Standpunkt Vizepräsident Herwig Lindner: Ohne Scheuklappen

25.10.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Lindner_Standpunkt__c_Bernhard_Noll_15Vertrauen spielt in vielen Bereichen eine große Rolle, besonders aber im Arzt-Patienten-Verhältnis. Insbesondere, wenn es um die Vorsorge geht. Dazu gehört neben der regelmäßigen Gesundenuntersuchung auch das Impfen und das Schließen von Impflücken – ob nun MMR, Hepatitis, Diphterie oder nun auch SARS-CoV-2: Impfen ist ein wesentlicher Bestandteil der Präventionsmaßnahmen. Diese werden von Vertrauensärztinnen und Vertrauensärzten geleistet. Wer einen guten Überblick über den eigenen Gesundheitszustand hat, mögliche Risikofaktoren für Übergewicht kennt, Beratung in Ernährungsfragen erhält und Impflücken gar nicht erst zulässt, der hat schon viel getan. Nicht nur das: Prävention und Früherkennung von Erkrankungen schützen außerdem das Gesundheitssystem und entlasten die Spitäler.

Der Wert der Prävention wird aber leider nicht von allen erkannt. Das zeigt sich einmal mehr in der aktuellen Diskussion um die SARS-CoV-2-Impfung. Denn nicht alle Bevölkerungsgruppen sind gleichermaßen informiert, das schlägt sich in der Impfquote nieder. Wichtig ist daher, Fakten in der richtigen Art und Weise zielgruppenorientiert aufzubereiten und Klartext zu sprechen, frei von ideologischen Scheuklappen.

Die Erfahrung zeigt, dass Personen mit Migrationshintergrund häufiger nicht geimpft sind und einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen. Sie sind in der aktuellen Phase der Pandemie vielfach auch stärker von SARS-CoV-2 betroffen. Das hat vielfältige Ursachen: mangelnde, oft vorurteilsbehafteter Informationsstand zur Impfung, das Fehlen einer ärztlichen Vertrauensperson, Sprachbarrieren oder Bildungsbenachteiligungen.

Es ist belegt, dass Menschen mit Migrationshintergrund aktuell häufiger positiv getestet werden und auf den COVID-Stationen in den Spitälern behandelt werden müssen. Dem kann man entgegenwirken. Gezielte Aufklärung jener Bevölkerungsgruppen, die bisher nur schwer erreichbar waren, ist zu forcieren. Niederschwellige Impf-Angebote, bspw. in Vereinen oder bei Veranstaltungen, mit sprachenversierten Mitarbeitern. Zielgruppenorientierte Aufklärung und barrierefreie Information ohne Hürden, beispielsweise über mehrsprachige Plakate oder in Social Media, kann helfen, die Durchimpfungsraten zu erhöhen.

Maßnahmen gibt es viele – diese können aber nur umgesetzt werden, wenn die aktuelle Situation ohne Scheuklappen gesehen und gezielt gehandelt wird.

Dr. Herwig Lindner
1. Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2021