Kommentar Lukas Stärker: KA-AZG trotz Pandemie

15.12.2020 | Politik


Immer wieder kommt es zu Diskussionen über den Umfang der auch während Pandemien geltenden Krankenanstalten-Arbeitszeitregelungen. Im folgenden Beitrag werden diese dargestellt und bestimmte Irrtümer aufgezeigt.
Lukas Stärker*


A) Erster Irrtum: In außergewöhnlichen Fällen gilt das KA-AZG nicht!

Das ist falsch.

Richtig ist, dass § 8 Abs 1 KA-AZG unter dem Titel „außergewöhnliche Fälle“ Sonderregelungen vorsieht. Dafür müssen folgende vier Voraussetzungen kumulativ vorliegen: 

  1. es muss sich um einen außergewöhnlichen Fall handeln, das heißt einen Fall außerhalb üblicher Situationen

    und

  2. dieser Fall muss auch unvorhersehbar gewesen sein

    und

  3. in diesem Fall muss

    a) es unmöglich sein, die Betreuung von Patienten zu unterbrechen

    b) oder eine sofortige Betreuung von Patienten muss unbedingt erforderlich sein

    und

  4. es muss unmöglich sein, im konkreten Fall durch andere organisatorische Maßnahmen Abhilfe zu schaffen.

All diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, wobei bei Voraussetzung 3 zumindest einer der beiden Alternativ-Tatbestände erfüllt sein muss. Wenn nicht alle vier Voraussetzungen vorliegen, dann handelt es sich um keinen außergewöhnlichen Fall, sondern um eine gesetzwidrige Übertretung des KA-AZG.

Eine Sonderregelung gilt für die maximal zulässige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit: Eine Verlängerung der maximal zulässigen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit ist nach § 8 Abs 1 letzter Satz KA-AZG nur zulässig, wenn der einzelne Dienstnehmer schriftlich zugestimmt hat. Diese schriftliche Zustimmung kann diesfalls ex ante oder auch ex post erfolgen.

Weiters verpflichtet § 11 Abs 2 KA-AZG die Dienstgeber dazu, aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 8 Abs 1 KA-AZG geleistete Arbeiten gesondert aufzuzeichnen und binnen vier Tagen dem Arbeitsinspektorat zu melden.

B) Zweiter Irrtum: Die KA-AZG Sonderregelung (§ 8 Abs 1 KA-AZ) gilt beliebig lange.

Dies ist nicht zutreffend, denn die genannten vier Voraussetzungen müssen stets gegeben sein, damit ein „außergewöhnlicher Fall“ vorliegt. Hierzu hielt etwa das zuständige Arbeitsministerium in einem Schreiben von Ende Juni 2020 fest, dass „eine solche Notfallsituation derzeit aufgrund der geringen Anzahl an mit dem Virus infizierten Personen nicht mehr vorliegen dürfte“. Die Zunahme der COVID-19-Infizierten im Herbst 2020 führte für die davon betroffenen Krankenanstaltenabteilungen wieder zum Vorliegen eines außergewöhnlichen Falles.

C) in außergewöhnlichen Fällen nicht anzuwendende Regelungen

Bei einem außergewöhnlichen Fall iSd § 8 Abs 1 KA-AZG sind folgende Regelungen nicht anzuwenden:

 

  • die Höchstarbeitszeitgrenzen ohne Vereinbarung verlängerter Dienste (13 Stunden Tageshöchstarbeitszeit, Wochenhöchstarbeitszeit in einzelnen Wochen maximal 60 Stunden, § 3); 
  • die Höchstarbeitszeitgrenzen bei zulässig vereinbarter Leistung verlängerter Dienste (maximal 29 Stunden pro Dienst, Wochenhöchstarbeitszeit in einzelnen Wochen maximal 72 Stunden, § 4); 
  • die Verpflichtung, mehr als sechsstündige Arbeitszeiten durch eine mindestens dreißigminütige Ruhepause zu unterbrechen (§ 6) und 
  • § 7 über verpflichtend einzuhaltende tägliche Ruhezeiten und Ausgleichsruhezeiten.

D) auch in außergewöhnlichen Fällen anzuwendende Vorgaben

Selbst in außergewöhnlichen Fällen sind insbesondere folgende Vorgaben des KA-AZG weiterhin anzuwenden:

  1. Die wichtigste weiterhin geltende Regelung ist die Pflicht für Dienstgeber, dafür zu sorgen, dass keine Person mehr als 48 Stunden pro Woche im Durchschnitt arbeitet, es sei denn, die betreffende Person hat dazu eigenhändig und schriftlich zugestimmt (vgl § 8 Abs 1 letzter Satz KA-AZG). Diese Zustimmung kann bei außergewöhnlichen Fällen auch erst im Nachhinein erfolgen. 
  2. Weiters können auch sämtliche bereits erfolgten Zustimmungserklärungen schriftlich wiederrufen werden und zwar unter Einhaltung einer achtwöchigen Vorankündigungsfrist mit Wirkung für den nächsten Durchrechnungszeitraum oder – sofern der Durchrechnungszeitraum laut Betriebsvereinbarung länger als 17 Wochen ist – für den nächsten 17-Wochen-Zeitraum oder verbleibenden kürzeren Zeitraum (§ 11b Abs 1 KA-AZG). Im Fall eines Widerspruchs darf die betreffende Person ab dem Wirksamkeitsdatum des Widerrufs im Schnitt nicht mehr als 48 Stunden pro Woche beschäftigt werden.
  3. Auch darf niemand wegen eines erfolgen Widerrufes oder einer nicht erfolgten Zustimmung zu einer länger als 48-stündigen Wochendurchschnittsarbeitszeit benachteiligt werden (§ 11b Abs 2 KA-AZG).
  4. Die Dienstgeber sind weiters verpflichtet, ein aktuelles Verzeichnis jener Personen zu führen, die einer Verlängerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf über 48 Stunden zugestimmt haben. Im Fall eines Widerrufs ist die betreffende Person aus diesem Verzeichnis zu streichen. Diesem Verzeichnis sind vom Dienstgeber weiters Kopien jeder Zustimmungserklärung eines Mitarbeiters beizulegen (§ 11 Abs 3 KA-AZG).
  5. Auch gilt § 11 KA-AZG weiterhin, der die Dienstgeber zur Führung von Arbeitszeitaufzeichnungen verpflichtet.
  6. Weiters verpflichtet § 11 Abs 2 KA-AZG die Dienstgeber dazu, aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 8 Abs 1 KA-AZG geleistete Arbeiten gesondert aufzuzeichnen und binnen vier Tagen dem Arbeitsinspektorat zu melden. Eine Unterlassung dieser Meldung stellt eine eigenständige Verwaltungsübertretung nach § 12 Abs 1 Z 6 KA-AZG dar.
  7. Auch bleiben die KA-AZG Strafbestimmungen, soweit sie sich auf auch in außergewöhnlichen Fällen anzuwendende Dienstgeberpflichten beziehen, weiterhin in Geltung.
  8. Entgeltrechtlich sind in außergewöhnlichen Fällen geleistete und über die Normalarbeitszeit hinausgehende Mehrarbeiten – sofern das anzuwendende Dienstrecht keine anderslautende Regelung enthält – als Überstunden abzugelten. Im privaten Bereich findet die Überstundenregelung des § 5 K-AZG auch in außergewöhnlichen Fällen Anwendung.

E) Conclusio

Das KA-AZG ermöglicht in sogenannten „außergewöhnlichen Fällen“ Abweichungen von einigen sonst geltenden Vorgaben. Dafür müssen sämtliche der unter Punkt A) erwähnten vier Voraussetzungen vorliegen. Diesfalls sind die unter Punkt C) genannten Regelungen nicht anzuwenden. Sämtliche anderen KA-AZG Regelungen gelten jedoch auch in außergewöhnlichen Fällen. Die wichtigsten weiterhin geltenden gesetzlichen Vorgaben finden sich unter Punkt D). 

Mit diesem Kompromiss möchte der österreichische Gesetzgeber den Spagat zwischen Patientenwohl, Aufrechterhaltung der Versorgung in Krankenanstalten und Arbeitnehmerschutz für die in Spitälern beschäftigten Personen bewältigen. In der Praxis ist hier von allen Seiten ein „rechtskonformes und sensibles Miteinander“ gefragt.

*) HR Doz. (FH) Dr. Lukas Stärker ist Kammeramtsdirektor der ÖÄK

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2020