COVID-19 und Thrombosen: Was tun in der hausärztlichen Versorgung?

25.04.2021 | Medizin


Mit der Frage, was in der hausärztlichen Versorgung bei COVID-19 und Thrombosen zu tun ist, befasst sich der folgende Beitrag.
Kathryn Hoffmann et al.*

Je länger die SARS-CoV-2-Pandemie andauert und je mehr Menschen weltweit an COVID-19 erkranken und versterben, umso deutlicher wird, dass das SARS-CoV-2 nicht nur eine Ernst zu nehmende Infektion verschiedener Organsysteme auslösen kann, sondern oftmals auch zu schwerwiegenden Veränderungen im Gerinnungssystem der Betroffenen führen kann.

In der Zwischenzeit sind zwar schon eine Reihe von Risikofaktoren identifiziert worden, welche das klinische Outcome sowie das Überleben der COVID-19 Erkrankung beeinflussen, jedoch bleibt die Einschätzung des klinischen Verlaufs bei jedem einzelnen Individuum weiterhin ungewiss.

Eine Publikation aus Österreich aus dem Jahr 2020 zeigte, dass bei allen COVID-19 Verstorbenen, welche im Rahmen der Studie obduziert wurden, Thrombosen in den kleinen und mittellumigen Lungenarterien zu finden waren. Alle Patienten hatten im Krankenhaus eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) erhalten. Periphere Thrombosen waren in diesen Fällen keine zu finden .

Es wird angenommen, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 eine Inflammation mit Endothelschädigung und Aktivierung des Gerinnungssystems lokal im Lungenkreislauf führt. In einer Studie aus Italien gaben die Autoren diesem häufigen Phänomen sogar den Namen PIC (Pulmonary Intravascular Coagulopathy) in Abgrenzung mit dem von anderen schweren Infektionen ausgelösten DIC (Disseminated Intravascular Coagulopathy). Über eine eventuelle Behandlung mit NMH bereits im häuslichen Setting sind nach wie vor keine Zahlen vorhanden; ebenso wenig dazu, ob die thrombo-embolischen Ereignisse bereits vor der Hospitalisierung entstanden waren.


Empfehlung

  • Bei allen Patientinnen und Patienten mit gesicherter SARS-CoV-2 Infektion sollte die Indikation zur medikamentösen VTE-Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) großzügig gestellt werden.
  • Die Dosierung sollte in einem für den Hochrisikobereich zugelassenen Bereich erfolgen (NMH in prophylaktischer Dosierung 1x täglich).
  • Bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren (z.B. BMI >30 kg/m², Z. n. VTE, aktive Krebserkrankung) sollte unter Berücksichtigung von Nierenfunktion und Blutungsrisiko eine intensivierte Thromboseprophylaxe erwogen werden (zum Beispiel NMH in halbtherapeutischer Dosierung 1 x täglich oder NMH in prophylaktischer Dosierung 2 x täglich).
  • Bei Kontraindikationen für eine Antikoagulation sollten physikalische Maßnahmen (zum Beispiel Kompressionsstrümpfe) zur Anwendung kommen.
  • Eine therapeutisch dosierte Antikoagulation sollte nur bei einer gesicherten Thromboembolie oder einer ECMO-Behandlung erfolgen.

In anderen Studien wurde eine Häufung von venösen oder arteriellen Thrombosen der Extremitäten mit resultierenden Lungenembolien oder Schlaganfällen als Folge der SARS-CoV-2 Infektion gefunden. Dies könnte auch eine der Ursachen dafür sein, dass immer wieder Personen mit eigentlich milden Symptomen, welche zu Hause in Heimquarantäne oder Heimisolation die Erkrankung auskurieren sollen, plötzlich zu Hause versterben. Darüber hinaus könnte dieser Faktor auch mitverantwortlich sein für die unterschiedlichen Sterberaten von unterschiedlichen ethnischen Gruppen; Chinesen haben grundsätzlich ein eher niedrigeres Thromboserisiko als Kaukasier, Afro-Amerikaner ein deutlich höheres. In einer Fallstudie wird das Auftreten von tiefen Venenthrombosen und daraus resultierenden Lungenembolien noch bis zu einer Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus beschrieben.

Das SARS-CoV-2-Virus verursacht direkt und indirekt eine Aktivierung der Blutgerinnungsfaktoren und führt somit zu einem hyperkoagulatischen Status. Die Faktoren für das individuelle Risiko einer solchen Aktivierung sind zum Teil jedoch noch unbekannt. Ein Zusammenspiel mit Immobilisation, Gefäßschädigung und Entzündungen führt jedenfalls zu einem deutlich erhöhten Risiko für thromb-embolische Ereignisse. Ay et al. konnten in einem Systematic review zeigen, dass Patienten, die zwar stationär, aber nicht auf einer Intensivstation betreut werden müssen, ein Risiko von fünf bis elf Prozent haben, ein thrombo-embolisches Ereignis zu erleiden. Demgegenüber erleiden zwischen 18 und 28 Prozent der COVID-19-Patienten mit sehr schwerem Verlauf eine Beinvenenthrombose oder Lungenembolie.

Nach wie vor liegen keine evidenzbasierten Behandlungsempfehlungen für die NMH-Prophylaxe im hausärztlichen Setting (milde und moderate Krankheitsverläufe) vor. Studien gaben jedoch Hinweise darauf, dass die Gabe von unfraktioniertem sowie NMH bei schweren COVID-19 Verlaufsformen die Mortalität in Bezug auf die COVID-19 bedingte Koagulopathie senken könnten. Speziell Heparin ist vielversprechend, weil es zusätzlich zur antikoagulatischen Eigenschaft auch anti-inflammatorische und anti-virale Eigenschaften aufweist. Blutungsereignisse dagegen sind bei COVID-19 bisher sehr selten beobachtet worden. International gehen daher auch die Empfehlungen für eine NMH-Prophylaxe bei moderater Erkrankung ohne weitere Risikofaktoren auseinander. Bei einer schweren Erkrankung hingegen hat sich die Therapie mit beispielsweise NMH in prophylaktischer Dosierung (Enoxaparin 40 mg oder Dalteparin 5000 IU 1x täglich) etabliert.

Was heißt das alles nun für die hausärztliche Versorgung?

Zuerst soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass derzeit angenommen wird, dass circa 20 bis 40 Prozent aller SARS-CoV-2 Infizierten niemals Symptome zeigen. Die weiteren 60 bis 80 Prozent teilen sich wiederum in circa 80 bis 90 Prozent auf, die nur relativ milde bis moderate Symptome zeigen (auch in diesen Fällen kann in bis zu zehn Prozent Long-COVID auftreten), wobei hier auch eine gerade noch nicht Sauerstoffpflichtige virale Pneumonie als moderat verstanden wird, und zehn bis 20 Prozent, die schwere Symptome zeigen und eine intensivere, im Krankenhaus/ICU stattfindende Therapie brauchen. Es wurde beobachtet, dass die meisten Personen, welche schwere Symptome zeigen, diese erst circa sechs bis 14 Tage nach Symptombeginn entwickeln und somit anfänglich auch zur Personengruppe mit milden Symptomen gehören. Interessant für die hausärztliche Primärversorgung sind also die infizierten Personen, die mit in den meisten Fällen zu anfangs „milden“ COVID-19 Symptomen zu Hause in Isolation oder Quarantäne sind.

In Bezug auf die Diagnostik in der hausärztlichen Versorgung heißt dies, dass bei der Betreuung von Personen mit COVID-19 in der häuslichen Isolation oder Quarantäne beziehungsweise mit COVID-19 Verdacht folgende Punkte immer zusätzlich zu den bereits bekannten wichtigen Risikofaktoren und Symptomen erhoben und berücksichtigt werden sollten:

  • angeborene oder bestehende Blutgerinnungsstörungen;
  • Einnahme von Blutgerinnungs-hemmenden Medikamenten;
  • Vorgeschichte einer TVT oder PVE;
  • Evaluierung von Symptomen einer Venenthrombose/Pulmonalembolie bzw. Wells-Score Erhebung;
  • Kontraindikationen, die gegen eine Applikation von NMH sprechen.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Hausärzte aller Patienten mit bestätigter oder vermuteter COVID-19-Erkrankung informiert werden, sodass die nötige Betreuung, Überwachung und Behandlung erfolgen kann!

In Bezug auf die Therapie von mild oder moderat COVID-19 Erkrankten zu Hause: Die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung und internationale Fachgesellschaften empfehlen aus diesem Grund eine großzügige Prophylaxe mit NMH, wenn keine Kontraindikationen bestehen. Vor allem bei Menschen mit:

  • angeborenen oder bestehenden Blutgerinnungsstörungen;
  • Vorgeschichte einer TVT und/oder PVE;
  • Immobilisierung im Rahmen der COVID-19-Erkrankung (zum Beispiel Bettlägrigkeit durch Fieber).

Weitere Prophylaxe nach Krankenhausentlassung: Weiterführen der Antikoagulation mit NMH für 14 Tage in Einzelfällen zu evaluieren. Eine Behandlung mit Antikoagulantien, die Patienten schon vor der COVID-Erkrankung hatten, sollte  weitergeführt werden. Eine Umstellung von anderen Antikoagulantien auf ein NMH allein aufgrund von COVID-19 ist nicht notwendig.

Literatur bei den Verfassern
*) Univ. Prof. Dr. Kathryn Hoffmann, Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin/Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien;
Dr. Susanne Rabady, Kompetenzzentrum für Allgemein- und Familienmedizin, Karl-Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften Krems;
Dr. Cihan Ay, Dr. Paul Knöbl und Univ. Prof. Dr. Ingrid Pabinger: Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie/Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien

Stand: 9. Dezember 2020

Tipp: Die jeweils aktuellste Version steht unter www.kl.ac.at sowie unter www.meduniwien.ac.at zur Verfügung.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2021