Österreichischer Impftag 2021: Neue alte Wege

10.02.2021 | Medizin


Aufgrund der COVID-19-Pandemie als virtuelle Tagung abgehalten, stand der diesjährige Impftag auch thematisch ganz im Zeichen von COVID: Unter dem Motto „COVID-Impfstoffe und ihre Herausforderungen: erhofft – gefürchtet – verfügbar“ haben mehr als 2.000 Teilnehmer die Vorträge live mitverfolgt.

Marion Wangler

Welche Impfstoffe gibt es und wie unterscheiden sie sich? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Univ. Prof. Franz X. Heinz vom Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien. Eines ist allen derzeit verfügbaren und in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien befindlichen SARS-CoV-2-Impfstoffen gemeinsam: Sie verwenden das Spike-Protein des Virus als Antigen. Dieses Protein ist für die Bindung des Virus an seinen Zellrezeptor (ACE2) sowie das Eindringen des Virus in die Zelle verantwortlich und kann Antikörper induzieren, die das Virus neutralisieren. Der Unterschied zwischen den einzelnen Impfstoffen liegt darin, wie das Antigen eingesetzt wird, um die Immunantwort auszulösen. RNA- und Adeno-Vektor-Vakzine enthalten – anders als Ganzvirus- und Subunit-Vakzine – nur die genetische Information für das Antigen in Form von RNA beziehungsweise DNA. Dass RNA- oder Vektor-Impfstoffe daher ins Erbgut gelangen könnten und dieses verändern – wie häufig befürchtet wird –, entgegnete Heinz einmal mehr vehement: „Das kann man absolut ausschließen.“ Außerdem gelten beide Impfstoff-Varianten als Totimpfstoffe und stellen damit auch für immunsupprimierte Personen kein Risiko dar.

Im Fall von mRNA-Vakzinen wie von BioNTech/Pfizer und Moderna wird RNA appliziert, dringt in die Zelle ein, wird abgelesen; in der Zelle wird das Spike-Protein produziert, das eine Immunantwort und die Produktion von neutralisierenden Antikörpern induziert.

RNA-Impfstoffe: schon länger bekannt

Die Entwicklung von RNA-Impfstoffen wurde bereits in den 1990er Jahren begonnen, war allerdings mit Problemen behaftet, wie Heinz berichtete; u.a. stoßen RNA und Zellen einander ab, überall im Gewebe sind RNA-abbauende Enzyme vorhanden. Eine Lösung für diese Probleme wurde erst 2012 entdeckt: die „Verpackung“ von RNA in Lipid-Nanopartikel. Da Lipid-Nanopartikel aber sehr empfindlich sind, ist eine Lagerung des Impfstoffs bei minus 20 beziehungsweise minus 70 Grad erforderlich. „Unglaublich viel Forschungsarbeit“ ist laut Heinz auch in die Abwehr von überschießenden Nebenreaktionen („innate immune reactions“) geflossen. Dabei wurde RNA modifiziert, sodass eine Balance zwischen Nebenreaktionen und Immunantwort gefunden wurde.

Bei Adeno-Vektor-Vakzinen wie jenem von Oxford/AstraZeneca werden Adenoviren appliziert; diese müssen zum Zellkern transportiert werden, wo mRNA produziert wird. Von da an ist der Ablauf gleich wie bei mRNA-Vakzinen, wie Heinz erklärte: „Das heißt bei Adeno-Vektor-Vakzinen muss ein Umweg über den Zellkern genommen werden, der bei mRNA-Vakzinen nicht notwendig ist.“ Es muss auch auf eine Balance zwischen der Menge der applizierten Adeno-Partikel, der Immunantwort und überschießender Reaktion geachtet werden. Der Vorteil dieser Impfstoffe liegt laut Heinz in der Lagerung bei 4 Grad Celsius. Der Nachteil bestehe in der möglichen Vektor-Immunität. Die Seroprävalenz sei oft sehr hoch, weshalb mehrere Vektoren verwendet würden. Allerdings gebe es gegen das Schimpansen-Adenovirus, das für die Oxford/AstraZeneca-Vakzine verwendet wird, laut Heinz praktisch keine vorbestehende Immunität.

Die Schutzdaten, die durch die Impfungen bislang erreicht werden konnten, seien sehr gut; wie lange der Schutz anhält, sei aber noch nicht bekannt. Im Hinblick auf die aktuell bekannten Mutationen des SARS-CoV-2-Virus – zum Beispiel die britische und südafrikanische Variante – rechnet Heinz damit, dass sowohl mRNA- als auch Adeno-Vektor-Impfstoffe „leicht“ adaptiert werden könnten.

Beschleunigte Zulassung

Die Pandemie hat durch enorme internationale Anstrengungen und große öffentliche Unterstützung zu einer raschen Impfstoffentwicklung geführt, wie Barbara Tucek, Senior Expert der AGES-Medizinmarktaufsicht, und Daniela Philadelphy von der Abteilung Klinische Begutachtung der AGES-Medizinmarktaufsicht in ihren Vorträgen ausführten. Als entscheidende Punkte für den beschleunigten Prozess nannte Tucek u.a.:

  • Binnen kürzester Zeit wurde das Virus identifiziert, sequenziert und das Spike-Protein als geeignetes Antigen identifiziert.
  • Es werden langjährige Erfahrungen mit mRNA- und viralen Vektor-Impfstoffen genutzt, an die man anknüpfen kann.
  • Durch die Pandemie-Situation waren sehr viele Probanden bereit, sich impfen zu lassen und so kam man rasch zu Fallzahlen.
  • Es haben Firmen kooperiert, die sonst Mitbewerber sind.
  • Die enorme finanzielle Unterstützung war wesentlicher Treiber in der Entwicklung.
  • Bei der Zulassung wurden neue Wege beschritten; behördenseitig wurden Prozesse zeitlich stark verkürzt. Für COVID-Impfstoffe gibt es einen „Rolling Review“, indem schon „Pakete“ an Daten vorab übermittelt und immer wieder reviewt werden.
  • Verschiedene Phasen der Entwicklung, die sonst aus Ressourcen- und Risikogründen nacheinander erfolgen, laufen jetzt parallel ab.

Dennoch: Für die bedingte Zulassung im Fall von COVID-Impfstoffen in der EU gelten strenge Voraussetzungen. Das unterscheide laut Tucek die in der EU zugelassenen Impfstoffe von jenen in den USA oder Großbritannien, die nur eine Notfallzulassung erhalten haben. Der Zulassungsinhaber gehe bei einer bedingten Zulassung viele Verpflichtungen ein, u.a. fehlende Daten nachzureichen; außerdem müsse jede Charge der Vakzine extra von einem geprüften Kontrolllabor freigegeben werden. „Wenn auch zunächst weniger Daten eingereicht werden, ist der Benefit der Impfung für die öffentliche Gesundheit deutlich größer als das Risiko der noch fehlenden Daten“, so Tucek.

Dokumentation im elektronischen Impfpass

Über die COVID-19-Impfstrategie, medizinisch-fachliche Überlegungen und logistische sowie systemische Rahmenbedingungen berichtete Univ. Doz. Maria Paulke-Korinek von der Abteilung für Impfwesen im Gesundheitsministerium. Die Settings, in denen geimpft werden kann, reichen von öffentlichen Stellen, Spitals- und niedergelassenen Bereich bis hin zu mobilen Teams. Die Dokumentation der Impfungen soll flächendeckend im elektronischen Impfpass erfolgen.
Dokumentationsmöglichkeiten gibt es

  • direkt über die Arztsoftware. Laut Paulke-Korinek soll dies ab März flächendeckend funktionieren.
  • über GINA-Box und Web-GUI-Applikation
  • teilweise über den öffentlichen Gesundheitsdienst (Wien, Steiermark, vollintegrierte Version)
  • mobile Tablets mit „e-Impfdoc“-App

Impfstoffe

mRNA-Vakzine

BioNTech/Pfizer – Comirnaty (Forschungsname: BNT162b2) pro Dosis 30 Mikrogramm

Moderna – COVID-19 Vaccine Moderna (Forschungsname: mRNA-1273) pro Dosis 100 Mikrogramm

Adeno-Vektor-Vakzine

Oxford/AstraZeneca – COVID-19 Vaccine AstraZeneca (Forschungsname: AZD1222, ChAdOx1-SARS-CoV-2) aktuell in Begutachtung zur bedingten Zulassung

Janssen (Johnson & Johnson) – Ad26.COV2.S aktuell im Rolling Review

inaktivierte Ganzvirus-Vakzine

Zum Beispiel Sinovac, Sinopharm zugelassen u.a. in China, Saudi-Arabien, Indien

Subunit-Vakzine

Zum Beispiel Novavax (NVX-CoV2373) noch nicht am Markt

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2021