Digitales Spital: „Schnittstellen kosten“

10.03.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK


Die Spitäler arbeiten digital, es mangle jedoch an Schnittstellen und automationsgestützten Analysen. Stefan Sauermann, Leiter des Studiengangs „Medical Engineering & eHealth“ an der FH Technikum Wien, spricht über digitale Innovationen, Potentiale und eine fehlende gesamtgesellschaftliche Diskussion.
Sophie Niedenzu

Wie beurteilen Sie die Situation in Bezug auf die Digitalisierung in den Spitälern? Die meisten Spitäler dokumentieren bereits mit ausgefeilten hauseigenen Krankenhausinformationssystemen (KIS). Neben der automationsgestützten Analyse und Aufbereitung der Daten ist die Integration durch die Übergabe der Daten zwischen den Systemen ein großes Problem. Das ist natürlich aufwändig: Auf der einen Seite haben wir Mediziner, die effiziente Prozesse und vollständig einsichtige Patientendaten einfordern, andererseits versuchen Technikabteilungen mit wenig Zeit und wenig Ressourcen, eine entsprechende Infrastruktur zu errichten. Die Bedürfnisse reiben sich mit Lösungskompetenzen und begrenzten Ressourcen in den Spitälern.

Wie sollten die Ressourcen von außen aussehen? Spitäler müssen passende digitale Lösungen angeboten bekommen und auch einfordern. Voraussetzung für digitale Innovationen ist, dass die Spitalslandschaft offen und flexibel genug sein muss, um auch Schnittstellen bedienen zu können. Die gewachsenen Spitalssysteme haben oft nicht die Möglichkeit, rasch und effizient anzudocken, das ist ein Lern- und ein Organisationsprozess. Der Schritt zur Integrationsfähigkeit ist durch ELGA vorangetrieben worden. Spitalsbetreiber müssen verstehen, dass einzelne Hersteller nicht einfach innovative Gesamtsysteme erfinden können. Es braucht Komponenten mehrerer Hersteller, die zu bestehenden Spitalssystemen modular hinzugefügt werden können.

Was ist mit den von Ihnen erwähnten automationsgestützten Analysen gemeint? Systeme sollen die vorhandenen Patientendaten verwenden und damit auf das medizinische Wissen zugreifen, im Sinne von künstlicher Intelligenz. Kein Arzt kann alles in seinem Kopf abgespeichert haben. Es wäre also sinnvoll, dass die erfassten Patientendaten strukturiert aufbereitet werden. Das System vergleich diese dann mit dem vorhandenen medizinischen Wissen und generiert daraus gezielt Hinweise. So kann man beispielsweise schneller Verdachtsfälle bei seltenen Erkrankungen erkennen. Spitäler haben aber nicht unendliche Ressourcen, um extrem innovativ zu arbeiten. Eine derartige digitale Innovation müsste auf Systemebene etabliert werden, nicht auf Arzt- oder Spitalsebene, hier braucht es viel Abstimmung zwischen den verschiedenen Stakeholdern und Spezialisten.

Inwiefern kann Telemonitoring die Spitäler entlasten? Das betrifft vor allem chronisch Kranke. Es herrscht beispielsweise weiter Konsens darüber, dass Diabetespatienten durch Disease Management Programme bei der Entscheidung unterstützt werden, wie viel Insulin sie spritzen müssen. Eine Software kann entlang vorhandener Guidelines die Informationen sammeln und die Dosis vorschlagen. Die Daten sollen für die Ärzte dann direkt vom Medizintechnikgerät abrufbar sein. In diesem Feld waren die vergangenen 40 Jahre Forschung sehr mühsam. Mittlerweile können neue Geräte auch über Schnittstellen diese Daten telemetrieren. Der Herzschrittmacher ist ein klassisches Beispiel: Das Spital hat einen mit einer Seriennummer für einen Patienten gekauft und kann die Implantatsdaten vom Hersteller damit einem Patienten zuordnen. Die modernen Implantate können das alle, aber nicht alle Patienten sind mit dem Gerät versorgt, das die Kurzdistanzschnittstelle zum Implantat herstellt. Diese Schnittstelle kostet Geld. Wieso sollten Spitäler das zahlen? Dafür gibt es andere Ebenen, zum Beispiel ein Gesundheitsministerium, Bundesländer, Versicherungen. Hier braucht es eine gesamtgesellschaftliche Diskussion.

Welche Herausforderungen bringt ein digitales Krankenhaus? Die digitale Entwicklung kann man nicht erzwingen. Wenn ich 500 Patienten in kurzer Zeit behandeln muss, dann kann ich mich nicht spielerisch einbringen. Wenn man den Raum schafft, das Gestalterische zu fördern, dann kommt auch etwas Produktives dabei heraus. Turnusärzte suchen etwa peer-to-peer Kommunikation, das sollte aktiv unterstützt werden. Multidimensionale Systeme wie die Tumorboards können als Vorbild für interdisziplinäres Arbeiten fungieren. Was die technischen Prozesse angeht, haben wir an der FH Technikum Wien eine Intensivstation nachgebaut. Studierende haben so die Möglichkeit, die durch die Medizingeräte erfassten Daten zu visualisieren und die Abläufe zu erproben, von einem behandelnden Arzt über die Ambulanz bis hin zur stationären Behandlung. Durch den Zugang zu den E-Card- und ELGA-Testsystemen wird so die Echtsituation simuliert.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2021