Hashimoto-Thyreoiditis: Symptomorientiert behandeln

15.12.2021 | Medizin

Immunmodulatorische Medikamente wie etwa monoklonale Antikörper tragen zur höheren Prävalenz der Hashimoto-Thyreoiditis bei. Vermutlich besteht ein enger Zusammenhang mit M. Basedow, da die beiden Erkrankungen ineinander übergehen können, obwohl sie funktionell verschieden sind. Die Behandlung orientiert sich an der konkreten Symptomatik und am Stadium der Erkrankung.
Irene Mlekusch

Die Prävalenz der Hashimoto-Thyreoiditis – auch bekannt als chronische-lymphozytäre Thyreoiditis – schwankt je nach geografischer Region, tritt überwiegend bei Frauen auf und nimmt mit steigendem Alter zu. Bei Frauen findet sich die Erkrankung in etwa zehn bis 15 Mal öfter, außerdem sind Patienten mit anderen autoaggressiven Krankheiten wie Morbus Addison, Diabetes mellitus Typ 1, rheumatischen Erkrankungen oder systemischem Lupus erythrematodes signifikant häufiger betroffen. “Die Hashimoto-Thyreoiditis ist mit einer Prävalenz von zehn bis zwölf Prozent die häufigste Autoimmunerkrankung in der Allgemeinbevölkerung und die häufigste Ursache der Hypothyreose im Erwachsenenalter,“ erklärt Univ. Prof. Amir Kurtaran vom Instituts für Nuklearmedizin mit PET/CT und Schilddrüsenkompetenzzentrum an der Klinik Landstraße in Wien.

Als Ursache nimmt man einerseits genetische Faktoren an, andererseits Umwelteinflüsse; die eigentliche Pathogenese ist aber weiterhin nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass zwischen der Hashimoto-Thyreoiditis und Morbus Basedow ein enger pathophysiologischer Zusammenhang besteht, da diese Krankheitsbilder ineinander übergehen können, obwohl sie funktionell verschieden sind. In Studien in Japan und den USA konnten bei zirka 30 Prozent der Patienten mit early-onset-Hypothyreose und Atrophie der Schilddrüsenzellen eine IgG4-assoziierte Erkrankung nachgewiesen werden; in Europa liegt die Prävalenz bisher bei etwa zwölf Prozent. Diese Erkenntnisse favorisieren die Schilddrüsenatrophie im Verlauf der Hashimoto-Thyreoiditis als Progression der Erkrankung.

Die Hashimoto-Thyreoiditis tritt gehäuft in Familien auf, auch manchmal in Kombination mit Morbus Basedow. Das Risiko für Geschwister, ebenfalls zu erkranken liegt bei mehr als 20 Prozent; bei monozygoten Zwillingen sogar bei 30 bis 60 Prozent, je nach zufälliger Kombination der T-Zell-Rezeptorgene. Eine erhöhte Häufigkeit der Hashimoto-Thyreoiditis findet sich außerdem bei Menschen mit Down-Syndrom und Turner-Syndrom. Polymorphismen am Thyreoglobulin-Gen oder am Tumor Necrosis Factor Superfamily Member Gen 4 sind ebenso mit einer Häufung der Erkrankung assoziiert wie potentiell die Haploinsuffizienz von A20. Veränderungen am FOXP3-Gen, welches am X-Chromosom lokalisiert ist, könnten wiederum das vermehrte Auftreten bei Frauen erklären. Da die Inzidenz der Erkrankung nach einer Schwangerschaft ansteigt, wird das Einwandern von fetalen Zellen in die mütterliche Schilddrüse als Risikofaktor angenommen, ebenso wie die schwangerschaftsassoziierte Immunsuppression und der damit verbundene Shift zu Th2 T-Zellen sowie die Veränderungen im Zytokinprofil.

COVID als Trigger?

Als prädisponierende Umweltfaktoren werden Infektionen und Stress diskutiert. „Inwieweit COVID-19 mit der Entstehung beziehungsweise Triggerung einer Hashimoto-Thyreoditis in Zusammenhang steht, bleibt abzuklären,“ fügt Kurtaran hinzu. Eine hohe Versorgung mit Jod – unter anderem auch durch die Einnahme von jodhaltigen Medikamenten wie zum Beispiel Amiodaron – führt zu einer höheren Prävalenz der Erkrankung. „In den letzten Jahren beobachten wir mehr Immunthyreopathie-Fälle durch immunmodulatorische Medikamente wie Interferon alpha, Tyrosinkinase-Inhibitoren und monoklonale Antikörper,“ berichtete Kurtaran. Ebenso seien „vermutlich“ auch ein Selen- und ein Vitamin-D-Mangel mit einer höheren Prävalenz einer Hashimoto-Thyreoditis verbunden.“ Es gibt auch zunehmend Evidenz für die Rolle eines veränderten Darmmikrobioms bei einer Reihe von Erkrankungen – so auch bei Autoimmunerkrankungen.

Die Hashimoto-Thyreoiditis verursacht anfangs meist keine merkbaren Beschwerden oder die Symptomatik ist oft uncharakteristisch und unterschiedlich, weshalb die Erkrankung lange unerkannt bleiben kann. In den akuten Entzündungsphasen zu Beginn der Erkrankung kann es zu einer schubweisen und kurzzeitig auftretenden Zerfallshyperthyreose, der Hashitoxikose, kommen. Typische Symptome der Hyperthyreose wieGewichtsverlust, Nervosität, Diarrhoe, Schwitzen, Tachykardie und Haarausfall werden als belastend empfunden, aber unter Umständen bei Frauen als Beschwerden des Klimakteriums abgetan. Im weiteren Verlauf führt die Destruktion der Schilddrüse zur Atrophie und Hypothyreose mit mehr oder weniger ausgeprägten Symptomen wie Müdigkeit, trockener Haut, Obstipation, Gewichtszunahme, depressiver Verstimmung oder Konzentrationsstörungen. Bei einigen Betroffenen sind es weniger die Symptome, die in Zusammenhang mit der Schilddrüse stehen: Sie weisen eher Symptome von assoziierten Erkrankungen auf wie beispielsweise Gelenkschmerzen bei rheumatischen Erkrankungen oder Anämie, Schwäche und Zungenbrennen bei perniziöser Anämie. Eine endokrine Orbithopathie mit oft einseitigem Exophthalmus tritt bei etwa sieben Prozent der Hashimoto-Patienten auf.

Diagnose: zufällig oder sonographisch

Die Diagnose wird häufig zufällig gestellt: entweder aufgrund eines erhöhten TSH-Werts und/oder beim Ultraschall der Schilddrüse zeigt sich eine typische Parenchymveränderung. Sonographisch erkennt der versierte Untersucher ein echoarmes inhomogenes Parenchym mit verstärkter Vaskularisation und Mikronoduli in der Größe von ein bis sieben Millimeter. Bei einer Hashimoto-Thyreoiditis ist den Aussagen von Kurtaran zufolge eine Szintigraphie a priori nicht notwendig, da der Ultraschall und die Blutparameter inklusive Schilddrüsen-Antikörper die Basisuntersuchung darstellen. „Wenn im Ultraschall Knoten größer als ein Zentimeter gefunden werden, ist eine Szintigraphie zur Abklärung der Knoten indiziert, nicht aber wegen der Hashimoto-Thyreoiditis“, fasst Kurtaran zusammen.

Eine zentrale Rolle bei der Diagnostik der Hashimoto-Thyreoiditis spielt die Bildung mikrosomaler Antikörper gegen die Schilddrüsenperoxidase (TPO-AK), gegen Thyreoglobulin (Tg-AK) und gegen den TSH-Rezeptor (TSH-R-AK). Die mikrosomalen Antikörper gegen die Schilddrüsenperoxidase sind bei ungefähr 90 bis 95 Prozent der Hashimoto-Patienten positiv. Erhöhte Titer finden sich aber auch bei Morbus Basedow, bei nicht-immunogenen Schilddrüsenerkrankungen und gelegentlich auch bei gesunden, vor allem älteren Menschen. Bei negativen TPO-AK trotz typischer Klinik und sonographischem Verdacht können Thyreoglobulin-Antikörper bestimmt werden. Diese sind bei etwa 60 bis 70 Prozent der Hashimoto-Patienten nachweisbar. Grundsätzlich gibt es aber auch seronegative Formen der Hashimoto-Thyreoiditis. Bei sechs bis 15 Prozent der Patienten mit Autoimmunthyreoiditis finden sich gar keine Schilddrüsenantikörper. Die Höhe der Antikörpertiter lässt keine Rückschlüsse auf den Schweregrad der Erkrankung zu. Lediglich TSH-R-AK sind bei Patienten mit schwerer Opthalmopathie deutlich vermehrt.

Die Hashimoto-Thyreoiditis verläuft in der Regel chronisch; die Behandlung orientiert sich daher an der konkreten Symptomatik und dem Stadium der Erkrankung. „Eine individuell angepasste Therapie und regelmäßige Kontrollen sind für den Therapieerfolg entscheidend,“ sagt Kurtaran. Trummer wiederum unterscheidet zwischen der manifesten Hypothyreose, die generell und unabhängig von Symptomen therapiert werden sollte und der latenten Hypothyreose, deren Laborkonstellation nach zwei bis drei Monaten überprüft werden sollte, um je nach Ausprägung, Alter, Symptomen und Begleiterkrankungen eine Therapie einzuleiten. Der Thyroxinbedarf kann dabei durch einige physiologische und pathologische Zustandsbilder wie Schwangerschaft, postmenopausale Hormonersatztherapie, Malabsorption im Rahmen von gastrointestinalen Erkrankungen, nephrotisches Syndrom, atrophische Gastritis, Helicobacter pylori-Infektion oder eine Therapie mit PPIs erhöht sein. Trummer dazu: „Die Leitlinien der Europäischen Schilddrüsengesellschaft empfehlen zum Beispiel bei einem TSH von mehr als zehn mU/l und einem Alter unter 65 bis 70 Jahren auch bei Beschwerdefreiheit eine Therapie mit Levothyroxin. Dabei sollte die Entscheidung bei älteren Patienten mit einem TSH über zehn mU/l oder bei jüngeren Patienten mit einem TSH kleiner oder gleich zehn mU/l unter anderem von den Symptomen abhängig gemacht werden. Ebenso verweist er darauf, dass hinsichtlich der Therapie sowohl bei symptomatischen als auch bei asymptomatischen Patienten aktuell in den meisten Fällen eine Monotherapie mit Levothyroxin empfohlen wird. Bei Personen mit einer latenten Hypothyreose ließ sich aber die Lebensqualität hinsichtlich der klinischen Symptome durch diese Therapie in Placebo-kontrollierten Studien nicht signifikant verbessern.

Hormonsubstitution nüchtern

Bei der Hormonsubstitution gilt es einiges zu beachten. „Die Tabletten sollten nüchtern, möglichst allein 30 Minuten vor dem Frühstück eingenommen werden,“ weiß Kurtaran und verweist auf die Medikamenteninteraktionen, die bei der Resorption der Tabletten eine Rolle spielen. Eine beschleunigte Verstoffwechslung von Thyroxin wird durch die Einnahme von Phenytoin,



Die Morphologie

Morphologisch ist die Hashimoto-Thyreoiditis durch die graduelle Atrophie des Schilddrüsengewebes gekennzeichnet, gefolgt von lymphozytären Infiltraten, follikulärer Atrophie und Hyperämie, die zu einer Hypothyreose führen. Die exzessiv stimulierten T-Zellen spielen in der Zerstörung des Schilddrüsengewebes durch Apoptose, Antikörperproduktion und Immunregulation eine zentrale Rolle. Molekulares Mimikry und bystande-Aktivierung, die mit einer Expression der HLA-Antigene an den Schilddrüsenzellen einhergehen sind ebenso am Zelluntergang beteiligt wie das Auftreten von CD68+ Makrophagen. Mehrere proinflammatorische Kaskaden mit erhöhtem Zytokinlevel konnten bei Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis festgestellt werden und weisen auf eine hochkomplexe Pathophysiologie hin.

MALT-Lymphom

Im Rahmen einer Autoimmunthyreoiditis kann sich als seltene, aber schwerwiegende Komplikation ein primäres Lymphom der Schilddrüse entwickeln. Diese auch als MALT-Lymphome bezeichneten Veränderungen entwickeln sich aus dem Mukosa-assoziierten lymphatischen Gewebe. Typischerweise finden sich diese Lymphome vor allem bei älteren Frauen mit lokalen Beschwerden und bekannter Hashimoto-Thyreoiditis. „Obwohl die genaue pathogenetische Verbindung bislang nicht bekannt ist, ist die bei einer Hashimoto-Thyreoiditis typische Lymphozyteninfiltration mit einem papillären Schilddrüsenkarzinom assoziiert und könnte somit eventuell einen Risikofaktor für eine solche Neoplasie darstellen,“ gibt Priv. Doz. Christian Trummer von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz zu bedenken. Daher laute die Empfehlung einiger Experten: bei Hashimoto-Thyreoiditis eine sonographische Kontrolle in größeren Abständen, sofern keine kontrollbedürftigen knotigen Veränderungen vorliegen.

Hashimoto-Enzephalopathie

Eine weiteres sehr seltenes, aber mit der Hashimoto-Thyreoiditis assoziiertes Krankheitsbild ist die Hashimoto-Enzephalopathie. Es handelt sich um eine Steroid-sensitive, schubweise verlaufende und progrediente Enzephalopathie mit Verwirrtheit, epileptischen Anfällen, Vigilanzminderung, schlaganfallähnlichen Episoden, Myoklonien und Tremor. Der zugrundeliegende Pathomechanismus ist bisher unklar, da die meisten Patienten zum Zeitpunkt der Vorstellung euthyreot sind. Allerdings finden sich erhöhte Titer von TPO-AK und TG-AK, obwohl kein direkter Zusammenhang zwischen der Titerhöhe und der Schwere der neurologischen Symptomatik vorliegt. Im Liquor zeigen ungefähr 80 Prozent der Betroffenen eine erhöhte Proteinkonzentration; bis zu 98 Prozent der Patienten zeigen im EEG unspezifische Abnormitäten. Vermutet wird derzeit eine Autoimmunvaskulitis oder ähnliche inflammatorische Prozesse, da die Hashimoto-Enzephalopathie auch gemeinsam mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Myasthenia gravis, systemischem Lupus erythematodes und Typ 1-Diabetes auftritt. Der überwiegende Teil der Patienten mit Hashimoto-Enzephalopathie spricht sehr gut auf eine Glukokortikoidtherapie an; vereinzelt kommt es zu einer inkompletten Genesung. Nahezu 25 Prozent der Patienten, die nicht sofort behandelt wurden, weisen bleibende kognitive Beeinträchtigungen auf.


Carbamazepin oder Rifampizin erreicht. Ein zeitlicher Abstand von mindestens vier Stunden nach der Thyroxinmedikation ist bei Cholestyramin, Acetylsalicylsäure, Eisensulfat, Sucralfat, Calciumcarbonat, Antacida, eisenhaltigen Vitaminpräparaten und Nahrung auf Sojabasis notwendig. Bei älteren Patienten und Patienten mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen sollte die Thyroxinaufsättigung allmählich und schrittweise erfolgen. „Ganz generell auf die Hypothyreose bezogen gab es in letzter Zeit einige Studien, die eine Anpassung des TSH-Wertes an das Alter befürworten“, merkt Priv. Doz. Christian Trummer von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Medizinischen Universität Graz an. So könne besonders bei älteren Patienten ein vergleichsweise höherer TSH-Wert bei normalen freien Schilddrüsenhormonen akzeptiert werden, ohne dass eine Therapie zwingend notwendig sei. Kurtaran warnt davor, die T4-Tabletten keinesfalls zu pausieren oder abzusetzen, sobald eine Euthyreose erreicht ist, denn meist sei die Substitutionstherapie lebenslang notwendig.

Nach einer Ersteinstellung oder Dosisänderung empfiehlt sich eine Kontrolle des TSH-Spiegels nach sechs bis acht Wochen. „Zur Kontrolle der Schilddrüsenfunktion reicht prinzipiell eine Bestimmung von TSH und dem freien Thyroxin aus. Bei Patienten mit latenter Hypothyreose ohne Indikation für eine Levothyroxin-Therapie sollten innerhalb der ersten zwei Jahre sechs-monatliche Kontrollen stattfinden, dann jährlich“, so Trummer. Unter laufender Therapie mit Levothyroxin und stabilen laborchemischen Verhältnissen empfiehlt Trummer zumindest jährliche Kontrollen der Schilddrüsenfunktionsparameter, bei Beschwerden auch häufiger. Die TPO-AK und Tg-AK dienen lediglich der Diagnosestellung; wiederholte Antikörpermessungen zur Überwachung der Erkrankung bringen keinen Benefit für die Patienten.

Menschen, die an Hashimoto-Thyreoiditis leiden, weisen oft eine inadäquate Einnahme oder einen Mangel an Mineralstoffen und Vitaminen wie Eisen, Zink, Magnesium, Selen, Jod, Vitamin A, Vitamin D und Vitaminen der B-Gruppe auf. Da sich häufig eine Dysbiose im Zusammenhang mit Schilddrüsenerkrankungen findet, wird eine funktionelle Verbindung zwischen Darm und Schilddrüse als ‚thyroid-gut-axis‘ diskutiert, welche im Falle eines gestörten Mikrobioms im Darm eine gestörte Aufnahme von Mikronährstoffen zur Folge hat. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich auch bei Patienten nach bariatrischen Operationen. „Wenn die Symptome der Hashimoto-Thyreoiditis mit Thyroxin-Gabe nicht ausreichend bekämpft werden können, ist die Gabe von alternativen Substanzen wie Selen als Ergänzung zur Hormontherapie vertretbar,“ meint Kurtaran. Dadurch könne bei einem Teil der Betroffenen eine Besserung der Beschwerden erreicht und das Wohlbefinden gesteigert werden. Kurtaran weiter: „Auch die zusätzliche Gabe von Zink, Vitamin D uns so weiter kann in solchen Fällen Sinn machen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2021