Interview: Bessere Erholung

27.09.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Stephanie von Orelli ist eine von zwei Chefärztinnen, die gemeinsam die Frauenklinik im Stadtspital in Zürich leiten. Im Gespräch gibt sie Einblicke in das Jobsharing in einer Führungsposition, erzählt über Vorteile, organisatorische Herausforderungen und warum zeitliche Präsenz und Engagement nicht zwingend miteinander korrelieren.
Sophie Niedenzu

Sie teilen sich zu zweit die Leitung der Frauenklinik im Stadt­spital Triemli in Zürich. Wie sieht das Jobsharing konkret aus? Wir haben einzelne, vor allem administrative Aufgaben im Vor­feld benannt und aufgeteilt. Zum Beispiel ist die eine vermehrt zuständig für die Administration rund um das Personal und die andere für die Bau­ und Umzugsvorhaben. Zudem teilen wir uns die Hauptverantwortung, beispielsweise an den medizinischen Rapporten oder für Rückmeldungen und Anfragen wochenweise. Aktuell haben wir, wenn möglich, je einen Wochentag frei, arbeiten je 90 Prozent. Auch eine Chefärztin ohne Co-­Leitung ist gelegent­lich abwesend, da neben Ferien auch Aufga­ben außerhalb des Spitals übernommen wer­den müssen. So ist, im Gesamten betrachtet, häufiger eine Chefin im Haus, als wenn diese Stelle durch eine Einzelperson besetzt wäre. Wir haben zudem ein fachlich sehr starkes Team von Stellvertreterinnen, die uns dabei unterstützten.

Welche Vorteile ergeben sich, wenn man nicht Vollzeit im Spital tätig ist? Das ist sehr individuell, für die einen gibt es mehr Raum für familiäre Verpflichtungen, für andere Zeit für ein Hobby oder einen gemeinnüt­zigen Einsatz. Die Frage ist natürlich, was grundsätzlich Vollzeit bedeutet. Wir haben als Chefärztinnen bei einer Vollzeitstelle vertraglich eine 60­-Stundenwoche und das ist wohl bei vielen Topkadern so. Wir haben bei den Assistenz­ und Oberärzten eine maximale 50­-Stundenwoche.

Welche organisatorischen Herausforderungen bei Teilzeit­beschäftigung gibt es? Die Kommunikationsgefäße sind in unserer Klinik allgemein ein Thema, da wir auch viel Teilzeit­ arbeitende haben: Wer sagt wem, wann, was? Wie halten wir das Team auf dem Laufenden? Das evaluieren wir immer wieder und optimieren. So haben wir klar definierte Kaderrapporte und bilaterale Gespräche, die protokolliert werden. So können die Entscheidungen allen Betroffenen zeitunabhängig zugänglich gemacht werden. Wir haben einen monatlichen Klink­-News­letter, in dem die wichtigsten Infos für die ganze Frauenklinik zusammengefasst werden. Wir beiden Chefärztinnen haben in unserem Büro ein Board mit allen aktuellen Projekten, dienstags und donnerstags geben wir ein 15­minütiges Update.

Welche Motive gab es für Sie für das Jobsharing? Ich habe nach dem zweiten Kind als Chefärztin im Jobsharing mit 70 Pro­zent begonnen, das ließ mir etwas mehr Zeit für meine Familie und andere Verpflichtungen. Die Erholung ist besser mit einem zusätzlichen freien Tag. Es bleibt mehr Zeit, auch kreativ und in Ruhe über etwas nachzudenken. Zeitliche Präsenz kor­reliert nicht linear mit Engagement.

Inwiefern nehmen Männer und Frauen glei­chermaßen dieses Teilzeitangebot an? Von Männern höre ich immer wieder, dass sie ger­ne Teilzeit arbeiten würden, dies aber weni­ger akzeptiert wird. Ich mache sehr häufig die Erfahrung, dass nach der Gründung einer Fami­lie die Mutter in einem deutlich kleineren Pen­sum arbeitet, was auch die Karrierechancen schmälert. Damit eine Frau mit Familie Karriere machen kann, ist Unterstützung vom Partner zu Hause unumgänglich.

In Österreich ist es beliebt, Teilzeit im Spital zu arbeiten und die restliche Zeit in einer Arzt­praxis – gibt es ähnliche Tendenzen in der Schweiz? Die geteilte Stelle Spital und Praxis ist in der deutschen Schweiz wenig verbreitet. Ärzte gehen in die Praxis und werden dann Belegärzte in den Spitälern, das heißt sie kommen mit den eigenen Patienten für Operationen und Geburten ins Spital. Viele Ärzte gehen längerfristig in eine Praxis, was durchaus sinnvoll und nötig ist. Für mich stellt sich viel mehr die Frage, wie schaffen wir Bedin­gungen, dass Ärzte überhaupt im ärztlichen Beruf bleiben. Da sehe ich noch Potential in der Verbesserung der Vereinbarkeit von persönlicher Weiterentwicklung und attraktiven Angeboten auch in Teilzeitpensen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 /25.09.2021