BKNÄ: Vermisste Wertschätzung

10.09.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Insgesamt 27 Kassenstellen für Fachärzte und Allgemeinmediziner sind derzeit in Tirol ausgeschrieben, einige Stellen schon seit Jahren vakant. Was die Suche nach Nachwuchs so schwierig macht, beschreibt der Allgemeinmediziner Erwin Zanier, der die Probleme aus eigener Erfahrung kennt, im Gespräch mit Sascha Bunda.

Wie würden Sie Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Nachfolgersuche für eine Kassenstelle beschreiben? Nach Erreichen meines 70. Lebensjahres musste ich mit 31. März 2017 meinen Kassenvertrag zurückgeben. Meine Stelle in Kufstein – wohlgemerkt eine Bezirkshauptstadt mit 20.000 Einwohnern – war durchaus attraktiv mit etwa 1.000 bis 1.200 Patienten pro Quartal. 60 Prozent der Einnahmen kamen von der Gebietskrankenkasse. Sämtliche Infrastruktur und günstige Ordinationsräume waren vorhanden, an einer finanziellen Unterstützung durch die Stadtgemeinde hätte es auch nicht gefehlt. Trotz meiner ausgezeichneten Vernetzung mit dem Bezirkskrankenhaus und der Klinik, als auch mit Standespolitikern, gelang es nicht, einen Nachfolger zu finden. Die Stelle wurde von Mitte 2016 an laufend ausgeschrieben. Bis vor Kurzem war die Suche ergebnislos, mittlerweile konnte die Stelle mit 1. Oktober 2021 an einen Bewerber vergeben werden. Derzeit sind von acht Kassenstellen für Allgemeinmedizin in Kufstein nur sechs besetzt – ab Oktober werden es dann sieben sein. Als ich 1982 die Kassenstelle begann, hatte Kufstein 14.500 Einwohner und acht Kassenallgemeinmediziner. Heute gibt es hier 20.000 Einwohner, 2.000 Fachhochschulstudenten und wie erwähnt ab Oktober sieben Kassenärzte für Allgemeinmedizin. Von der Einwohneranzahl her ist das ein nahezu unbewältigbarer Patientenzustrom.

Was sind in Ihrer Einschätzung die größten Hindernisse, einen Nachfolger zu finden? Hier gibt es viele Faktoren. Wesentlich ist hier auch die Verweiblichung des Berufes. Es ist verständlich, dass vor allem Frauen oft andere Prioritäten haben und nicht als Einzelkämpfer neben der Familie alleinverantwortlich eine Arztpraxis führen möchten. Neben dem Bestreben nach einer passenden Work-Life-Balance gibt es noch die Angst vor dem Ungewissen: Wie sieht die finanzielle Absicherung aus? Was kommt fachlich auf mich zu? Weitere Hindernisse sind die fehlende Ausbildung in Betriebsführung, administrative Hürden, nicht leistungsgerechte Bezahlung und dass das, was man an moderner Medizin in der Ausbildung gelernt hat, nicht honoriert angewendet werden kann. All diese Punkte müssen vor der Niederlassung bedacht werden – auch bis hin zu neuen Formen der Zusammenarbeit.

Wie bewerten Sie in diesem Punkt den Faktor Hausapotheke? Eine Hausapotheke ist für einen Arzt am Lande eine wesentliche Hilfe und bedeutet durchaus eine attraktive Entscheidungshilfe hinsichtlich Niederlassung.

Wie schätzen Sie die Unterstützung der Gemeinden bei der Nachfolgersuche ein? Das ist sicherlich hilfreich, aber die finanzielle Seite ist nur ein Punkt von vielen: Eine entsprechende Wertschätzung der Person Arzt vor allem durch die Politik wird zunehmend in den Städten vermisst. Hier ist er nur ‚Dienstleister‘. Am Dorf gilt oft noch ‚der Pfarrer, der Lehrer und der Doktor‘ als Mittelpunkt der Wertschätzung – vielleicht auch noch der Bürgermeister.

Wo sollte ihrer Meinung nach angesetzt werden, um das Problem der Besetzung von Kassenstellen zu lösen? Ohne die Reihenfolge zu werten: Dem Beruf ‚niedergelassener Kassenarzt‘ sollte wieder der Stellenwert verschafft werden, den er in der Versorgungskette verdient. Der Facharzt für Allgemeinmedizin muss daher endgültig installiert werden. Mit den Kassen muss eine leistungsgerechte Bezahlung ausverhandelt und eine Verringerung der administrativen Aufgaben erreicht werden. Es braucht zwingend weniger Bürokratie und mehr Zeit für die ärztliche Tätigkeit. Zudem einen Abbau der Hürden und Hilfestellung bei der Niederlassung durch die Behörden wie etwa dem Arbeitsinspektorat. Ich muss dazu erwähnen, dass meine Ausführungen in erster Linie den Beruf des Kassenallgemeinmediziners betreffen. Hinsichtlich der Kassenfachärzte ist der Trend hin zum Wahlarzt, insbesondere in Fächern wie Gynäkologie, HNO, Kinderheilkunde und Psychiatrie, meiner Meinung nach nicht mehr aufzuhalten. Ich bin seit 1982 bis heute Mitglied im Niederlassungsausschuss der Ärztekammer für Tirol und verfolge diese Entwicklung also schon fast vier Jahrzehnte lang.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 /10.09.2021