BKNÄ: Apothekensoftware: Riskante Geschäfte

10.11.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Ein Fehler in einer Apothekensoftware sorgte dafür, dass die verordnete Dosierung des Arztes dort falsch angezeigt wurde. Die Bundeskurie niedergelassene Ärzte fordert vollständige Aufklärung im Sinne der Patientensicherheit.

Es klingt verstörend: Die Software von über 30 Apotheken österreichweit veränderte selbstständig die vom Arzt verordnete Medikamentendosierung. Nach erstem Stand waren 3.500 Rezepte von rund 1.200 Patienten von diesem schwerwiegenden Fehler in der eingesetzten Apothekensoftware eines Herstellers betroffen. Fast immer wurde die Dosierung nach oben verändert, Experten gingen in einer ersten Einschätzung von zumindest 60 potentiell gesundheitsgefährdenden Angaben aus. „Es muss nun zum Schutz der Patienten rasch gehandelt werden“, fordert daher Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte: „Der Gang in die Apotheke darf nicht zum Gesundheitsrisiko werden“.

Ebenso wie Dietmar Bayer, Referent im ÖÄK-Referat für Telemedizin und medizinische Informatik, fordert Steinhart den Einsatz eines unabhängigen Datenforensikers zur gründlichen Fehleranalyse. Bayer forderte zudem eine end-to-end Qualitätssicherung für den gesamten Vorgang. „Für die Arztsoftware hat das die Österreichische Ärztekammer gemeinsam mit dem Dachverband bereits auf die Beine gestellt“, unterstrich Bayer. Mit der Markteinführung von immer mehr Apps und der entsprechenden Öffnung von ELGA sei es unabdingbar, eine nationale Zertifizierung einzuführen, die mittels eines qualitätsgesicherten Pfades und klar standardisierter Prozesse erfolgt und dabei end-to-end aufgebaut ist. „Also von der Arztsoftware über ELGA als übertragendes System bis hin zur Apothekensoftware als empfangendes System“, sagte Bayer, der die längst eingeführte Zertifizierung der Arztsoftware als Maßstab bezeichnete.

Seitens der Apothekerkammer wurde in der Folge versucht, zu beschwichtigen: Es sei keine Patientengefährdung vorgelegen, hieß es dort. Für Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin, kam diese Diagnose deutlich zu früh. Er sieht die Patientensicherheit in Gefahr: „Wie will man ausschließen, dass keine Gefahr bestanden hat, wenn man nicht einmal weiß, seit wann der Fehler besteht?“ In der Tat konnte die Frage nach dem Ursprung des Fehlers nicht beantwortet werden. Wutscher zeigt sich besorgt, was passieren könnte, ja möglicherweise schon geschehen ist, wenn ein Patient ein Vielfaches seiner Zuckermedikation einnimmt, oder eine Patientin eine viel zu hohe Dosis eines Blutverdünners. „Vielleicht glauben nur Apotheker, dies sei nicht so schlimm?“, fragte sich Wutscher.

Das von den Apothekern immer so wichtig empfundene „4-Augen- Prinzip“ habe versagt, urteilt Wutscher. Einzig der Arzt könnte die richtige Dosierung verstehen und beurteilen. „Daher ist es vernünftig und für die Patienten ideal, wenn in der Ordination auch gleich die richtigen Medikamente in der richtigen Dosierung abgegeben werden, der Patient kann sich einen weiteren, unnötigen Weg ersparen“, plädiert Wutscher für ein Dispensierrecht für alle Ärzte und für Hausapotheken.

„Hexenprodukte“

Zeitgleich herrschte wieder einmal Aufregung rund um die Apotheke von Kammerpräsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr. Nachdem diese zuletzt im Zusammenhang mit Salzlösungen zur sogenannten „Ausleitung von Impfbegleitstoffen“ im medialen Fokus stand (vgl. ÖÄZ 17/2021), wurde bekannt, dass diese Apotheke eine Referenzapotheke für das Unternehmen einer sogenannten „Sonnenhexe“ ist, deren Unternehmen Wässerchen mit „gespeicherten Situationen“, sowie dubiose „COVID-Akut-Sets“ zu stolzen Preisen vertreibt. Bundeskurienobmann Steinhart fordert im Sinne der Patientensicherheit und der Vorbildfunktion der ranghöchsten Standesvertretung eine Distanzierung der Kammerpräsidentin, die aber bis zum Redaktionsschluss ausblieb. Am sichersten seien Patienten immer noch bei ihren Ärzten, schließt Steinhart: „Im Sinne der Patientensicherheit und des Patientenservice führt daher kein Weg an einem Dispensierrecht für alle Ärzte und an Hausapotheken vorbei. Die Patienten können dann ihre Medikamente sofort vom Arzt ihres Vertrauens mitnehmen und müssen sich nicht um schadhafte Apothekensoftware und Hexenprodukte sorgen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2021