Wahlärzte ins Kassensystem: Falscher Ansatz

17.08.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Wieder einmal wurden seitens der Österreichischen Gesundheitskasse Pläne öffentlich kundgetan, wonach man zur Behebung des Kassenärztemangels einfach Wahlärzte in das Kassensystem zwingen müsse. Momen Radi, Leiter des ÖÄK-Referates für Wahl- und Privatärzte, fand dazu scharfe Worte der Ablehnung.

In regelmäßigen Abständen kommen von der ÖGK Vorschläge zur Lösung des Kassenärztemangels, die alle in dieselbe Richtung zielen: Wenn das aktuelle System zu unattraktiv ist, um die lückenlose Versorgung im niedergelassenen Bereich zu garantieren, dann ist der Ansatz der ÖGK nicht, das System attraktiver zu machen, sondern die Wahlärzte in dieses System zu zwingen. Diesmal war es der ÖGK-Landesstellenvorsitzende aus Vorarlberg, Manfred Brunner, der in einem Zeitungsbericht öffentlich ein derartiges Zwangsmodell forderte. Es wäre, so Brunner, das Gesundheitssystem anders nicht mehr zu retten. Zudem sei die Tariffreiheit der Wahlärzte eine Wettbewerbsungleichheit zulasten der Patienten und man müsse daher die Wahlärzte zu kostenlosen Sachleistungen, vereinbarten Öffnungszeiten, Nacht- und Wochenenddiensten sowie Vertretungsregelungen zwingen, meinte Brunner.

„Pünktlich, wie jedes Jahr zu Beginn der Sommerzeit, kommt aus irgendeiner politischen Ecke Kritik am Wahlarzt“, kommentierte dies Momen Radi, Leiter des Referates für Wahl- und Privatärzte in der Österreichischen Ärztekammer. In den Jahren zuvor seien es Unkenrufe gewesen, die den Rückersatz abzuschaffen forderten, „so als ob diese Peanuts die Gesundheitsfinanzierung gefährdeten“, sagt Radi. Dass diesmal aber sogar ein Angriff auf den freien Arztberuf als solchen erfolgt, hat für Radi mit einem „getrübten Blick auf die Realität“ zu tun. „Der Arztberuf ist ein freier Beruf. Letztlich bleibt er dies auch trotz eines Vertrages mit Kassen, in denen nur geregelt ist, was an ärztlichen Leistungen vergütet, und welche zeitliche Verfügbarkeit vereinbart wird. Diesen Vertrag kann man freiwillig annehmen. Ungeachtet dessen hat jeder Arzt aber einen Behandlungsvertrag, der ihn verpflichtet, nach bestem Wissen medizinisch zu behandeln“, stellt Radi in diesem Zusammenhang klar.

Abwärtsspirale

Letztlich sei es genau dieser Umstand, der dazu führe, dass immer weniger Ärzte einen Kassenvertrag schließen, ist Radi überzeugt. Die finanzielle Absicherung schütze nicht vor der medizinischen Verantwortung, die immer schwerer zu tragen sei. Die wissenschaftlichen Anforderungen an die medizinische Behandlung hätten in den letzten Jahren massiv zugenommen – ebenso wie die Mündigkeit und das Anforderungsprofil der Patienten, sagt Radi und schlussfolgert: „Das Sparprogramm der ÖGK in den letzten Jahrzehnten mit degressiven, limitierenden und demotivierenden Honorargestaltungen sowie Stelleneinsparungen machen es offensichtlich notwendig, dass viele Leistungen gratis erbracht werden müssen, um dem Behandlungsvertrag gerecht zu werden.“ Die Verlagerung der Schreibtischarbeit der Krankenkassen mittels EDV auf die Ärzte – kombiniert mit multiplen bürokratischen, aber auch finanziellen Aufwendungen ohne jeglichen Beitrag für eine patientengerechte Behandlung – würden diese Spirale immer weiter drehen. „Letztlich bleibt wenig Zeit für den Patienten, der sein Heil vermehrt beim Wahlarzt sucht und ihn auch selbst dafür bezahlt. Und wenn beide, nämlich Arzt und Patient, ihr Glück zunehmend im vertragslosen Bereich finden, dann muss ja wohl mit dem System etwas nicht stimmen“, stellt der Referatsleiter fest. Einen Wettbewerb zulasten der Patienten könnte es ja nur geben, wenn die Patienten zu beiden Systemen gezwungen wären.

„Wer nun Wahlärzte in dieses System zwingen will, könnte mit gleicher Begründung auch verlangen, dass Apotheker, Rechtsanwälte, Ziviltechniker, Notare, Hebammen und letztlich auch Künstler zwangsweise vertragsverpflichtet werden“, fasst Radi zusammen.

Er schließt mit einem Gegenvorschlag – „dieser ist möglicherweise ebenso schräg“, so Radi: „Vielleicht schaffen wir die Gesundheitskasse ab, deren Hauptaufgabe es offensichtlich geworden ist, eine einnahmenorientierte Sparpolitik im Stil eines gewinnorientierten Unternehmens zu betreiben, statt einer vom Staat finanzierten Einrichtung, die eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung zu organisieren hätte.“ (sb)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2021