Impfungen bei Kindern und Jugendlichen: Fahrlässige Impflücken

11.10.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die Impflücken bei Kindern und Jugendlichen sind teilweise dramatisch. Die bisherigen Erfolge beim Zurückdrängen von gefährlichen Erkrankungen dürfen nicht verspielt werden, warnte ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres im Rahmen einer Pressekonferenz.
Sophie Niedenzu

Keuchhusten, Masern, Kinderlähmung, FSME – es gibt zahlreiche Schutzimpfungen, die vor schweren Krankheitsverläufen schützen. Sie sind erprobt, haben sich bewährt – aber werden zu wenig verimpft. Denn die Pandemie hinterlässt teilweise dramatische Impflücken, warnten Mediziner im Rahmen einer Pressekonferenz. Die Fälle von FSME seien beispielsweise angestiegen und Eltern sowie Haus-, Schul- und Kinderärzte müssten jetzt umso genauer den Impfstatus der Kinder überprüfen: „Impfungen sind die wichtigste und effektivste Form der Prävention der Neuzeit“, sagt Reinhold Kerbl, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde. Er verwies auf das 5-C-Modell der WHO, laut dem fünf Faktoren ausschlaggebend dafür sind, ob sich Menschen impfen lassen: Confidence, also das Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen, Complacency, also die Wahrnehmung des Krankheitsrisikos, Constraints, also Hürden, wie etwa Stress, Zeitnot, Aufwand, Calculation, also die Nutzen-Risiko-Abwägung, sowie Collective Responsability, also das Verantwortungsgefühl für Gemeinschaft. Der Kinderarzt plädiert für ein einheitliches Impfsystem in Österreich – derzeit werde der Nationale Impfplan zwar bundesweit erstellt, die Delegation sei aber Ländersache, die Impfungen. Wichtig sei eine zentrale Erfassung und ein Erinnerungssystem für wichtige Impfungen bei Kindern sowie die Überprüfung des Impfstatus in den Schulen und im Rahmen der jährlichen Schuluntersuchung sowie eine Erweiterung des Mutter-Kind-Passes ins Schul- und Jugendalter.

Arztbesuche nutzen

„Die Impfungen müssen dringend nachgeholt werden“, mahnte auch Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Der bisherige Erfolg durch das Zurückdrängen von gefährlichen Erkrankungen wie Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung und HPV dürfe nicht verspielt und versäumte Impfungen müssen nachgeholt werden. „Masern beispielsweise können durch hohe Impfquoten tatsächlich ausgerottet werden, da sind die entstandenen Impflücken angesichts der schweren Erkrankung besonders fahrlässig“, sagte Szekeres. Jeder Arztbesuch sollte deshalb genutzt werden, um den Impfstatus der Kinder und Jugendlichen zu überprüfen, auch die Eltern wären hier gefordert. Szekeres appellierte dafür, den Schulanfang zu nutzen, um die Durchimpfungsraten mithilfe der Schulärzte zu heben: „Ein möglichst niederschwelliger Zugang ist gerade in diesem Bereich enorm wichtig“, betonte er.

Wenn die fehlenden Impfungen nicht rasch nachgeholt werden, sind die Schulkinder zunehmend ungeschützt gegenüber solchen Krankheiten, warnte der Kinderarzt und Mitglied des Nationalen Impfgremiums, Karl Zwiauer. Gerade im Schulalter werde das unerfahrene, aber extrem potente Immunsystem durch Schutzimpfungen mit kalkuliertem Risiko trainiert, sich mit Pathogen auseinanderzusetzen. Durch die COVID-19-bedingten Schulschließungen wurden aber 2020 und 2021 praktisch keine Schulimpfungen durchgeführt und aus Angst vor Ansteckung erfolgten viel weniger Arztbesuche, berichtete er. So wurden etwa in dieser Zeit nur je rund 40 Prozent der verfügbaren Hepatitis-B-Seren, sowie 80 Prozent des Bedarfs an Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten-Polio-Vakzinen aus dem Gratis-Kinderimpfkonzept abgerufen: „Wenn die fehlenden Impfungen nicht rasch nachgeholt werden, sind die Schulkinder zunehmend ungeschützt gegenüber solchen Krankheiten“, warnte Zwiauer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2021