eingesetzt.

Regelmäßige Kontrollen

Patienten mit RLS sollten alle drei bis sechs Monate kontrolliert werden, da RLS-Symptome durch verschiedene Faktoren verstärkt und beeinflusst werden können. „Blutverlust bei einer Operation kann zum Beispiel zur massiven Verstärkung der Symptome führen aufgrund depletierter Eisenspeicher. Auch die Medikation sollte regelmäßig auf möglicherweise verstärkende Wirkstoffe überprüft werden“, rät Seidel. Alkoholkonsum sowie SSRI, Mirtazapin, Neuroleptika, aber auch Metoclopramid können RLS verstärken.

Generell rät Seidel zu einer Zurückhaltung bei der Therapie und einem gezielten Überweisen, wenn die Therapie schwierig wird. Weiters sollten nicht alle Beinbewegungen im Schlaf als ein Hinweis auf RLS gesehen werden. „80 bis 90 Prozent der Patienten mit RLS haben viele periodische Beinbewegungen im Schlaf, die auch die Schlafqualität stören. Aber umgekehrt haben nicht alle Patienten, die periodische Beinbewegungen im Schlaf zeigen, auch RLS“, berichtet Seidel. „Daher sollte man gezielt fragen, ob die Patienten tatsächlich Beschwerden haben, die zu einer RLS passen und die auch im Wachzustand vorhanden sind. Periodische Beinbewegungen im Schlaf sind nicht gleichzusetzen mit RLS.“ (msf)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2021