BKAÄ: Interview Michael Baier: „Ohne Karriereverlust“

10.11.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Vorarlberger Allgemeinmediziner Michael Baier spricht im Interview über Elternteilzeit, Vaterkarenz, funktionierende Spitalsarbeit und Teambuilding. Werden die Fähigkeiten und Interessen von jungen Ärzten auch nach der Ausbildung gefördert, bleibt die Spitalstätigkeit in seinen Augen auch nach der Ausbildung attraktiv.
Sophie Niedenzu

Wie viele Stunden arbeiten Sie derzeit im Spital? Vor meiner Karenz war ich mit 30 Stunden angestellt auf einer 50 Prozent Ausbildungsstelle zum Facharzt für Innere Medizin. Mit Urlaub und Überstundenabbau war ich insgesamt zehn Monate weg vom Spital. Derzeit arbeite ich in Elternteilzeit 16 Stunden als Allgemeinmediziner in der Notaufnahme, nebenher bin ich als Vertretungsarzt tätig. Ich finde es wichtig, dass Väter ihre Verantwortung in der Kinderbetreuung ernst nehmen. Führungskräfte sollten verstehen, dass es in dieser Phase der Familiengründung immens wichtig ist, dass Väter auch länger in Karenz gehen. Besonders auch für die spätere Zufriedenheit im Job kann diese Phase von Karenz und darauffolgender Arbeitszeitreduktion entscheidend sein, dass man als junger Facharzt weiterhin im Krankenhaus tätig ist. Aktuell bin ich sehr zufrieden mit meiner vielfältigen allgemeinmedizinischen Tätigkeit und ich schließe es nicht aus, in dieser Form noch länger im Krankenhaus zu arbeiten und dann die Fachausbildung fortzusetzen.

Welche Arbeitszeitmodelle werden zukünftig eine noch größere Rolle spielen? Bei kleinen Kindern finde ich für beide Elternteile eine Teilzeitmöglichkeit äußerst wichtig. Nicht alle wollen fünf Tage pro Woche eine Kleinkindbetreuung. Aber auch sonst werden Mischformen immer wichtiger, etwa Teilzeit im Spital, beispielsweise in der Ambulanz, kombiniert mit Praxis oder Praxisvertretungen oder anderen Tätigkeiten wie Arbeitsmedizin. Grundsätzlich sollten die Rahmenbedingungen flexibel und individuell gestaltet werden, da die Bedürfnisse sehr unterschiedlich sind.

Wie ist ihr Eindruck bezüglich Teilzeitkräften in den Spitälern? Mein Eindruck ist, dass die meisten gerne anpacken, aber die hohe Arbeitsbelastung im Alltag zur Arbeitszeitreduktion führt, insbesondere bei schlechtem Teamzusammenhalt oder ungleicher Arbeitsverteilung und bei viel Systemerhaltungsarbeit. Frustration bei schlecht strukturierter Ausbildung ist auch ein wichtiger Faktor: Manche wären sicher bereit, mehr zu arbeiten, wenn die Strukturen und Zuständigkeiten klarer sind und die Ausbildung zentraler wird.

Welche Vor- und Nachteile hat es, nicht Vollzeit im Spital tätig zu sein? Als klaren Vorteil einer gemischten Tätigkeit, also intra- und extramural, ist die Horizonterweiterung, das Verstehen beider Systeme und damit ein Wegkommen vom Denken in „Finanzierungstöpfen“, was ich an der Gesundheitspolitik hierzulande stark vermisse. Man sieht die Probleme von mehreren Ebenen und lernt, die Patienten und ihre Probleme besser zu betreuen. Ein Vorteil im Spital ist das große Team, wenn es einen guten Zusammenhalt gibt. Hier wäre es wichtig, mehr auf externe Supervision und Teambuilding zu setzen, da das Alleine-Arbeiten einer der größten Nachteile der Niederlassung ist. Führungskräfte, die Konflikte im Team scheuen und Strukturen auf Anregung des Teams nicht verbessern sind oft auch Grund, dass die Rahmenbedingungen im Krankenhaus unattraktiv werden.

Wie zufrieden sind Sie mit der Qualität der Arztausbildung? Die Arztausbildung muss grundsätzlich besser strukturiert werden. Ein Ausbildungsoberarzt mit zeitlichen Ressourcen und einer Ausbildung im Ausbilden sind wichtige erste Schritte. Ein zuständiger Allgemeinmediziner für Turnusärzte könnte auch viel verbessern.

Was müsste in Österreich in den Spitälern geschehen, damit die jungen Ärzte dort bleiben? Ich denke, dass gute Strukturen eine Krankenhaustätigkeit durchaus interessant halten könnten. Nach der Arztausbildung ist es wichtig, die Fähigkeiten und Interessen der jungen Fachärzte weiter zu fördern, offen die weiteren Pläne anzusprechen und die Aufgabengebiete, wie etwa Spezialambulanzen, und Workload – Stichwort Nachtdienste – fair zu verteilen. Flache Hierarchien, eine Gehaltsangleichung an den niedergelassenen Bereich, ein gut funktionierendes Team und Familienfreundlichkeit durch Stundenreduktion ohne Karriereverlust wären die wichtigsten Punkte.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2021