Adipositas und Niere: Adipositas schädigt direkt und indirekt

10.09.2021 | Medizin

Mit dem Anstieg der Adipositas-Prävalenz kommt es auch zu einem Anstieg der Prävalenz von chronischer Niereninsuffizienz. Als Risikofaktor gilt viszerales Fettgewebe, wodurch es in der Folge zur Schädigung ähnlich wie bei einer diabetischen Nephropathie kommt.
Sophie Fessl

Mit steigendem Body Mass Index (BMI) scheint das Risiko für alle Komplikationen der Adipositas zu steigen, darunter Niereninsuffizienz, Hypertonus und Diabetes mellitus. Besonders bei Diabetikern ist die Niereninsuffizienz bekanntermaßen weit verbreitet, betont Univ. Prof. Alexander Rosenkranz von der Abteilung für Nephrologie der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Graz. „Rund ein Viertel der Patienten mit Typ-2-Diabetes hat auch eine eingeschränkte Nierenfunktion von unter 60 Prozent.“ Und Univ. Prof. Marcus Säemann von der 6. Medizinischen Abteilung mit Nephrologie und Dialyse der Klinik Ottakring in Wien ergänzt: „Weltweit kommt es mit einem Anstieg der Adipositas-Prävalenz auch zu einem Anstieg der Prävalenz von chronischer Niereninsuffizienz“.

Die mit Adipositas assoziierte Nephropathie hat mehrere Ursachen, weiß Priv. Doz. Joakim Huber von der Abteilung für Innere Medizin im Franziskus Spital am Standort Landstraße Wien. „Adipositas führt über direkte und indirekte Effekte zu einer Schädigung der Niere. Einerseits ist also die Adipositas selbst negativ für die Niere. Andererseits können die Folgeerkrankungen der Adipositas, wie Diabetes und Bluthochdruck, die Niere schädigen.“

Doch nicht alle adipösen Patienten leiden an einer Nephropathie, und nicht bei allen adipösen Patienten mit Nierenschädigung liegen Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus oder ein Hypertonus vor. „Ein Risikofaktor ist die Anhäufung an viszeralem Fettgewebe. Im viszeralen Fettgewebe läuft eine Entzündungskaskade ab, diese verursacht einerseits Insulinresistenz, andererseits führen die Entzündungsfaktoren zu Bluthochdruck und wirken sich auch direkt negativ auf die Niere aus“, erläutert Huber.

Das viszerale Fettgewebe führe, so Rosenkranz, unter anderem durch eine mechanische Kompression der Niere zur vermehrten Rückresorption von Natrium. Dieser Mechanismus ist ähnlich der diabetischen Nephropathie, bei der infolge des hohen Glukosespiegels eine erhöhte Filtration zu einer erhöhten Natriumrückresorption führt. Da in weiterer Folge wenig Natrium in der Maculadensa zur Verfügung steht, kommt es zur Öffnung des Vas afferens, um die Nierendurchblutung zu erhöhen, und in der Folge als Langzeitschaden eine Störung der Filtrationsbarriere.

Fettgewebe aktiviert Sympathikus

„Man geht davon aus, dass bei der Adipositas das perirenale und intrarenale Fettgewebe zu einer erhöhten Kompression der Niere und einer Aktivierung des Sympathikus führen“, erläutert Rosenkranz. In Folge kommt es zur vermehrten Rückresorption von Natrium, Hyperfiltration sowie einem vermehrten Blutfluss in den Kapillargefäßen. „Die Zellen der Filtrationsbarriere, die Podozyten, die auch das Eiweiß in den Gefäßen ‚hält‘, verlieren ihren mechanischen Kontakt im Glomerulum, gehen zugrunde und als Folge kommt es zur Albuminurie. Die Schädigung verläuft wie bei einer diabetischen Nephropathie.“

Außerdem besteht laut Säemann ein Zusammenhang zwischen einer Störung der Nierenfunktion und der massiv erhöhten Insulinresistenz bei vielen Patienten mit Adipositas. Die Insulinresistenz betrifft auch Strukturen der Nieren, vor allem des Stützapparates, aber auch die für die Filtration zuständigen Podozyten. „Es kommt zu einer Vermehrung der Mesangialzellen und damit zu einem Umbau des Stützgerüstes. Schließlich entsteht eine Glomerulosklerose mit dem klassischen klinischen Feature einer erhöhten Eiweißausscheidung, bevor noch die Nierenfunktion abnimmt“, erläutert Säemann.

Als zusätzlicher Pathomechanismus werden Adipokine diskutiert: Zytokine, die vom Fettgewebe gebildet und sezerniert werden und als Signalmoleküle wirken. „Andere Theorien sind, dass das Fettgewebe per se proinflammatorisch ist und Entzündungsmediatoren freisetzt, oder mit dem unspezifischen Immunsystem in Interaktion ist, so dass eine chronische Entzündung angetrieben wird, die für die Niere schlecht ist“, fügt Säemann hinzu. Ein erhöhter Blutdruck könnte ebenfalls das Nierensystem schädigen.

Erstes Anzeichen einer Nierenschädigung ist die erhöhte Eiweißausscheidung. „Es handelt sich um eine chronische Nierenerkrankung, die sich langsam entwickelt. Auch eine Albuminurie ohne Einschränkung der Nierenfunktion ist als Nierenerkrankung zu werten und kann auch nicht so selten bereits bei Menschen mit BMI 30 auftreten“, erläutert Rosenkranz. Eine rasche Diagnose sei vor allem wichtig, um durch frühe Intervention die folgende Progression der Nierenerkrankung zu verlangsamen.

Daher sollten Patienten mit den Risikofaktoren Adipositas, kardiovaskuläre Erkrankung, Hypertonus, Diabetes mellitus oder einer Dialyse-pflichtigen Nierenerkrankung in der Familie auf eine eingeschränkte Nierenfunktion oder einem beginnenden Nierenschaden (Albuminurie) gescreent werden, betont Rosenkranz. Anhand des Kreatinin-Werts im Blut sollte die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) errechnet werden. Außerdem sollte die Eiweißausscheidung im Spontanharn bestimmt werden. „Die Messung im Spontanharn ist ausreichend, da der Albumin/Kreatinin-Quotient im Spontanharn der Eiweißausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin entspricht.“ Bei positivem Befund sollte die Messung innerhalb von zwei bis drei Monaten wiederholt werden, da diese aufgrund von einem Harnwegsinfekt, fieberhaftem Infekt oder schwerer körperlicher Betätigung falsch positiv sein kann.

Ist die Nierenerkrankung bestätigt, sollte die Ursache gesucht und intensiv behandelt werden. „Es braucht ein allumfassendes Behandlungskonzept, das den Patienten aus der entgleisten Stoffwechsellage bringt“, betont Säemann. Dazu gehören die Einstellung des Blutdrucks auf unter 120 mmHg unter Berücksichtigung anderer Risikofaktoren, eine Salz-arme Diät, Gewichtsreduktion und Lebensstilmodifikationen, wie Rosenkranz anführt. „Es ist eine Polypharmazie. Alle Risikofaktoren müssen behandelt werden. Nummer 1 dabei sind Gewicht und Hypertonie.“

Neben einer Gewichtsreduktion sind RAAS-Hemmer bei Patienten mit Bluthochdruck zu empfehlen, berichtet Huber, da sie bei Patienten mit Adipositas und Proteinurie nephroprotektiv sind. Bei Typ 2-Diabetikern mit chronischer Niereninsuffizienz sollten SGLT-2 Inhibitoren zum Einsatz kommen. Falls dies nicht möglich ist, werden auch GLP-1-Rezeptorantagonisten zur Blutzuckersenkung, Gewichtsreduktion und Verbesserung der Nephropathie empfohlen. Medikamente zur Senkung der erhöhten Eiweißausscheidung sollten früh verabreicht werden, um die Progression der Nierenerkrankung zu verlangsamen.

„SGLT-2-Inhibitoren sind in der Therapie am bedeutsamsten, da sie die Hämodynamik der Niere beeinflussen, die Eiweißausscheidung reduzieren und in Kombination mit einer Diät neben ihren nephroprotektiven Eigenschaften auch andere Effekte haben wie Gewichtsabnahme und Blutdrucksenkung“, erklärt Säemann. Und weiter: „SGLT-2-Inhibitoren werden zusehends zum wichtigsten Baustein für die Therapie von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.9.2021