Por­trait Katja Büh­ler: Bild­ana­lyse mit­tels KI und Deep-Lear­ning Verfahren

10.05.2020 | Politik


Katja Büh­ler, aktu­elle TU Wien-Frau­en­preis­trä­ge­rin, hat Mathe­ma­tik mit Schwer­punkt Infor­ma­tik stu­diert. Ihre tech­ni­sche Exper­tise stellt sie seit nun­mehr 17 Jah­ren in den Dienst der Medi­zin: für die Bild­ana­lyse von Röntgen‑, CT‑, MR-Auf­nah­men und Ultra­schall­bil­dern und scre­ent sie mit Hilfe von Künst­li­cher Intel­li­genz und Deep-Lear­ning-Ver­fah­ren auf ihre wesent­li­chen Merk­male. 

Ursula Scholz

Die medi­zi­ni­sche Bild­ana­lyse ist der her­aus­for­derndste Sek­tor der Bild­ana­ly­sen – auf­grund der hohen Varia­bi­li­tät“, erklärt Katja Büh­ler, For­schungs­grup­pen­lei­te­rin am COMET-Zen­trum VRVis, dem Zen­trum für Vir­tual Rea­lity und Visua­li­sie­rung in Wien. Die­ser Königs­dis­zi­plin wid­met sie sich mit ihrem Team nun schon seit 17 Jah­ren mit unge­bro­che­ner Begeis­te­rung. Bei den Bil­dern han­delt es sich sowohl um Röntgen‑, CT,- und MR-Auf­nah­men als auch um Ultra­schall­bil­der. Was allen Ana­ly­sen gemein­sam ist: die gewal­ti­gen Daten­sätze mit Tau­sen­den von Auf­nah­men, die mit­tels Künst­li­cher Intel­li­genz und Deep-Lear­ning-Ver­fah­ren auf ihre wesent­li­chen Merk­male gescre­ent wer­den. Eines ihrer Pro­jekte besteht darin, aus Tau­sen­den Lun­gen­rönt­gen her­aus­zu­fil­tern, wel­che Pati­en­ten an Tuber­ku­lose lei­den und auf­grund wel­cher Merk­male am Bild die akut zu Ver­sor­gen­den iden­ti­fi­ziert wer­den kön­nen. „Wir neh­men den Radio­lo­gen nicht die Dia­gnose ab. Wir möch­ten ihnen nur das Leben erleich­tern“, ist ihr wich­tig klar­zu­stel­len. „Mit unse­rer Appli­ka­tion kön­nen sie ihren Work Flow ver­ein­fa­chen und beschleu­ni­gen.“

Opti­ma­ler Nährboden

Am Beginn ihres Berufs­le­bens war es nicht die Medi­zin, die Büh­ler fas­zi­nierte, son­dern die Mathe­ma­tik. Neben Kunst wählte sie Mathe­ma­tik als Abitur-Schwer­punkt. Aber auch die Infor­ma­tik inter­es­sierte die heute 50-Jäh­rige schon früh: „Mei­nen ers­ten Pro­gram­mier­kurs habe ich in der ach­ten Schul­stufe gemacht.“ Auf­ge­wach­sen in einem Dorf im Nor­den von Karls­ruhe kam Büh­ler in das nächst gele­gene Gym­na­sium, das idea­ler­weise auch viele Kin­der von Mit­ar­bei­tern des Kern­for­schungs­zen­trums besuch­ten. Der natur­wis­sen­schaft­li­che Zweig war daher bes­tens aus­ge­stat­tet und auch die Lehr­per­so­nen ent­spre­chend enga­giert. Büh­ler fand dort den opti­ma­len Nähr­bo­den, um ihre Talente gedei­hen zu las­sen. Trotz­dem plante sie nach dem Abitur zunächst eine Aus­bil­dung am Karls­ru­her Zen­trum für Kunst und Medien (ZKM). Nur: Die­ses war noch nicht eröff­net. Büh­ler beschloss, zur Über­brü­ckung ein Mathe­ma­tik­stu­dium zu begin­nen. Die Brü­cke führte schließ­lich ins Neu­land, denn noch vor der Eröff­nung des ZKM hatte sie ihren Stu­di­en­ab­schluss in der Tasche.

Zwi­schen­sta­tion Caracas

Vor dem klas­si­schen Berufs­ein­stieg wollte Büh­ler noch ein Aus­lands­jahr absol­vie­ren. Als sie den Pro­fes­sor, der ihre Diplom­ar­beit betreute, fragte, ob er ihr durch seine inter­na­tio­na­len Kon­takte dabei behilf­lich sein könne, bot ihr die­ser Optio­nen in Frank­reich oder den USA an. Frank­reich ver­sprach zu wenig Exo­ti­sches, in die USA wollte Büh­ler auch nicht. „Das war jugend­li­cher Leicht­sinn“, sagt sie rück­bli­ckend. „Kar­rie­re­tech­nisch wäre das wohl der Hit gewe­sen.“ Auch ein vene­zo­la­ni­scher Gast­pro­fes­sor kam als Kon­takt­mann in Frage. Und so ver­brachte Katja Büh­ler schließ­lich mit einem selbst orga­ni­sier­ten Voll­sti­pen­dium des Deut­schen Aka­de­mi­schen Aus­tausch­diens­tes DAAD ein Jahr in Cara­cas. In Vene­zuela stieß sie im Jahr 1997 durch ein Mail ihrer Hei­mat­uni­ver­si­tät dann auf ein Stel­len­an­ge­bot der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien als Assis­ten­tin an der Fakul­tät für Infor­ma­tik, womit nach erfolg­rei­cher Bewer­bung ihr nächs­ter Stand­ort fixiert war. 

Infi­ziert mit Begeisterung

Nach zwei­ein­halb Jah­ren war die Dis­ser­ta­tion fer­tig; ins­ge­samt arbei­tete sie vier Jahre an der TU. „Als eine der ers­ten nicht-öster­rei­chi­schen Beam­tin­nen in Öster­reich“, wie sie amü­siert erzählt. Eine ihrer Kol­le­gin­nen beschäf­tigte sich mit medi­zi­ni­scher Visua­li­sie­rung – und „infi­zierte“ Katja Büh­ler mit ihrer Begeis­te­rung für den Fach­schwer­punkt. „Ich habe noch ein­mal kom­plett das Thema gewech­selt und den Sprung ins kalte Was­ser gewagt. Und ich habe es nie bereut.“ Büh­ler wech­selte ans VRVis For­schungs­zen­trum und wid­mete sich zunächst der Blut­ge­fäß­seg­men­tie­rung. Schon im Jahr 2003 über­nahm sie die For­schungs­gruppe „Bio­me­di­cal Image Infor­ma­tics Group“, machte Visua­li­sie­run­gen für Ope­ra­ti­ons­pla­nun­gen, Osteo­to­mien und Kno­chen­re­kon­struk­tio­nen sowie Herz­ana­ly­sen. Im neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Bereich forscht sie gemein­sam mit inter­na­tio­na­len Spit­zen­for­schern an Bil­dern der Gehirne von Men­schen, Mäu­sen, Frucht­flie­gen und Zebra­fi­schen.

Knack­punkt Generalanwendung

Auch wenn Büh­ler und ihr Team grund­sätz­lich alles ana­ly­sie­ren, was auf enor­men Bild­da­ten­men­gen basiert – auch für indus­tri­elle Pro­duk­ti­ons­pro­zesse –, ent­wi­ckelte sie suk­zes­sive eine beson­dere Exper­tise in radio­lo­gi­schen Anwen­dun­gen, in die immer mehr Künst­li­che Intel­li­genz und Deep Lear­ning-Metho­den ein­ge­flos­sen sind. „Als wir sei­ner­zeit auf den Zug der Künst­li­chen Intel­li­genz auf­ge­sprun­gen sind, war das noch ein gro­ßes Risiko“, sagt Büh­ler. „Rück­bli­ckend gese­hen war es jeden­falls kein Feh­ler.“ Die Ana­lyse der medi­zi­ni­schen Bil­der sei auf­grund der enor­men Viel­falt so her­aus­for­dernd, erklärt Büh­ler: Men­schen sind unter­schied­lich; Patho­lo­gien zei­gen sich in diver­sen Vari­an­ten. So sei ihr Ana­ly­se­tool für Lun­gen­rönt­gen­bil­der auf Europa und den Mitt­le­ren Osten abge­stimmt wor­den. „Damit es auch etwa in Asien zuver­läs­sig funk­tio­niert, müsste es zusätz­lich mit regio­na­len Daten­sät­zen ‚gefüt­tert´ wer­den. Generabi­lity, also wie ein Netz­werk auch außer­halb des trai­nier­ten Umfel­des funk­tio­niert, ist ein gro­ßes Thema unse­rer For­schung.“ Zwar wür­den als Test­da­ten aus dem ursprüng­li­chen Sam­ple nur sol­che ver­wen­det, die beim Trai­nie­ren des Netz­werks nicht zum Ein­satz gekom­men seien. Wie das Netz­werk jedoch auf völ­lig neue Daten reagiere, müsse immer extra geprüft wer­den.

Nach­voll­zieh­bare Entscheidung

Beson­ders wich­tig ist es für Büh­ler, Netz­werke so zu pro­gram­mie­ren, dass sie den nut­zen­den Ärz­ten neben den Infor­ma­tio­nen über krank­hafte Ver­än­de­rung auch einen Hin­weis lie­fern, auf wel­chen Auf­fäl­lig­kei­ten in wel­chem Bild­sek­tor ihre Ana­lyse fußt. „Es gab ein­mal einen Ver­such zur Klas­si­fi­zie­rung von Objek­ten auf Fotos wie etwa Autos und Tiere. Dabei erkann­ten man­che der trai­nier­ten Modelle die Pfer­de­bil­der mit unge­wöhn­lich hoher Genau­ig­keit. Im Nach­hin­ein hat sich her­aus­ge­stellt, dass sämt­li­che Pfer­de­bil­der das glei­che Was­ser­zei­chen tru­gen, auf­grund des­sen sie als zusam­men­ge­hö­rig erkannt wur­den“, erzählt sie eine Anek­dote aus ihrer Zunft. Inwie­weit sich Büh­lers Exper­tise für die Ana­lyse von Lun­gen­rönt­gen­bil­dern auch auf COVID-19-Dia­gno­sen anwen­den ließe, beant­wor­tet sie vor­sich­tig: „Ich bin keine Ärz­tin und erlaube mir nicht zu beur­tei­len, wie sinn­voll das wäre. Aber sollte jemand eine der­ar­tige Ana­lyse wün­schen und über ent­spre­chend umfang­rei­che Daten­sätze ver­fü­gen, wür­den wir je nach Daten­qua­li­tät zur Auf­be­rei­tung und für das Trai­nie­ren des Netz­wer­kes viel­leicht vier Wochen dafür benö­ti­gen.“

Fünfte Preis­trä­ge­rin

Mit dem TU-Frau­en­preis, der heuer zum fünf­ten Mal aus­ge­lobt wurde, wer­den Absol­ven­tin­nen der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien geehrt, „die durch ihren Wer­de­gang Inspi­ra­tion und Vor­bild für Schü­le­rin­nen und Stu­den­tin­nen sind“. Als Leh­rende der TU Wien und Betreue­rin wis­sen­schaft­li­cher Arbei­ten – neben ihrem Job im VRVis – ist Katja Büh­ler kein fer­nes, uner­reich­ba­res Role Model, son­dern inspi­riert ihre Stu­die­ren­den auf direk­tem Weg. Und nicht nur Frauen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2020