Tageszentren, Geriatrieangebote, Primärversorgungszentren – die Alterung der Gesellschaft erfordert kreative Ideen, neue Versorgungsprojekte und viel Teamarbeit für eine funktionierende integrierte Versorgung. Die heurige Gesundheitsberufe konferenzwidmete sich den Themen Kommunikation, Zeit und Ressourcen.
Sophie Niedenzu
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, lautet ein Zitat des österreichischen Kommunikationswissenschafters Paul Watzlawick. Kommunikation, Teamarbeit statt Einzelkämpfertum, Gleichwertigkeit in den unterschiedlichen Berufsgruppen, Anhebung der Gehälter und die Ressource Zeit – das seien die Eckpunkte, um erfolgreich die Gesundheitsberufe miteinander zu vernetzen und so eine Langzeitbetreuung von Patienten zu gewährleisten. Darin waren sich die Vortagenden des heurigen Tages der Gesundheitsberufe einig, der als Webinar unter dem Motto „Symphonie der Gesundheitsberufe – strukturiertes und organisiertes Zusammenspiel der Kompetenzen“ über die digitale Bühne ging.
Kai Leichsenring, Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung gab Einblick in europäische Pilotprojekte in Bezug auf die integrierte Versorgung und die multidisziplinäre Zusammenarbeit von Gesundheits- und Sozialberufen. Durch die demografische Entwicklung würden sich neue Herausforderungen für die Betreuung von älteren Patienten in der Langzeitpflege und –betreuung ergeben. Nicht nur Ärzte verschiedene Disziplinen müssten verstärkt miteinander vernetzt sein, sondern ebenso die Gesundheitsberufe unter einander, um eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten. Qualitätsstandards müssten flächendeckend gleich sein: „Den Überblick zu bewahren, welche Qualitätsstandards auf welcher Ebene gelten, in welchen Ländern, ist schwierig, hier spielt die Zusammenarbeit unterschiedlicher Spezialisierungen der Gesundheitsberufe eine wesentliche Rolle“, betonte Leichsenring in seiner Keynote. Neue Pflegemodelle müssten geschaffen und die Primärversorgung besser koordiniert werden. „Public Health ist in Österreich noch entwicklungsfähig und die Integration ein großes Wort, um in einem sehr komplexen System verschiedene Organisationen und Berufsgruppen zusammen zubringen“, sagt Leichsenring.
Pflaster der Langzeitpflege
Auf der einen Seite sei das Gesundheitssystem mit den Spitälern und niedergelassenen Ärzten, auf der anderen Seite das Sozialsystem mit Alten und Pflegeheimen und mobiler Pflege. Die 24StundenBetreuung sei ein „wesentliches Pflaster für ein nicht bestehendes Langzeitpflegesystem“, es sei, so Leichsenring, viel zu wenig integriert, vernetzt, koordiniert: „Wir haben hier eine 1:1 Betreuung durch Betreuungspersonen aus angrenzenden Ländern, das uns im Moment zehn bis 20.000 Heimplätze erspart.“ Eine systemübergreifende Versorgung sei notwendig, weil angesichts der steigenden Lebenserfahrung und des klinischen Fortschritts gleichzeitig auch die Lebenszeit mit Pflegebedarf ansteige, ebenso die Zahl an chronisch Erkrankten und multimorbiden Patienten. Pflege und Betreuung müssten besser organisiert und professionell koordiniert werden, ebenso wichtig sei die Einbeziehung von pflegenden Angehörige, wenn es um Entscheidungen gehe, die persönliche Bedürfnisse und Präferenzen von älteren Menschen betreffe. Die Vorteile seien groß, so Leichsenring: ungeplante Spitalsaufenthalte könnten vermieden und die Spitäler entlastet werden, wenn stationäre Pflege zudem reduziert oder vermieden wird. Die Versorgungsqualität würde steigen und die Kosten reduziert werden. In den Niederlanden gebe es beispielsweise einen Fokus auf Selbst-Pflege, das Pflegepersonal habe eine überwachende Rolle und es sei viel in die Prävention und Rehabilitation investiert worden. Neue Berufsbilder, Case Manager und Community Nurses sind entstanden, die für die Nahstellen notwendig sind: „Die Alterung der Gesellschaft muss ernst genommen werden, das ist wesentliches Gebot der Stunde“, resümiert Leichsenring, der viel Verbesserungsbedarf in Österreich sieht.
Betreuung zu Hause
Im Bemühen um eine integrierte Versorgung gibt es in Österreich einzelne Projekte, wovon einige im Rahmen der Tagung vorgestellt wurden. So beispielsweise das Multiple Sklerose Tageszentrum CS Caritas Socialis, in der MS-Patienten interprofessionell begleitet werden. Einblicke gewährte dabei die Leiterin, die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Ramona Rosenthal. Ziel des Zentrums sei die Förderung von Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit, soziale Interaktion, Neurorehabilitation und die Entlastung und Unterstützung von pflegenden Angehörigen. Das multiprofessionelle Team besteht unter anderem aus Pflegepersonen, Neurologen, Palliativmedizinern, Physio, Ergo und Musiktherapeuten und Psychologen. Das Zentrum fördere die Vernetzung mit den Ambulanzen und der MS-Gesellschaft sowie gebe den Betroffenen in Zusammenarbeit mit einer Hausbetreuung die Chance auf ein Leben möglichst lang in den eigenen vier Wänden. Rosenthal betonte in ihrer Präsentation die Haltung der Mitarbeiter in diesen multidisziplinären Teams, die Gleichwertigkeit und ein fehlendes Konkurrenzdenken, sowie Respekt und die neugierige Haltung den Menschen gegen über: „Wichtig ist die Abkehr von hierarchischem Denken hin zur partnerschaftlichen Haltung“, sagte sie.
Gesundheit verbessern
Auch in Kärnten hat sich in Bezug auf die Langzeitbetreuung in den vergangenen Jahren einiges getan. Das Kärntner Geriatrienetzwerk, das vom Land Kärnten den Auftrag bekommen hat, eine geriatrische Strategie zu erarbeiten, hat einige Versorgungsprojekte umgesetzt. Ziel ist, die intra- und extramuralen Strukturen für die medizinische und soziale Betreuung geriatrischer Patienten zu vernetzen und damit die Gesundheit von älteren Patienten zu verbessern. Ältere Menschen sollen Hilfe zum richtigen Zeitpunkt, im notwendigen Umfang und am optimalen Standort erhalten. Das könne nur gelingen, wenn die Kommunikation zwischen den Gesundheitsberufen im geriatrischen Bereich reibungslos funktioniere, betonten Franz Pinter, Abteilungsvorstand des Zentrums für Altersmedizin der KABEG, Walter Müller, Departmentleiter am EKH Klagenfurt und Dieter Schmiedt, Präsident des Geriatrie Netzwerkes Kärnten. Die Angebote des Geriatrienetzwerks sind vielfältig und reichen von der geriatrischen Tagesklinik über das Alterstraumazentrum und den geriatrischen Konsiliardienst GEOKO bis hin zur mobilen geriatrischen Remobilisation. Letzteres beispielsweise habe einige Vorteile: „Verglichen mit einer stationären Betreuung versucht die ambulante Remobilisation, möglichst viel im gewohnten Wohnumfeld des Patienten mit Einbeziehung der pflegenden Angehörigen zu ermöglichen,“ erzählte Müller. Zudem würden damit Kosten gespart, nämlich um bis zu 54 Prozent. Angefangen mit einer geringen Zahl gebe es seit 2020 kärntenweit 120 mobile Therapieplätze.
Transporte vermeiden
Mit einem anderen Versorgungsprojekt, dem geriatrischen Konsiliardienst (GEKO), werde die Versorgung in Kärntner Pflegeheimen optimiert: „Die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Heimen, der Pflege vor Ort und den Krankenhäusern hat sich deutlich verbessert“, erzählte Pinter. In den Interventionsheimen habe es signifikant weniger Krankenhaustransporte im Verhältnis zur Bewohnerzahl gegeben und der Anteil vermeidbarer Transporte sei in den Interventionsheimen geringer – aus Sicht der Hausärzte habe sich vor allem die Kommunikation mit der Pflege durch das Projekt deutlich verbessert. Auch das Alterstraumzentrum am Klinikum Klagenfurt habe zu besseren Vernetzungen geführt. „Wir haben in Kärnten davor die Strukturen geschaffen, anschließend ist das Geld gekommen, die Kommunikation funktioniert auch bestens, wenn alle auf gleicher Augenhöhe sind“, berichtete Schmidt. Teamarbeit sei sehr vorteilhaft, fasst auch der Allgemeinmediziner Franz Mayrhofer, einer der Gründer vom Primärversorgungszentrum Medizin Mariahilf, die Vorteile zusammen: längere Öffnungszeiten, rasche Verfügbarkeit von verschiedenen Berufsgruppen sowie eine Flexibilität, die als Einzelkämpfer in einer Einzelpraxis nicht vorhanden sei: „Es muss allerdings der Politik klar sein, dass gute Versorgung Zeit braucht, das ist unsere wertvollste Ressource, die auch bezahlt werden muss – und wir dürfen nicht tolerieren, dass im Gesundheitssystem noch mehr gekürzt wird“, lautete sein Abschlussplädoyer.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 /25.09.2021