BKNÄ: Impf­skep­ti­ker: Beach­ten, nicht verachten

25.10.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Aus ihrem Arbeits­all­tag weiß die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin Naghm Kama­leyan-Schmied genau um die Pro­ble­ma­tik im Umgang mit impf­skep­ti­schen Men­schen. Sie plä­dierte gegen Vor­ver­ur­tei­lung und Aus­gren­zung und für einen wert­schät­zen­den Dia­log – auch wenn es manch­mal müh­sam sei.

Naghme Kama­leyan-Schmied ist All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin in einem der größ­ten Bezirke Wiens. Flo­rids­dorf ist von einer sehr nied­ri­gen Aka­de­mi­ker­quote, dafür von über­durch­schnitt­lich hoher Arbeits­lo­sig­keit geprägt. Das spie­gelt sich auch in Kama­leyan-Schmieds Pati­en­ten­schaft wider. Dar­un­ter befin­den sich viele Men­schen mit wenig Kauf­kraft, nicht alle davon sind der deut­schen Spra­che beson­ders gut mäch­tig und zudem wür­den sich viele in eige­nen Bla­sen in ihren sozia­len Medien infor­mie­ren, skiz­zierte die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin. Dass man an diese Bla­sen nicht her­an­komme, sei das größte Pro­blem, das man im Moment habe. Dazu komme noch, dass es im 21. Bezirk eine große Basis für impf­skep­ti­sche Par­teien gebe.

Umso wich­ti­ger sei die Funk­tion der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte, und spe­zi­ell der Haus­ärzte, in die­sem Zusam­men­hang, schil­derte Kama­leyan-Schmied, die sich auch in der Ärz­te­kam­mer seit Jah­ren als Funk­tio­nä­rin für die nie­der­ge­las­se­nen Ärzte stark macht. Nach den Erfah­run­gen, die man 2020 gemacht habe, habe man schon früh genau gewusst, dass die Infek­ti­ons­zah­len nach der Urlaubs­welle wie­der anstei­gen wür­den. „Ich habe laut geschrien, gebe­ten und gebet­telt, dass wir so früh wie mög­lich im nie­der­ge­las­se­nen Bereich in den Ordi­na­tio­nen anfan­gen kön­nen zu imp­fen“, erzählte sie. Denn bei jedem Pati­en­ten­kon­takt biete sich die Mög­lich­keit, über die Imp­fung auf­zu­klä­ren – von Ange­sicht zu Ange­sicht. Erst spät lenkte die Stadt Wien ein.

Dabei gebe es rie­si­gen Bedarf an Auf­klä­rungs­ar­beit. Neben den sich hart­nä­ckig hal­ten­den Impf­my­then etwa rund um das Thema Fer­ti­li­tät beob­achte Kama­leyan-Schmied, dass die Infor­ma­tion oft an ver­schie­de­nen Bevöl­ke­rungs­grup­pen vor­bei­fließe. Viele der bis­he­ri­gen Kam­pa­gnen seien zwar gut gemacht gewe­sen, hät­ten aber etwa an Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund vorbeigezielt.

Diese Auf­klä­rungs­ar­beit sei auf­wän­dig und das Thema kom­plex. Hier könne nur das Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Arzt und Pati­ent etwas bewir­ken, den Weg in eine Impf­straße wür­den diese Men­schen nicht von selbst gehen. Ent­schei­dend sei dabei, die Mei­nungs­bild­ner einer Gruppe zu erwi­schen, schil­derte Kama­leyan-Schmied. Aus den bis­he­ri­gen Kon­tak­ten wisse man meist, wer das ist. „Wenn man mit dem das Gespräch sucht und dem erklärt, was man alles erlebt hat – vor allem auch in Bezug auf Long COVID –, dann klappt es viel­leicht beim ers­ten Mal nicht“, erzählte die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin. Aber wenn man beim nächs­ten Kon­takt wei­ter nach­frage und schluss­end­lich den Mei­nungs­bild­ner zur Imp­fung bewe­gen könne, dann komme oft die ganze Gruppe zur Imp­fung. „Sie sehen, dass es dem gut geht und er sich auch woh­ler und freier fühlt und das ist dann wirk­lich ein Erfolg und das gesamte Team freut sich“, schil­derte Kama­leyan-Schmied, die zusätz­lich noch den Vor­teil per­si­scher Sprach­kennt­nisse mit­bringt. „So kann ich kann auch viele Pati­en­ten, die etwa afgha­ni­scher Her­kunft sind, mit Sprach­kennt­nis­sen über­zeu­gen und sie füh­len sich ein­fach wahr­ge­nom­men“, so die Ärztin.

Gegen Pola­ri­sie­rung

Mit gro­ßer Sorge beob­ach­tet Kama­leyan-Schmied dage­gen die aktu­elle Pola­ri­sie­rung in der Bevöl­ke­rung bei der Impf­frage. „Wir ver­ur­tei­len diese Leute, die nicht geimpft sind, aber die kön­nen viel­leicht nichts dafür, weil die Medi­en­kam­pa­gne nicht gezielt auf sie gesetzt wor­den ist.“ Viele seien nicht infor­miert und ihre Ängste müss­ten wahr­ge­nom­men wer­den: „Die­ses ganze Impf­sze­na­rio split­tet unsere Gesell­schaft in Gut und Böse, Geimpft und Nicht-geimpft. Das ist eine Pola­ri­sa­tion, die uns als Gesell­schaft trennt“, sagte Kama­leyan-Schmied und das sei „trau­rig und schlimm.“ „Ich finde, wir soll­ten Impf­geg­ner und Leute, die nicht geimpft sind, beach­ten und ihnen Ach­tung schen­ken statt sie zu ver­ach­ten“, appel­lierte sie. Eine Impf­pflicht würde diese Pola­ri­sie­rung zu einem Höhe­punkt brin­gen, ist Kama­leyan-Schmied über­zeugt. (sb)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2021