Forschung aus Österreich: Sensorgestützte Insulintherapie: Sensor-Tragestelle beeinflusst Messwerte

25.10.2021 | Medizin

Bei der Gewebezuckermessung können unterschiedliche Sensortragestellen bei sportlicher Betätigung zu großen Abweichungen führen, wie Wiener Wissenschafter kürzlich in einem Pilotprojekt zeigen konnten.
Lisa Frühwald*

Hintergrund

Bekanntermaßen hilft regelmäßige physische Aktivität Patienten mit Typ 1-Diabetes, ihre glykämische Kontrolle zu verbessern und die tägliche Insulindosis zu reduzieren. Wie auch bei gesunden Individuen führt körperliche Betätigung zu einer Verbesserung des Body-Mass-Index und bei Patienten mit Typ 1-Diabetes auch zur Risikoreduktion von kardiovaskulären und neuropathischen Komplikationen.

Die Aufrechterhaltung einer optimalen Blutzuckereinstellung und die Vermeidung von Hypoglykämien während und nach dem Sport sind das vorrangige Ziel. Dies ist und bleibt für viele Menschen mit Typ 1-Diabetes eine Herausforderung. Eine Vielzahl an Parametern – unter anderem das „aktive Insulin“ und der Blutzuckerausgangswert bei Start – ist zu beachten. Weiters ist auch die Unterscheidung zwischen aerober und anaerober Belastung von zentraler Bedeutung, denn aerober Ausdauersport geht eher mit der Gefahr der Hypoglykämie und anaerober Kraftsport oder „high-intensity“-Training mit Hyperglykämien einher. Viel zu oft entsteht Frust aufgrund von pausenloser Kohlenhydrat-Zufuhr während der sportlichen Aktivität sowie schweren Zuckerentgleisungen und damit einhergehend Vermeidung von Sport.

In einer Vielzahl von randomisierten Studien konnte nachgewiesen werden, dass Patienten mit sensorgestützter (rtCGM = real time continuous glucose monitoring) Insulintherapie mehr Zeit in Euglykämie und weniger Zeit in Hypoglykämie verbringen können. rtCGM-Systeme unterstützen nicht nur im täglichen Alltag, sondern auch bei physischer Aktivität. Diese Systeme sind aufgrund ihrer hohen Effektivität inzwischen in Standards und in klinischen Guidelines aufgenommen worden.

Die Genauigkeit von kontinuierlicher Glukosemessung im interstitiellen Gewebe kann bei sportlicher Aktivität erheblich beeinträchtigt werden und große Unterschiede zur Blutglukose aufweisen. Der sogenannte „time lag“ beschreibt die zeitliche Abweichung zwischen der Glukosemessung im Interstitium und im Blut. Je nach Gerät und Glukoseanstieg oder Glukoseabfall beträgt diese Verspätung bei schnellen Änderungen der Blutglukose bis zu 15 Minuten. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die ausreichende Hydrierung, denn Belastung geht einher mit einer Umverteilung der Körperflüssigkeit zwischen Lymph gewebe, Interstitium und Blutvolumen.

Ein üblicher Messwert, um die Genauigkeit von rtCGM-Systemen zu berechnen, ist die mittlere absolute relative Differenz (MARD = Mean Absolute Relative Difference). Über alle Zeitpunkte wird die prozentuale Abweichung des Gewebezuckers gegenüber der Referenzmethode Blutglukose gemittelt. Randomisierte Daten zeigen, dass MARD-Werte der rtCGM eine starke Ähnlichkeit mit jenen von Blutglukose-Messsystemen aufzeigen, wobei diese hauptsächlich in Ruhe und nicht bei Belastung generiert werden.

Im Laufe von mehreren wissenschaftlichen Sport-Projekten verglichen die Autoren Messwerte von rtCGM mit denen von Selbstmessungen der kapillären Glukosekonzentration (selfmonitored blood glucose = SMBG). Zeitweise wurden hierbei sehr große Abweichungen festgestellt. Unter anderem wurde beobachtet, dass die Wahl der Stelle, an der der Sensor gesetzt wird, eine Auswirkung auf die beobachteten Abweichungen hat. Die ortsabhängige Glukoseverwertung in bestimmten Muskelgruppen kann zu deutlichen Unterschieden zwischen rtCGM und dem SMBG-Wert führen.

Im vorliegenden Pilotprojekt wurden die Unterschiede in der Genauigkeit des rtCGM bezogen auf verschiedene Sensortragestellen im Vergleich zur SMBG untersucht.

Methoden

Die Radfahrstrecke in Niederösterreich zog sich ohne wesentliche Höhenmeter über 80 Kilometer. Zehn Teilnehmer, davon sieben mit Typ 1-Diabetes und drei gesunde Freiwillige, fuhren die Strecke ohne nennenswerte Pausen an einem Tag.

Die Studienteilnehmer trugen gleichzeitig drei Dexcom-G6-Sensoren: (A) am Oberarm, (B) am Bauch und (C) am Oberschenkel. SMBGs wurden zu Beginn der Fahrt und alle 30 Minuten erhoben. Um die Genauigkeit der SMBG-Messung zu verbessern, wurden aus derselben Probe zwei Blutzuckerwerte ausgelesen und der Mittelwert verwendet (elf Proben pro Teilnehmer). Die Genauigkeit wurde anhand der MARD bewertet.

Darüber hinaus wurden der Durchschnitt und die Standardabweichung (SD) und der Fehler aller Proben (Bias = durchschnittliche Prozentsatz der Abweichung) berechnet.

Die sensorgestützte Insulinapplikation erfolgte während der Studie über den eigenen rtCGM-Sensor der Personen mit Typ 1-Diabetes.

Ergebnisse

Der MARD war an den drei verschiedenen Körperstellen unterschiedlich, wobei der Arm mit elf Prozent den niedrigsten MARD und damit die höchste Genauigkeit aufwies. Sowohl das Tragen des Sensors auf dem Bauch oder dem Oberschenkel kann bei aerobem Training (Radfahren) zu abweichenden Sensormessungen führen (MARD 13 Prozent und 15 Prozent). Der Bias war an diesen Lokalisationen doppelt so hoch und negativ, was bedeutet, dass die Gewebezuckermessung im Vergleich zur Blutglukose zu niedrig angezeigt wurde.

Schlussfolgerung

Dieses Pilotprojekt deutet darauf hin, dass das am Arm getragene rtCGM bei aeroben Übungen wie zum Beispiel Fahrradfahren die genauesten Messwerte liefert. Dies kann Patienten mit Typ 1-Diabetes eine Hilfe bei der Auswahl der Sensortragestelle im Ausdauersport sein. Die Lokalisation am Oberschenkel ist laut Hersteller keine zugelassene Tragestelle, was sich in diesem Projekt als zutreffend gezeigt hat. Es wurde kein wesentlicher Unterschied der Sensorgenauigkeit zwischen gesunden Teilnehmern und Teilnehmern mit Typ 1-Diabetes festgestellt. Im Vergleich zu den vom Hersteller angegebenen MARD-Werten gab es im Bereich des Oberarms und des Abdomens keine starke Abweichung zu den im Projekt erhobenen Messwerten.

Limitierend für die Aussagekraft dieses Sport-Projekts ist die kleine Fallzahl.

Literatur bei der Verfasserin

*) Dr. Lisa Frühwald, Klinik Ottakring, 5. Medizinische
Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie,
Montleartstraße 37, 1160 Wien; Tel.: 01/491 50-2508;
E-Mail: lisa.fruehwald@gesundheitsverbund.at

Quelle: Müller-Korbsch M, Rega-Kaun G, Fasching P, Fangmeyer-Binder M, Fruehwald L, Heer M., RtCGM Performance at Different Sensor Wear Sites During Prolonged Aerobic Exercise – Can the rtCGM Sensor be Worn Anywhere on the Body? Journal of Diabetes Science and Technology, August 2021, doi:10.1177/19322968211036756


Zur Person

Lisa Frühwald, Jahrgang 1993, Matura mit ausgezeichnetem Erfolg am Mary Ward Gymnasium St. Pölten. Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Promotion 2018. Von November 2018 bis Juli 2019 Basisausbildung an der Klinik Ottakring in Wien. Seit August 2018 Assistenzärztin im Sonderfach Innere Medizin an der 5. Medizinischen Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie an der Klinik Ottakring Wien.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2021