Dia­be­tes mel­li­tus und Hyper­to­nie: Behand­lung immer komplexer

25.01.2021 | Medizin


Schät­zun­gen zufolge lei­den rund 60 Pro­zent der Pati­en­ten mit Typ 2‑Diabetes auch an Hyper­to­nie. Umge­kehrt haben Men­schen, die an Hyper­to­nie lei­den, ein 2,2‑fach erhöh­tes Risiko, inner­halb von fünf Jah­ren an Dia­be­tes mel­li­tus zu erkran­ken. Künf­tig wer­den immer kom­ple­xere Sche­mata in die Behand­lung Ein­zug hal­ten.
Manuela-Claire War­scher

Wäh­rend beim Typ2-Dia­be­tes die Insu­lin­re­sis­tenz und die Akti­vie­rung des Renin-Angio­ten­sin-Sys­tems zur Ent­ste­hung der Hyper­to­nie bei­tra­gen, lässt sich beim Typ 1‑Diabetes der Blut­hoch­druck als Folge der Neph­ro­pa­thie (reno­pa­ren­chy­ma­töse Hyper­to­nie) fest­ma­chen. Umge­kehrt haben Hyper­to­ni­ker ein 2,2‑fach erhöh­tes Risiko, inner­halb von fünf Jah­ren an Dia­be­tes mel­li­tus zu erkran­ken. Bei gleich­zei­ti­gem Auf­tre­ten bei­der Krank­hei­ten erhöht sich das kar­dio­vas­ku­läre Risiko um das Dop­pelte gegen­über dem Vor­lie­gen nur eines Krank­heits­bil­des. „Beim klas­si­schen Typ 2‑Diabetiker, also rund 80 Pro­zent der Pati­en­ten mit meta­bo­li­schem Syn­drom, tritt die Hyper­to­nie bereits vor dem Dia­be­tes auf. Das sind Pati­en­ten, die mit einer Dys­li­pi­dä­mie, Hyper­li­pi­dä­mie oder vis­ze­ra­ler Adi­po­si­tas bereits mani­fes­tie­ren und dann erst im Laufe der Zeit mit ent­spre­chen­der Prä­dis­po­si­tion den Dia­be­tes ent­wi­ckeln“, kon­kre­ti­siert Univ. Prof. Bern­hard Lud­vik von der 1. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung mit Endo­kri­no­lo­gie, Dia­be­to­lo­gie und Nephrolo­gie der Kli­nik Land­straße in Wien. 

Ziel­blut­druck: unein­heit­li­che Empfehlungen

Auf­grund der hete­ro­ge­nen Stu­di­en­lage gibt es wei­ter­hin keine ein­heit­li­che Emp­feh­lung für den Ziel­blut­druck­wert. Die inten­si­ven Dis­kus­sio­nen der jüngs­ten Zeit haben jedoch dazu geführt, dass zu groß­zü­gige Blut­druck­ziele über­holt sind. Emp­foh­len wer­den statt­des­sen stren­gere Blut­druck­werte bei der Behand­lung von Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus Typ 2. Im aktu­el­len öster­rei­chi­schen Blut­druck­kon­sen­sus wird daher bei Men­schen, die an Dia­be­tes mel­li­tus lei­den, ein dia­sto­li­scher Blut­druck von > 70 und 80 mm Hg sowie ein systo­li­sches Office-Blut­druck­ziel von 130 bis 139 mm Hg emp­foh­len. Bei guter Ver­träg­lich­keit ist ein nied­ri­ge­rer Ziel­be­reich von 120 bis 129 mm Hg mög­lich. „Ein Wert unter 130 mm Hg sollte nur bei guter Tole­ranz ein­ge­stellt wer­den, da das kar­dio­vas­ku­läre Risiko bei sehr nied­ri­gen Blut­druck­wer­ten steigt“, sagt Univ. Prof. Robert Zwei­ker von der Kar­dio­lo­gi­schen Abtei­lung der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz. Auch Lud­vik rät von einer gene­rel­len Sen­kung der Blut­druck­werte unter 120 mm Hg ab. „Ein Wert unter 120 mm Hg ist mit höhe­ren Neben­wir­kun­gen ver­bun­den, aller­dings auch mit einem höhe­ren Bene­fit für Pati­en­ten mit einem Schlag­an­fall­ri­siko, bei dem der Ziel­wert häu­fig noch stär­ker gesenkt wird.“ Für die Dia­gnose der Hyper­to­nie hat sich das Zusam­men­spiel von Office-Blut­druck und Bestä­ti­gung durch Out-of-Office-Mes­sung (24-Stun­den-Blut­druck­mo­ni­to­ring) eta­bliert, wobei sich, so Zwei­ker, die 24-Stun­den-Mes­sung vor allem bei Unklar­hei­ten mitt­ler­weile als Gold­stan­dard bewährt hat. Für Lud­vik hän­gen die Blut­druck­werte des Dia­be­ti­kers sehr stark vom „bio­lo­gi­schen Alter“ und der Kom­or­bi­di­tät des Pati­en­ten ab. „Der All­ge­mein­me­di­zi­ner sollte den Pati­en­ten zur häu­fi­gen über den Tag ver­teil­ten Selbst­mes­sung ani­mie­ren, weil die in der Ordi­na­tion oder Ambu­lanz gemes­se­nen Blut­druck­werte sel­ten reprä­sen­ta­tiv sind“, so Lud­vik. Nied­rig dosierte Kombinationstherapie

Die medi­ka­men­töse The­ra­pie des Typ 2‑Diabetikers mit Blut­hoch­druck star­tet mit einer Kom­bi­na­tion von Anti­hy­per­ten­siva. Diese beinhal­tet einen ACE-Hem­mer oder ARB und einen Kal­zi­um­ant­ago­nis­ten oder ein Thia­zid­di­ure­ti­kum. Beta­blo­cker wer­den früh­zei­tig in der Regel nur bei bestehen­der KHK oder Herz­in­suf­fi­zi­enz ein­ge­setzt. „Wich­tig ist, dass bei einem Wert von 160/​100 eine duale The­ra­pie wie die Kom­bi­na­tion von RAS-Hem­mung und Kal­zi­um­ant­ago­nis­ten plus low dose Diure­ti­kum ein­ge­lei­tet wer­den sollte“, so Lud­vik. Eine nied­rig dosierte Kom­bi­na­ti­ons­the­ra­pie bringe nicht nur eine bes­sere Wir­kung, son­dern ver­min­dere auch Neben­wir­kun­gen ist der Experte überzeugt. 

Der Trend in der medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie von Dia­be­tes und Hyper­to­nie geht laut den Exper­ten ein­deu­tig weg vom Insu­lin hin zu neuen Arz­nei­mit­tel­klas­sen wie GLP-1-Rezep­tor-Ago­nis­ten und SGLT-2-Hem­mern. Diese ver­fü­gen über ein sehr gutes Neben­wir­kungs­pro­fil und sen­ken das Risiko für einen kar­dio­vas­ku­lä­ren Tod, die Gesamt­mor­ta­li­tät und Pro­gres­sion der Nie­ren­er­kran­kung bei Pati­en­ten mit eta­blier­ter kar­dio­vas­ku­lä­rer Erkran­kung. „Wir kön­nen heute auf eine Reihe sehr gut wirk­sa­mer Arz­nei­mit­tel zurück­grei­fen, die das kar­dio­vas­ku­läre Risiko signi­fi­kant sen­ken. Neben SGLT-2-Hem­mern sind es GLP-1-Rezep­tor-Ago­nis­ten, die blut­zu­cker­sen­kend wir­ken und die Magen­ent­lee­rung ver­lang­sa­men, wodurch das Sät­ti­gungs­ge­fühl erhöht wird und es so mit­tel­fris­tig zu einer Gewichts­re­duk­tion kommt“, betont Zwei­ker. Auch er ist von der Wirk­sam­keit und dem güns­ti­gen Neben­wir­kungs­pro­fil die­ser inno­va­ti­ven Arz­nei­mit­tel über­zeugt. „Vor allem die nephro-pro­tek­ti­ven Eigen­schaf­ten der SGLT-Hem­mer für Dia­be­ti­ker sind in zahl­rei­chen End­punkt-Stu­dien gut belegt“, so Lud­vik. „In der Dia­be­to­lo­gie soll­ten die Syn­er­gien des gleich­zei­ti­gen Ein­sat­zes der bei­den Arz­nei­mit­tel sowohl auf den Dia­be­tes als auch den Blut­druck genützt wer­den. Damit könnte vor allem die Mor­ta­li­tät signi­fi­kant redu­ziert wer­den. Das haben End­punkt-Stu­dien für beide Arz­nei­mit­tel ein­deu­tig gezeigt.“ 

Bei der Behand­lung von Dia­be­tes mel­li­tus geben die HbA1c-Werte die Behand­lungs­sche­mata vor. Wäh­rend Zwei­ker vor der Sen­kung des Lang­zeit­zu­cker­wer­tes unter sechs Pro­zent bei einem systo­li­schen Blut­druck von 130 mm Hg warnt, rät Lud­vik zu indi­vi­du­el­len Ziel­wer­ten. Bei Ein­satz von Sub­stan­zen ohne Hypo­glyk­ämie­ge­fahr und am bes­ten mit nach­ge­wie­se­nen kar­dio­vas­ku­lär posi­ti­ven Effek­ten sollte ein HbA1c von unter 6,5 Pro­zent ange­strebt wer­den: „In der Dia­be­to­lo­gie sind wir gezwun­gen, den Pati­en­ten unnö­ti­ger­weise lange einer Hyper­glyk­ämie aus­zu­set­zen mit all ihren Aus­wir­kun­gen auf die Organe, bevor wir auf inno­va­tive Arz­nei­mit­tel zurück­grei­fen kön­nen. Damit ent­hal­ten wir den Pati­en­ten eine all­fäl­lig lebens­ver­län­gernde The­ra­pie vor.“ Künf­tige Behand­lungs­stra­te­gien sehen eine Remis­sion des Dia­be­tes mel­li­tus mit einem HbA1c unter 6,5 Pro­zent vor und wer­den nicht mehr aus­schließ­lich das HbA1c als Kri­te­rium her­an­zie­hen, son­dern ver­mehrt auf die Time-in-Range (TIR) ach­ten. Die Range wird sehr pati­en­ten­spe­zi­fisch aus­fal­len, Gui­de­lines emp­feh­len der­zeit eine Range von 70 bis 180 mg/​dl. „Unser Ziel ist es, bei über 75 Pro­zent der Pati­en­ten die­sen Wert zu erzielen.“

Pro­blem­fall: the­ra­pie­re­sis­tente Hypertonie

Die Zahl der Pati­en­ten mit einer the­ra­pie­re­sis­ten­ten Hyper­to­nie ist unter Dia­be­ti­kern sehr hoch. Ein Pati­ent wird als the­ra­pie­re­sis­tent ein­ge­stuft, wenn die Blut­druck­ziele mit drei Anti­hy­per­ten­siva inklu­sive einem Diure­ti­kum nicht erreicht wer­den kön­nen. „Vor der fina­len Dia­gnose ‚The­ra­pie­re­sis­tenz‘ muss die Com­pli­ance des Pati­en­ten abklärt sein. Hält sich der Pati­ent an alle ärzt­li­chen Vor­ga­ben, dann sollte als nächs­tes eine endo­kri­no­lo­gi­sche Unter­su­chung statt­fin­den und schließ­lich muss ins­be­son­dere bei Frauen ein Hyperal­dos­te­ro­nis­mus aus­ge­schlos­sen wer­den kön­nen“, erklärt Lud­vik. Zwei­ker ergänzt: „Durch den Ver­lust der elas­ti­schen Eigen­schaft der Gefäße kann es zu Mess­schwie­rig­kei­ten bei Dia­be­ti­kern kom­men. Daher müs­sen jeden­falls all­fäl­lige The­ra­pie­re­sis­ten­zen unter Berück­sich­ti­gung der Gefäß­ei­gen­schaft veri­fi­ziert wer­den.“ Neue Ansätze hel­fen dabei, Pati­en­ten mit sehr schwer ein­stell­ba­rer Hyper­to­nie zu kon­trol­lie­ren. „Mit einem Baro­re­zep­tor­sti­mu­la­tor, eine Art Elek­tro­schritt­ma­cher ein­ge­setzt unter­halb des Schlüs­sel­beins, wer­den über eine Elek­trode die Baro­re­zep­to­ren am Glo­mus caro­ti­cum mit elek­tri­schen Impul­sen sti­mu­liert. Durch das Gehirn erfolgt die Down-Regu­la­tion des Blut­drucks, weil durch den Sti­mu­la­tor eine erhöhte Wand­span­nung und somit ein höhe­rer Blut­druck simu­liert wird“, erklärt Zwei­ker den Mecha­nis­mus des Schritt­ma­chers. In sei­nen Augen ist die­ser jedoch die „letzte“ zur Ver­fü­gung ste­hende Maß­nahme bei Hyper­to­ni­kern mit Herzinsuffizienz. 

Gezielte Lebens­stil­maß­nah­men

Pati­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus kön­nen durch gezielte Lebens­stil­maß­nah­men die Blut­druck­be­hand­lung posi­tiv beein­flus­sen. So kann eine Gewichts­re­duk­tion von acht Kilo­gramm bei über­ge­wich­ti­gen Dia­be­ti­kern die Blut­druck­werte um 5/​2 mm Hg sen­ken. Gene­rell gilt, dass mit zuneh­men­dem Pati­ent-Empower­ment auch die Ver­ant­wor­tung für die eigene Gesund­heit beim Betrof­fe­nen liegt. „Dia­be­tes und Adi­po­si­tas haben einen mas­si­ven sozio­öko­no­mi­schen Impact. Beide Krank­hei­ten wer­den sozu­sa­gen inner­fa­mi­liär ver­erbt. Daher sind All­ge­mein­me­di­zi­ner eine wich­tige Dreh­scheibe. Sie ken­nen häu­fig die Fami­li­en­ver­hält­nisse und kön­nen prä­ven­tiv auf Pati­en­ten und Ange­hö­ri­gen ein­wir­ken“, erklärt Zweiker. 

Neben der Baro­re­zep­tor­sti­mu­la­tion bei the­ra­pie­re­sis­ten­ter Hyper­to­nie, der Dia­be­tes Remis­sion und des Time-in-Range-Ansat­zes wer­den nie­der­ge­las­sene Ärzte künf­tig mit sehr kom­ple­xen The­ra­pien kon­fron­tiert sein. In abseh­ba­rer Zeit wer­den Blut­zu­cker­mes­sun­gen via Pflas­ter erfol­gen und Arz­nei­mit­tel, die duale Rezep­tor-Ago­nis­ten sind, die das HbA1c auf zwei Pro­zent und das Kör­per­ge­wicht um 14 Pro­zent zu sen­ken ver­mö­gen, auf den Markt kom­men. Dazu kom­men tele­me­di­zi­ni­sche The­ra­pie­mög­lich­kei­ten. „Im Zen­trum wird dabei der Aus­tausch zwi­schen intra- und extra­mu­ra­lem Bereich ste­hen“, kon­sta­tiert Ludvik.


Leit­li­nien-Emp­feh­lung zur Risikoprophylaxe

Leit­li­nien

Blut­druck­sen­kung

Europa

135/​80 mm Hg

USA

≥ 130/​80 mm Hg (Start)
130/​80 mm Hg (Ziel)

Dia­be­tes mel­li­tus und Hypertonie

  • Dia­be­ti­ker lei­den sehr häu­fig an Hyper­to­nie (circa 60 Prozent);
  • Dia­be­ti­ker mit Hyper­to­nie haben ein hohes oder sehr hohes kar­dio­vas­ku­lä­res Risiko;
  • Blut­druck­ziel: 130 bis 139/​70 bis 79 mm Hg bei guter Ver­träg­lich­keit und 65 Jah­ren und 120–129 mm Hg systolisch;
  • medi­ka­men­töse Behand­lung star­tet als Kombinationstherapie;
  • ein ACE-Hem­mer oder ARB sollte Teil der Initi­al­the­ra­pie sein;
  • einige Anti­dia­be­tika-Klas­sen füh­ren zu einer kli­nisch rele­van­ten Blut­druck­sen­kung (SGLT-2-Inhi­bi­to­ren, GLP-1-Rezep­to­r­ago­nis­ten und Pioglitazon).

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 1–2 /​25.01.2021