Kommentar Lukas Stärker: Corona und KA-AZG sowie ARG

25.03.2020 | Coronavirus, Politik

Außergewöhnliche Fälle: Das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) und das Arbeitsruhegesetz (ARG) sehen unter dem Titel „Außergewöhnliche Fälle“ Sonderregelungen  für Not- und Ausnahmefälle vor. Der folgende Beitrag stellt sowohl die  Voraussetzungen, als auch die Rechtsfolgen in derartigen Fällen anhand  der aktuellen Corona-Situation dar.

1. KA-AZG

§ 8 Abs 1 KA-AZG legt fest, dass die Bestimmungen der §§ 3, 4, 6 und 7 in „außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Fällen“ nicht anzuwenden sind, wenn:

  1. die Betreuung von Patienten nicht unterbrochen werden kann oder
  2. eine sofortige Betreuung von Patienten unbedingt erforderlich wird und
  3. durch andere organisatorische Maßnahmen nicht Abhilfe geschaffen werden kann.

Für die Anwendbarkeit dieser Ausnahmeregelung müssen folgende vier Voraussetzungen vorliegen:

  1. muss ein außergewöhnlicher Fall vorliegen, der
  2. zusätzlich unvorhersehbar war und
  3. es muss unmöglich sein, die Betreuung von Patienten zu unterbrechen oder eine sofortige Patientenbetreuung muss unbedingt erforderlich sein und
  4. es muss unmöglich sein, im konkreten Fall durch andere organisatorische Maßnahmen Abhilfe zu schaffen.

Diese vier Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, d.h. allesamt gegeben sein, wobei bei Voraussetzung 3 lediglich einer der beiden Alternativ-Tatbestände erfüllt sein muss. Liegen hingegen nicht alle vier Voraussetzungen vor, dann handelt es sich um keinen außergewöhnlichen Fall, sondern um eine gesetzwidrige Übertretung des KA-AZG. Eine Sonderregelung gilt für die maximal zulässige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit: Eine Verlängerung der maximal zulässigen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit ist nach § 8 Abs 1 letzter Satz KA-AZG nur zulässig, wenn der einzelne Dienstnehmer schriftlich zugestimmt hat. Diese schriftliche Zustimmung kann diesfalls ex ante oder auch ex post erfolgen.

Weiters verpflichtet § 11 Abs 2 KA-AZG die Dienstgeber dazu, aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 8 Abs 1 KA-AZG geleistete Arbeiten gesondert aufzuzeichnen und binnen 4 Tagen dem Arbeitsinspektorat zu melden.

2. Corona und KA-AZG

Das Auftreten der Corona-Virus-Pandemie („Corona“) stellt für Krankenanstalten einen außergewöhnlichen – d.h. außerhalb der üblichen Anforderungen – und unvorhersehbaren Fall dar, sofern dessen gestiegene Behandlungs-, Untersuchungs- und Betreuungserfordernisse nicht durch andere organisatorische Maßnahmen egalisiert werden können. Auch eine zu befürchtende Ansteckung von Ärzten und Angehörigen der Gesundheitsberufe und die daraus resultierende Personalknappheit zeigt die Außergewöhnlichkeit und Unvorhersehbarkeit auf. Ebenso ist die Vorgabe einer erforderlichen sofortigen Patientenbetreuung gegeben: Man denke an dringend notwendige Untersuchungen, Tests und Behandlungen bei einer massiv gestiegenen Zahl an Patienten.

3. Rechtsfolgen der Nichtanwendbarkeit der §§ 3, 4, 6 und 7 KA-AZG

Bei einem Außergewöhnlichen Fall sind folgende Regelungen nicht anzuwenden:

  • die Höchstarbeitszeitgrenzen ohne Vereinbarung verlängerter Dienste (13 Stunden Tageshöchstarbeitszeit, Wochenhöchstarbeitszeit in einzelnen Wochen maximal 60 Stunden, § 3),
  • die Höchstarbeitszeitgrenzen bei zulässig vereinbarter Leistung verlängerter Dienste (maximal 29 Stunden pro Dienst, Wochenhöchstarbeitszeit in einzelnen Wochen maximal 72 Stunden, § 4),
  • die Verpflichtung, mehr als sechsstündige Arbeitszeiten durch eine mindestens dreißigminütige Ruhepause zu unterbrechen (§ 6) und § 7 über verpflichtend einzuhaltende tägliche Ruhezeiten und Ausgleichsruhezeiten nicht zur Anwendung kommen.

Sonderfall wöchentliche Arbeitszeit
Nicht automatisch außer Kraft gesetzt wird die Vorgabe einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von maximal 48 beziehungsweise 55 Stunden (vgl. § 8 Abs 1 letzter Satz KA-AZG). Darüber liegende Wochendurchschnittsarbeitszeiten beziehungsweise Erhöhungen der zulässigen Wochendurchschnittsarbeitszeit sind seit 1.1.2015 nur dann zulässig, sofern eine entsprechende schriftliche Zustimmung jedes Spitalsarztes  vor-liegt. Diese kann sowohl vorab, als auch im Nachhinein erfolgen. Entgeltrechtlich sind in außergewöhnlichen Fällen geleistete und über die Normalarbeitszeit hinausgehende Mehrarbeiten – sofern das anzuwendende Dienstrecht keine anderslautende Regelung enthält – als Überstunden abzugelten. Für den privaten Bereich finden die Überstundenregelungen des § 5 auch in außergewöhnlichen Fällen Anwendung.

4. Corona und ARG

Auch § 11 ARG, das unter anderem den Anspruch auf wöchentliche Ruhezeit normiert, sieht für außergewöhnliche Fälle folgende Sonderregelungen vor:

  • Arbeitnehmer dürfen diesfalls auch während der wöchentlichen Ruhezeit mit vorübergehenden und unaufschiebbaren Arbeiten beschäftigt werden, soweit diese unter anderem zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für die Sicherheit des Lebens oder die Gesundheit von Menschen oder bei Notstand sofort vorzunehmen sind.
  • Zur Sicherstellung dieser notwendigen Arbeiten können Bereitschaftsdienste oder Rufbereitschaften eingerichtet werden.
  • Dienstgeber müssen diese Arbeiten binnen zehn Tagen nach deren Beginn beim Arbeitsinspektorat schriftlich anzeigen.

5. FAZIT

Corona ist ein außergewöhnlicher Fall im Sinne des KA-AZG und des ARG. Der Gesetzgeber hat diesfalls Abweichungsmöglichkeiten von den sonst anzuwendenden Regelungen normiert. Es gilt, dies  zum Wohl der Patienten sowie zur Aufrechterhaltung der Krankenanstaltenversorgung zu nutzen, dabei aber  auch den Arbeitnehmerschutz stets im Auge zu behalten. Daher erfordern Verlängerungen der maximal zulässigen Wochendurchschnittsarbeitszeit auch die schriftliche Zustimmung der davon betroffenen Ärzte.

Doz. (FH) Dr. Lukas Stärker ist Kammeramtsdirektor der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2020