Kommunikation: Sensibilität gefragt

10.09.2020 | Politik


Das Überbringen von schlechten Nachrichten erfordert ein Höchstmaß an Sensibilität; das Gespräch selbst benötigt einen speziellen Rahmen. Und: Der Arzt muss die Reaktion des Patienten aushalten können.
Nora Schmitt-Sausen

Nicht selten werden komplexe Arzt-Patienten-Gespräche zur falschen Zeit, am falschen Ort und mit den falschen Botschaften geführt, weiß Kommunikationstrainer Prof. Wolfgang Kölfen von den Städtischen Kliniken Mönchengladbach. Wenn ein Arzt ein anspruchsvolleres Gespräch mit der Diagnose einer lebensverändernden Erkrankung zu führen hat, müsse er sicherstellen, dass die Rahmenbedingungen für dieses Gespräch stimmen. Das heißt: einen Raum wählen, wo man ungestört reden kann, keine Unterbrechungen durch Kollegen oder Anrufe. Kölfen dazu: „Es muss ein Umfeld gewährleistet sein, das die Exklusivität dieses Arzt-Patienten-Gespräches unterstreicht.“

Zu den besonderen Rahmenbedingungen gehört Zeit. Die Devise für solche Gespräche lautet: anders herangehen als an reguläre Arzt-Patienten-Gespräche. „Es ist nicht akzeptabel, solche Gespräche in seinen regulären Tagesablauf einzuflechten“, sagt Kölfen. So müsse der Arzt konzentriert für ein solches Gespräch sein und dafür einen klaren „Fahrplan“ im Kopf haben.

Für die konkrete Gesprächsführung gilt nun noch mehr als sonst: behutsam und empathisch vorgehen und sich vollends auf den Patienten und seine Situation einlassen. Der Gesprächseinstieg könnte folgendermaßen aussehen: „Herr Müller, Sie sind ja heute zu uns gekommen, weil Ihr Hausarzt im Stuhl Blut gefunden hat und sich nun natürlich alle die Frage stellen, was da los ist. Wir haben daraufhin verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Bevor wir dazu aber kommen, würde mich nochmals interessieren, was für Sie aktuell im Mittelpunkt steht.“ Der Arzt verschafft sich – und dem Patienten – eine Atempause. Es ermöglicht ihm, den aktuellen Zustand des Patienten zu erfassen und gibt dem Patienten das Gefühl, dass er gut beim Arzt aufgehoben ist. „Der Patient wird vielleicht sagen: ich habe eigentlich gar keine Beschwerden. Oder aber: Meine Gewichtsabnahme beschäftigt mich sehr. Oder die Bauchschmerzen. Oder er formuliert gar die Angst vor einem Tumor. Oder was auch immer.“ In jedem Fall liefert der Patient dem Arzt gute Anknüpfungspunkte, um mit dem Gespräch fortzufahren. Nun ist der Augenblick gekommen, die schwierige Botschaft zu übermitteln. Etwa so: „Ja, Herr Müller, wir haben eine Erklärung für Ihre Gewichtsabnahme gefunden. Ich muss Ihnen leider sagen, dass wir heute bei der Darmspiegelung einen Tumor bei Ihnen gefunden haben.“

Schweigen statt kommentieren

Was als nächstes folgt? Am besten: erst einmal nichts. „Wenn die Diagnose ausgesprochen ist, ist es das Wichtigste, das es der Arzt schafft, zu schweigen. Er darf nicht sofort weiterreden. Denn die Welt des Patienten ist jetzt nicht mehr die gleiche wie vorher.“ Jeder hoffe, dass eine solche Diagnose nie ausgesprochen wird. Jeder habe nun Angst-besetzte Bilder im Kopf. „Diese mögen berechtigt sein oder nicht. Aber sie sind da. Und das versetzt den Patienten in eine Ausnahmesituation, die Folgen für seine Fähigkeit haben, weitere Informationen aufzunehmen“, sagt Kölfen. Und er führt weiter aus: „Alles, was der Arzt jetzt sagt, wird der Patient nur noch auf seinem Notstrom-Aggregat mitbekommen. Und er wird sich daran sehr wahrscheinlich nicht mehr erinnern können. Er ist in einer solchen Situation einfach wie betäubt.“

Deshalb gilt nun: Bevor das Gespräch weitergeht, muss der Arzt sich vom Patienten das Einverständnis dafür holen, dass er weiterreden kann. Ob das so ist und der Patient für Sachinformationen empfänglich ist, hängt sehr stark vom Patiententyp ab. „Der Arzt muss auch annehmen, dass ein Patient abwiegelt und keine weiteren Auskünfte will.“ Stelle der Patient eine Frage wie: „Wie geht es jetzt weiter?“ sei das für den Arzt das Signal, fortzufahren. Es sei aber auch legitim, erst in einem zweiten Gespräch über konkretere Aspekte wie spezifische Therapien, mögliche Komplikationen oder Nebenwirkungen zu sprechen. Eben ganz so, wie es der Patient signalisiert.

Emotionale Reaktionen aushalten

Wenn ein Patient eine schwere Diagnose oder Prognose erhält, taucht er in einen emotionalen Ausnahmezustand ein. Es kann sein, dass er weint oder schreit. Alles, was er in diesem Augenblick tut, ist erlaubt. Und: Es ist nicht korrekturbedürftig durch den Arzt. „Ein Arzt muss die Reaktion, welche auch immer es ist, hinnehmen“, sagt Kölfen. Es bedürfe auch keiner Reaktion wie: „Ich verstehe, was in Ihnen vorgeht“ oder „Regen Sie sich nicht so auf.“ Dies seien in einer solchen Situation Killersätze. Stattdessen gilt: Der Arzt muss die Reaktion des Patienten einfach einen Moment lang aushalten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2020