Versorgungsdefizite: Nägel mit Köpfen machen

25.04.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK


Aufgrund von offenen Kassenstellen müssen in manchen Bundesländern nun Spitalsärzte als Hausärzte einspringen. Statt Einsparungen und Investitionsverweigerung fordert die Österreichische Ärztekammer Konzepte für eine zukunftssichere Gesundheitsversorgung.
Sophie Niedenzu, Sascha Bunda

Regierungsprogramm. Dieses Wort mag in Zeiten der Pandemie mancherorts zu einem Fremdwort mutiert sein. Dort ist jedenfalls die Rede von folgendem: Nachhaltige finanzielle Absicherung der hohen Qualität der Gesundheitsversorgung, bedarfsorientierte Ausbildung von Ärzten sowie niederschwelliger Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung. „Die medizinischen Ressourcen sind knapp, umso wichtiger ist es, diese sinnvoll einzusetzen, um unsere Patienten bestmöglich zu behandeln“, sagt Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Das hieße auch, das sehr gut etablierte, duale System von Ordinationen und Spitälern zu stützen: „Spitäler sollten soweit entlastet werden, dass Patienten, die ebenso im niedergelassenen Bereich behandelt werden können, auch dort versorgt werden“, sagt Mayer. Das Problem dabei: es gibt viele unbesetzte Kassenstellen. Das führt mancherorts zu Versorgungsdefiziten, die nun immer wieder durch die Spitäler aufgefangen werden. So helfen beispielsweise in Niederösterreich Spitalsärzte in Ordinationen aus. Gemeinden, die über zwölf Monate keinen Allgemeinmediziner auf Kasse mehr haben, sollen einerseits mit Geld und andererseits mit einem Mediziner aus den Landeskliniken unterstützt werden. Auch im Burgenland werden aufgrund von unbesetzten Kassenstellen in der Allgemeinmedizin Spitalsärzte eingesetzt. So gebe es Gespräche der Burgenländischen Krankenanstalten KRAGES mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) über eine dislozierte Ambulanz des Spitals Oberpullendorf. Dem Pilotprojekt könnte eine weitere in Gattendorf folgen. „Dieses Pilotprojekt wirft noch viele Fragen auf“, sagt Brigitte Steininger, Vizepräsidentin und Kurienobfrau der angestellten Ärzte der Ärztekammer Burgenland. Gemeinsam mit dem Land Burgenland werde nun in einer Arbeitsgruppe versucht, eine Lösung für eine optimale Patientenversorgung zu finden.

Neue Konzepte

Grundsätzlich stelle sie sich die Frage, mit welchen Ärzten die dislozierte Ambulanz betrieben werden soll: „Wir versorgen selbstverständlich gerne alle Patienten, aber es kann nicht sein, dass sich unsere Arbeit aufgrund von Personalmangel und Mehrfacharbeit stets verdichtet, das ist weder für das medizinische Personal noch die Patienten gut“, betont Steininger. Im Burgenland würden bereits jetzt die Spitäler die Versorgung ab 22 Uhr durch die Ambulanzen gewährleisten. Insgesamt fehlen laut Steininger allein im Burgenland etwa 60 Ärzte, auch in der Pflege gebe es dringenden Bedarf: „Wenn wir als Spitalsärzte mehr Aufgaben erhalten, dann benötigen wir auch eine entsprechende Finanzierung des Bereichs“, sagt sie. Zudem müssten die Rahmenbedingungen geklärt werden. So sollte laut Steininger die Nebenbeschäftigung in Ordinationen für Spitalsärzte, die das freiwillig machen wollen, genehmigungsfrei und die Dienstpläne entsprechend freier gestaltbar sein: „Wenn Spitalsärzte gerne auch in der Niederlassung arbeiten, dann sollen ihnen keine Steine in den Weg gelegt werden, es muss nur auch realistisch mit den Dienstplänen in den Spitälern umsetzbar sein“, sagt Steininger. Grundsätzlich müssten Strategien erarbeitet werden, wie man in Zukunft den Gesundheitsbereich aufstellen wolle: „Wir sind sehr gerne bereit, als Ärztevertretung gemeinsam mit den Krankenhausträgern neue Konzepte zu erarbeiten“, betont Steininger und verweist auf bereits bestehende Konzepte der ÖÄK über den Weg des Patienten zum Arzt.

Ressourcen für Arztausbildung

Die Spitäler haben auch die Verantwortung für eine qualitätsvolle Ausbildung, erinnert Daniel von Langen, Obmann der Bundessektion Turnusärzte der Österreichischen Ärztekammer. Wenn nun Ausbildner als Hausärzte aushelfen würden, fehle die Betreuung im Spital. Würden umgekehrt Assistenzärzte mit ius practicandi für Allgemeinmedizin in die Ordination geschickt werden, dann fehle ihnen die Ausbildungszeit im Spital. „Das kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein“, sagt der Turnusärztevertreter. Man dürfe nicht vergessen, dass mit der Ausbildung auch die Absicherung der Gesundheitsversorgung steht und fällt: „Die Ärzteschaft wird immer älter, viele Junge verlassen Österreich, wie soll hier die Versorgung langfristig aufrechterhalten bleiben?“ Qualität in der Arztausbildung bedeute, dass die angehenden Ärzte auch die Möglichkeiten haben, von den älteren zu lernen. Bereits jetzt würden die Spitäler am Limit arbeiten, und zwar unabhängig von der Pandemie, ergänzt Mayer: „Die enge Personalplanung ist ein Bremsklotz, auch für die Ausbildung,denn Ärzte in Ausbildung werden als volle Arbeitskraft geplant, obwohl sie ja noch lernen sollen, das ist fatal“, kritisiert er. Spitalsärzte müssten daher entlastet – und nicht mit weiteren Aufgaben belastet werden. Mayer verweist auf das Regierungsprogramm: „Worthülsen sind hier zu wenig, der niederschwellige Zugang zur Versorgung über die niedergelassenen Ärzte muss tatsächlich abgesichert werden, koste es, was es wolle“, sagt der ÖÄK-Vizepräsident.

Ärztemangel-Ursache angehen

Ebenso wie Mayer spricht sich auch der ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart, klar gegen den Einsatz von Spitalsärzten als Lückenbüßer im niedergelassenen Bereich aus. „Es kann nicht sein, dass ständig die notdürftige Übertünchung zulasten der Patientenversorgung gewählt wird, anstatt die Ursache des durch die zahlreichen Einsparungen und Investitionsverweigerungen selbstverschuldeten Problems anzugehen“, sagt Steinhart. Unbesetzte Kassenstellen für Allgemeinmediziner zu kaschieren, indem Spitalsärzte eingesetzt werden, sei jedenfalls der falsche Weg und könne keine ernsthafte Lösung sein. Notwendig sei neben optimal ausgebildeten Spitalsärzten und ausreichenden Ressourcen im intramuralen Bereich auch ein niedergelassener Bereich, der voll leistungsfähig sei und der einen niederschwelligen Zugang zum Gesundheitssystem garantiert: „Nur durch dieses Zusammenspiel können die verfügbaren Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden“, betont Steinhart. Dass so viele Kassenstellen unbesetzt seien, sei nicht neu, die Ärztekammer habe in den vergangenen Jahren immer wieder explizit vor dem Ärztemangel vor allem im Kassenbereich gewarnt: „Wer sich heute, wo das Ausmaß des Mangels immer deutlicher offensichtlich wird, davon überrascht zeigt, der beweist, dass er keine Ahnung von den Entwicklungen im Gesundheitsbereich hat“, stellt Steinhart klar.

Den Weg aus der Misere habe die Österreichische Ärztekammer ebenso längst aufgezeigt. Der Beruf des Allgemeinmediziners müsse attraktiver gemacht werden, das sei alternativlos: „Dazu gibt es eine Fülle von Ansatzpunkten: Moderne Arbeitszeitmodelle, die es möglich machen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, Landarzt-Stipendien, geförderte Lehrpraxen, eine Ausbildung, die auf die Übernahme einer Kassenstelle vorbereitet und vieles mehr“, sagt Steinhart. Keinesfalls jedoch könne man einfach so wie bisher weiterwurschteln. „Wir brauchen keine ‚Loch auf – Loch zu‘-Politik, keine Politiker und Krankenkassenvertreter, die neue Dämpfungspfade oder Einsparpotenziale suchen, sondern ein Bekenntnis zu einer zukunftssicheren Gesundheitsversorgung für die Menschen in diesem Land“, sagt der ÖÄK-Vizepräsident. Und wer den Menschen in einem der reichsten Länder der Welt das nicht bieten wolle, solle das klar zugeben und seinen Posten räumen, fordert Steinhart.

Vom Einsatz von Spitalsärzten als Hausärzte hält auch Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin, nichts: „Diese Supplierübungen sind völlig unnötig und daher rundweg abzulehnen. Die Allgemeinmedizin ist eine eigene Domäne und ein eigenes Fach, das Respekt verdient.“ Das Interesse sei bei den jungen Ärzten da, aber es müssten die Voraussetzungen verbessert werden, fordert er. Großes Potential sieht er bei den Lehrpraxen, weil diese die Allgemeinmedizin vor Ort erlebbar und erlernbar machen: „Hier anzusetzen wäre deutlich sinnvoller als der Versuch, die durch die Gesundheitspolitik selbstverschuldeten Versorgungslücken mit Notnägeln zuzuhämmern“, betont Wutscher.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2021