Interview Gerhard Postl: Anabolika: Triebfeder Imponiergehabe

25.10.2021 | Medizin

Bis zu 20 Prozent aller Freizeit-Sportler dopen – mit einem hohen Anteil unter den 17- bis 25-Jährigen: Sie definieren sich sehr häufig über Kraft und Macht. Indirektes Doping kommt unter anderem im Frauenfußball vor, sagt Gerhard Postl von der Nationalen Anti-Doping Agentur Austria im Gespräch mit Manuela-C. Warscher.

Welche Entwicklung hat es im Anti-Doping-Bereich in den letzten zehn Jahren gegeben? Die wichtigste Entwicklung war mit Sicherheit die Novellierung des Antidoping Bundesgesetzes und die längst fällige Überarbeitung des Strafrahmens: So wurde die Sperre bei einem Verstoß gegen die Anti-Doping-Regelungen von zwei auf vier Jahre erhöht. Außerdem wurde im Jänner 2021 der Schutz der Whistleblower im Gesetz verankert. Nun stehen Einschüchterung, Drohungen oder Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Personen, die Hinweise zu potentiellen Verstößen geben, unter Strafe. Abhängig von der Schwere der Tat liegt die Sperre zwischen zwei Jahren bis lebenslänglich.

Diese Neuerungen betreffen primär den Spitzensport. Welche Änderungen betreffen Hobby- und Freizeitsportler? Die Einführung des Begriffs Freizeitsportler ist definitiv eine der wesentlichsten Änderungen, denn damit ist der Informationsfluss und die Aufklärung hinsichtlich Doping auch für diese Sportlergruppe sichergestellt. Eben diese Aufklärungsarbeiten leistet die Nationale Anti-Doping-Agentur Austria mit ihrem Präventiv-Team verstärkt in Schulen in den höheren Stufen mit dem Schwerpunkt Sport. Aber auch Trainer und Sportler werden regelmäßig geschult. Bis zu dieser Schärfung wurden die Aktivitäten der Freizeitsportler eher als Freizeitbeschäftigung gesehen und nicht als sportliche Betätigung, was natürlich die Sensibilisierung für Doping beeinträchtigte. Die Anwendung aller verbotenen Möglichkeiten zur Leistungssteigerung, die dem Doping im Spitzensport zugeordnet werden, ziehen nun aber auch im Freizeitsport Konsequenzen nach sich. Hinsichtlich des Strafmaßes wurde festgelegt, dass eine Disziplinarmaßnahme maximal zwei Jahre betragen darf.

Ganz konkret gefragt: Warum dopen Sportler? Im Spitzensport ist der Leistungsdruck gestiegen und dabei werden die Auswirkungen durch den Einnahmen-Ausfall für Sportler rund um den Globus aufgrund von Corona erst in zwei bis drei Jahren sichtbar werden. Um die finanziellen Ausfälle und die verlorenen Jahre zu kompensieren, werden viele zu ‚Hilfsmitteln‘ greifen, um noch mehr Leistung herausholen zu können.

… und der Hobbysportler? Zunächst muss klar sein, dass die Art des Dopings in dieser Gruppe stark mit dem jeweiligen Persönlichkeitsprofil zusammenhängt. Demnach können wir einerseits die 40- bis 55-jährigen Manager im Ausdauersport und andererseits die 17- bis 25-jährigen Burschen im Kraftsport unterscheiden. Erstere dopen gemäßigt, sie investieren eher in extrem teures Equipment. Sie nehmen nicht-steroidale Antirheumatika, Acetylsalicylsäure oder einen Magenschutz, um sich nicht beim Marathon bei Kilometer 35 übergeben zu müssen und die Strapazen hochintensiver Ausdauerleistungen besser zu meistern. Das ist aber ebenso abzulehnen wie jedes andere Doping. Diese ‚Elite innerhalb der Hobbysportler‘ sind Siegertypen, die im Job und im Sport vorn dabei sein möchten. Sie dominieren verschiedene Marathons – von Straße über Berg bis zum Rad. Ihr finanzieller Hintergrund ermöglicht es ihnen, sich auf legale und illegale Weise Substanzen zu beschaffen.

Und wie sieht es im Vergleich dazu bei den 17- bis 25-Jährigen aus? Sie definieren sich über Kraft und Macht. Es sind das Imponiergehabe und vielleicht auch das mögliche zu erreichende Alleinstellungsmerkmal, um sich aus der Masse hervorzuheben, was sie antreibt. Als Kraftsportler beziehungsweise Bodybuilder in den Fitnessstudios beginnen sie sehr früh mit Doping und sind hochgradig gefährdet, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Meist beginnen sie kurz nach der Pubertät mit dem Gewichttraining und nehmen nach einiger Zeit Anabolika in hohen Dosierungen.

Wie hoch ist der Anteil derjenigen, die dopen, in der jeweiligen Gruppe? Es liegen keine konkreten Daten oder Auswertungen vor. Ich würde sagen, dass in der Manager-Gruppe ungefähr fünf Prozent und bei den Burschen zwischen 15 und 20 Prozent zu Dopingmitteln greifen.

Welche Dopingmittel sind primär im Einsatz? War es vor 2010 noch hauptsächlich Testosteron, das in den Muskel injiziert oder oral eingenommen wurde, so kommen derzeit immer diffizilere Formen von Doping-Substanzen zum Einsatz wie Erythropoetine, Peptidhormone, Wachstumsfaktoren oder Humanalbumin. Die Gründe für die Verschiebung liegen wohl in den besseren technischen Möglichkeiten zur Herstellung und einer intensiveren Vernetzung. Vieles wird über das Internet vertrieben und gekauft, bei Freizeitsportlern aber auch über das Darknet. Aber auch Mund-zu-Mund-Propaganda fördert den Vertrieb illegaler Dopingmittel.

Worauf sollte der Allgemeinmediziner bei jungen Bodybuildern achten? Wann sollte er hellhörig werden? Wenn jemand mit 18 Jahren über die Maße austrainiert ist, mit 25 Jahren eine ausgeprägte Akne hat oder auffällige Leberwerte. Ebenso sollten hohe Hämatokrit- oder Nieren-Werte bei ansonsten jungen gesunden Patienten die Aufmerksamkeit auf die Einnahme von Doping relevanten Substanzen lenken. Stark erhöhte Nierenwerte sind in vielen Fällen auf die Einnahme von Kreatinin in Kombination mit sehr hohen Eiweißmengen und zu wenig Flüssigkeitszufuhr zu erklären. In manchen Fällen kann dies bis zu einem akuten Nierenversagen führen. Und letztlich sollte auch ein stark vergrößerter Herzmuskel in der Echokardiographie nach Ausschluss aller anderen Ursachen an Doping denken lassen.

Wie sieht es mit Doping von Frauen aus? Frauen sind im Freizeitsport eher selten vom Doping betroffen. Mir sind maximal ein paar Fälle von indirektem Doping, also die Einnahme von Arzneimitteln, die nicht auf der Verbotsliste stehen, präsent. Interessanterweise kommt dieses sogenannte indirekte Doping, sprich die Einnahme von nicht Doping relevanten Medikamenten wie Schmerzmitteln, unter anderem im Frauenfußball vor, wo sie die Männer sogar prozentuell übertreffen. Grundsätzlich gilt aber, dass Frauen diesbezüglich vernünftiger sind und auch der Leistungsgedanke im Freizeitsport bei Frauen ein anderer ist. Das ist wohl evolutionsbedingt, da Frauen als Mütter eher Verantwortung für sich und ihre Nachkommen tragen müssen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2021