Kom­mu­ni­ka­tion: Der „schwie­rige“ Patient

15.07.2020 | Politik


Um Gesprä­che mit schwie­ri­gen Pati­en­ten zu meis­tern, gibt es Tech­ni­ken, die dabei hel­fen. Von zen­tra­ler Bedeu­tung dabei: nicht auf die Emo­tio­na­li­tät des Gegen­übers ein­ge­hen. Und: Der Arzt sollte dem Pati­en­ten die Rah­men­be­din­gun­gen für das Gespräch ver­mit­teln.
Nora Schmitt-Sau­sen

For­dernde, wütende oder aggres­sive Pati­en­ten: Der Umgang damit ist sowohl für Ärz­tin­nen und Ärzte als auch für alle ande­ren Mit­ar­bei­ter nicht ein­fach. Sieht man sich in der ärzt­li­chen Pra­xis mit sol­chen Pati­en­ten kon­fron­tiert, hilft es zunächst, sich bewusst zu machen, warum der Pati­ent reagiert wie er reagiert. Falls es die Rah­men­be­din­gun­gen im All­tag einer Ordi­na­tion oder eines Kran­ken­hau­ses sind, kann man auf die­ses Pro­blem rela­tiv leicht ein­ge­hen. War­tet man bei­spiels­weise zwei Stun­den auf einen Arzt, ist dies nicht unbe­dingt för­der­lich. Was in jedem Fall hilft, ist, die Situa­tion anzu­spre­chen. Etwa so: „Es tut mir leid, dass Sie so lange war­ten muss­ten. Jetzt bin ich für Sie da. Jetzt ste­hen Sie für mich im Mit­tel­punkt. Wel­che Beschwer­den haben Sie konkret?“ 

Mit die­sem Ansatz, auf den Pati­en­ten ein­zu­ge­hen, kann eine unan­ge­nehme Situa­tion mög­lichst schnell wie­der auf­ge­löst und wei­ter­ge­ar­bei­tet wer­den. „Ärzte sol­len dabei nicht groß Zeit ver­lie­ren und kein Beschwer­de­ma­nage­ment füh­ren“, rät Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­ner Prof. Wolf­gang Köl­fen von den Städ­ti­schen Kli­ni­ken Mön­chen­glad­bach. Und wei­ter: „Aber sie soll­ten sich auf die Situa­tion fokus­sie­ren und dem Pati­en­ten das Gefühl geben, dass er jetzt für sie an ers­ter Stelle steht.“ Die­ses Gefühl ver­mit­telt zu bekom­men, rei­che oft schon. Denn: „Die meis­ten Pati­en­ten kom­men nicht, um mit dem Arzt zu strei­ten oder ihr aggres­si­ves Ver­hal­ten aus­zu­le­ben. Sie kom­men, weil sie Beschwer­den haben.“ 

Ein wei­te­rer „Pati­en­ten-Typ“ ist der freund­li­che Viel­red­ner, der sich aus­gie­big in sei­ner Kran­ken­ge­schichte ergeht und ohne Punkt und Komma redet. Auch hier hat Köl­fen einen Tipp: freund­lich, aber bestimmt ein­schrei­ten – auch wenn es man­chen Ärz­ten schwer­fällt, den Pati­en­ten im Rede­fluss zu unter­bre­chen. Köl­fen for­mu­liert es wie folgt: „Um nicht aus dem Rhyth­mus zu kom­men, kann ich das nur drin­gend emp­feh­len. Es geht in die­sen Fäl­len nicht mehr um höf­li­ches oder empa­thi­sches Auf­tre­ten. Es geht jetzt um Selbst­be­gren­zung, sowohl für den Pati­en­ten als auch für den Arzt.“ Denn: Als Arzt habe man die Auf­gabe, viele Pati­en­ten zu ver­sor­gen und könne nicht dem ver­meint­lich leicht Kran­ken, nur weil er ein Viel­red­ner ist, mehr Zeit wid­men als dem schüch­ter­nen Schwer­kran­ken, der als nächs­tes dran ist. „Das wäre in höchs­tem Maße unfair und nicht akzep­ta­bel.“ Es gilt: Der Arzt muss der Chef in die­ser Situa­tion blei­ben und in der Lage sein, Viel­red­ner zu stoppen. 

Dies gilt erst recht beim nächs­ten, oft noch schwie­ri­gen „Pati­en­ten-Typ“: dem chro­ni­schen Nörg­ler und Bes­ser­wis­ser, der unbe­lehr­bar ist. „Egal, was der Arzt sagt, die­ser Typ Pati­ent wird immer etwas dage­gen zu sagen haben“, weiß Köl­fen aus Erfah­rung. Nach dem Motto: „Ja, Herr Dok­tor, ich habe da gele­sen (…), im Inter­net steht (…), Tante Hilde hat gesagt (…). Oder auch: „Mein Neffe hat zwei Semes­ter Medi­zin stu­diert und der sieht das ganz anders.“ Köl­fen dazu: „In sol­chen Situa­tio­nen ist wich­tig, dass der Arzt sou­ve­rän und gelas­sen bleibt. Er muss sich klar­ma­chen, dass es hier nicht um per­sön­li­che Vor­würfe ihm gegen­über geht, son­dern dass Pro­bleme im Spiel sind, die der Pati­ent mit sich selbst hat.“ Gelingt es dem Arzt, nicht in die For­de­rungs­hal­tung des Unzu­frie­de­nen ein­zu­stei­gen und sich nicht auf die Recht­fer­ti­gungs­spi­rale ein­zu­las­sen, hat er schon viel gewon­nen. „Der zweite Schritt ist nun, dass der Arzt dem Pati­en­ten seine Rah­men­be­din­gun­gen für das Gespräch mit­teilt. Ansons­ten sind diese Dau­ern­örg­ler – und auch die Dau­er­red­ner – ein Kil­ler für den Arzt“, sagt Köl­fen. Doch wie kann man im Gespräch mit einem Viel­red­ner oder Dau­ern­örg­ler den eige­nen Gesprächs­rah­men durch­set­zen? Zum Bei­spiel so: „Die Rah­men­be­din­gun­gen sind wie folgt, Herr Mül­ler. Ich habe heute für Sie zehn Minu­ten Zeit. Und ich bitte Sie, mir jetzt kurz mit­zu­tei­len, was ihre drei größ­ten Beschwer­den sind.“ Das Signal dabei: Der Arzt grenzt von vorn­her­ein ein, was im Arzt-Pati­en­ten-Gespräch mög­lich ist – und was nicht. 

Das wird nicht immer dazu füh­ren, dass der chro­ni­sche Nörg­ler oder Viel­red­ner nicht doch ver­sucht, die­sen Gesprächs­rah­men zu spren­gen. So nach dem Motto: „Ja, aber Herr Dok­tor, die eine Fra­gen kön­nen Sie mir doch sicher noch beant­wor­ten.“ Und dann? Dann muss man als Arzt kon­tern. Und freund­lich aber bestimmt sagen, dass man in die­sem Augen­blick nicht mit dem Betref­fen­den wei­ter­re­den kann. Etwa so: „Herr Mül­ler, Ihre drei wich­tigs­ten Fra­gen habe ich mit Ihnen nun geklärt. Es tut mir leid, aber ihre ande­ren Fra­gen, die sicher­lich auch wich­tig und von gro­ßer Bedeu­tung für Sie sind, müs­sen wir auf einen ande­ren Ter­min ver­ta­gen. Ich habe Ihnen ja am Anfang gesagt, dass mir nur die­ses Zeit­fens­ter für unser Gespräch zur Ver­fü­gung steht.“ 

Wel­che Alter­na­ti­ven gibt es, um ein schwie­ri­ges Gegen­über „kom­mu­ni­ka­tiv ein­zu­fan­gen“? Eine neue Rah­men­be­din­gung auf­zu­ru­fen, die in der aku­ten Situa­tion nicht erfüll­bar ist, wäre eine mög­li­che Vari­ante. Zum Bei­spiel: „Das ist eine ganz wich­tige Frage, die Sie da anbrin­gen. Sie ist für mich auch ent­schei­dend. Aber um sie zu beant­wor­ten, brau­chen wir noch die und die Unter­su­chung. Diese füh­ren wir erst noch durch und dann kön­nen wir bei unse­rem nächs­ten Ter­min dar­über spre­chen.“ Oder eine wei­tere mög­li­che Option: „Das ist eine wich­tige Frage, auf die wir noch eine Ant­wort fin­den müs­sen. Aber in der der­zei­ti­gen Situa­tion hätte ich bei die­sem Gespräch gerne noch Ihre Frau mit dabei.“ Mög­lich sind auch For­mu­lie­run­gen wie diese: „Damit ich mehr Zeit für Sie habe, suchen wir jetzt einen ande­ren Ter­min, bei dem wir das bespre­chen können.“ 

Allen For­mu­lie­run­gen und Vor­schlä­gen ist gemein: Der Arzt gibt dem Gespräch – und damit dem Pati­en­ten – einen Rah­men. Und er tut dies auf posi­tive Art und Weise, indem er dem Pati­en­ten „ein Ange­bot macht“, doch gleich­zei­tig bei sei­ner Linie bleibt. „Der Arzt bleibt auf diese Weise bei sei­nem Fahr­plan“, sagt Köl­fen. Und diese klare Linie signa­li­siere dem Pati­en­ten ärzt­li­che Souveränität. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2020