Arbeitsmedizin: Kein notwendiges Übel

25.11.2021 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine funktionierende arbeitsmedizinische Versorgung für jeden Betrieb ist. Doch das Fach kämpft mit Nachwuchsproblemen, erzählt Karl Hochgatterer vom ÖÄK-Referat für Arbeitsmedizin.
Sophie Niedenzu

Direkt, niederschwellig, präventiv. Arbeitsmediziner sind die direkten Ansprechpartner in gesundheitlichen Fragen für Arbeitnehmer, in der Pandemie auch oft als Übersetzer der Empfehlungen des Ministeriums: „Es hat viele Unsicherheiten gegeben, etwa, wer kann die Mitarbeiter testen, wer impft, wie sollten die Schutzmaßnahmen im Betrieb aussehen?“, erzählt Karl Hochgatterer, Referent im ÖÄK-Referat für Arbeitsmedizin und Präsident der Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention. Trotz ihrer Relevanz kämpft die Arbeitsmedizin seit längerem mit einem Mangel. Laut Hochgatterer fehlen jetzt bereits etwa 500 Ärzte. In dieser Berechnung seien die Teilzeitbeschäftigungen inkludiert, denn der durchschnittliche Arbeitsmediziner arbeite etwa 15 Stunden pro Woche. Und in Zukunft wird der Bedarf noch mehr wachsen: In den nächsten zehn Jahren gehen 50 Prozent der aktuell tätigen Arbeitsmediziner in Pension, betont Hochgatterer. Er selbst müsse derzeit vielen Firmen absagen, weil die Kapazitäten nicht da seien. Obwohl die Arbeitsmedizin flexible Dienstzeiten anbiete und ein sehr familienfreundlicher Bereich sei, bleibe die Nachfrage überschaubar. Bemerkbar sei, dass viele in den Ausbildungskursen der Akademie klinisch tätig seien und aus den Rahmenbedingungen wie Nacht- und Wochenenddiensten ausbrechen wollten: „Die junge Generation legt viel Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem, die Arbeitsmedizin hat den Vorteil, dass in der Vorsorgemedizin die Arbeitszeiten planbar und organisierbar sind“, sagt Hochgatterer.

Fehlende Information

Dass dennoch das Fach weniger Nachfrage habe, sei einerseits dem grundsätzlichen Ärztemangel geschuldet, anderer-seits auch der fehlenden Information über das Berufsfeld. Die Arbeitsmedizin komme in der Arztausbildung und im Studium kaum vor: Allein die Medizinische Universität Wien verfüge über ein arbeitsmedizinisches Institut, die in der physikalischen Medizin und Rehabilitationsmedizin verankert sei: „Arbeitsmedizin ist kein Pflichtfach und findet so keinen Weg zu den Studierenden“, bedauert Hochgatterer. Daher habe nun eine Informationskampagne (https://arbeitsmedizin-info.at/) gestartet, um das Interesse für das Fach zu wecken. Er selbst ist seit mittlerweile 35 Jahren als Arbeitsmediziner tätig, ergeben habe es sich bei ihm aus purem Zufall heraus: Bei einer Wanderung habe ihn ein erfahrener Kollege gefragt, was er nach meinem Turnus machen möchte. „Ich komme noch aus der Zeit der Ärzteschwemme, ich hatte eine Sekundararztstelle und wollte eigentlich Pädiatrie oder Innere Medizin machen“, erzählt Hochgatterer. Über den Kollegen habe er dann schließlich als Betriebsarzt angefangen – und blieb bis heute der Arbeitsmedizin treu. Der Zugang zur Arbeitswelt, die Entwicklungen im Produktionsumfeld, zu analysieren, wo ein Schutzbedarf vorhanden und präventive Rahmenbedingungen entwickelt werden müssten, um die Arbeitnehmer gesund und leistungsfähig zu halten, das alles machte die Arbeitsmedizin für Hochgatterer attraktiv. „Man hat Kontakt vom Lehrling bis zu einer Belegschaft von über 60 Jahren, über alle Hierarchien im Betrieb hinweg. Wichtig ist, dass man hier auch den Muskelskeletterkrankungen mehr Aufmerksamkeit schenkt und rechtzeitig gegensteuert“, sagt er. Die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig Arbeitsmedizin sei, die Wahrnehmung habe sich auch verändert: „Wir sind kein notwendiges Übel mehr, sondern wir erhalten aktiv die Rückmeldung, dass die Arbeitgeber froh über uns sind“, sagt Hochgatterer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2021