Kärnten COVID-Visitendienst: Abseits von ausgetretenen Pfaden

25.04.2020 | Coronavirus, Politik

Innerhalb von 24 Stunden meldeten sich auf die Ausschreibung so viele Ärztinnen und Ärzte, dass rasch klar war: Die Idee des COVID-19-Visitendienstes wird Realität. Seit 21. März können damit Allgemeinmediziner, Epidemie-Ärzte und Ambulanzen entlastet werden – und es geht auch um die Aufklärung und Beruhigung der Patienten.
Laura Scherber

Mit dem Rettungswagen auf 1.300 Meter zu sein, weil gerade jemand besucht wird, der sehr abgeschieden wohnt, ist schon sehr abenteuerlich“ – für die 35-jährige Allgemeinmedizinerin Patrizia Debski ist dies keine alltägliche Situation. Im Rahmen des COVID-19-Visitendienstes ist aber genau das notwendig. Seit 21. März 2020 sind täglich vier Ärzte im Rahmen des COVID-19-Visitendienstes im Einsatz: zwei Autos in Kärnten Ost, zwei Autos in Kärnten West.

Ein Telefonkoordinator in der Leitstelle kümmert sich um die Routenplanung. „Grundsätzlich hätten wir auch die Kapazität, mehr Autos hinauszuschicken. Aber derzeit ist es ausreichend“, berichtet Petra Preiss, Präsidentin der Ärztekammer für Kärnten. Zweck des Visitendienstes ist die Behandlung und Überwachung von Patienten, die COVID-19-positiv getestet und daran oder anderweitig erkrankt sind oder die sich in Absonderung oder Selbstquarantäne befinden und medizinische Betreuung benötigen. „Wir entlasten die niedergelassenen Ärzte einerseits und unterstützen die Epidemie-Ärzte andererseits“, fasst Preiss zusammen. Und weiter: „Da in Österreich nicht ausreichend Schutzkleidung für die niedergelassenen Kollegen zur Verfügung steht, kann man nicht erwarten, dass sie unzureichend ausgerüstet in die einzelnen Haushalte gehen“. Die Visitenanforderungen erfolgen einen oder zwei Tage im Voraus über die Amtsärzte und die niedergelassenen Allgemeinmediziner. Die Telefonnummer ist nicht für die Öffentlichkeit freigeschaltet.

„Das Besondere war, dass wir dieses System an einem Sonntagnachmittag aus dem Boden gestampft haben“, schildert Preiss die Entstehung dieses Visitendienstes. Normalerweise verhandele man für so etwas zwei Jahre oder mehr. Gemeinsam mit den Vertretern der Landessanitätsdirektion der österreichischen Gesundheitskasse Landesstelle Kärnten wurden noch am gleichen Abend die Ausschreibungen veröffentlicht und am darauffolgenden Samstag startete das erste Team. Gesucht wurden einerseits ältere Epidemie-Ärzte für die Patienten-ferne Arbeit wie Administration, Koordination und Datenpflege, und andererseits Ärzte mit ius practicandi für Allgemeinmedizin für die Visiten. Auf die Ausschreibung meldeten sich innerhalb von 24 Stunden so viele Ärztinnen und Ärzte, dass schnell klar war: Das Projekt kommt zustande. „Die Not, die Idee, die Umsetzung – das war innerhalb von kürzester Zeit da“, fasst Preiss die Synergie der Situation zusammen. Und weiter: „Das ist wirklich ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann, wenn der Hut brennt und die Leute wollen“. Finanziert wird das Projekt von der österreichischen Gesundheitskasse Landesstelle Kärnten. Das Land stellt die Ausrüstung zur Verfügung, der Arbeitersamariterbund die Rettungswägen sowie die Leitstelle in Villach inklusive technischer Infrastruktur (Telefon, Computer). Abgerechnet wird mit einer Pauschale auf derselben Basis wie der hausärztliche Bereitschaftsdienst am Wochenende – zuzüglich der weiteren verrechenbaren Einzelleistungen.

Herausforderung: richtiger Informationsfluss

Eine große Herausforderung ist die Fülle an Daten und der richtige Informationsfluss. Doch auch hierfür wurde ein entsprechendes – weitgehend automatisiertes System – geschaffen, das den Datenaustausch zwischen allen Beteiligten gewährleistet. „Alle klinisch und epidemiologisch relevanten Daten der Patienten stehen in einem Formular, das jeder in der Früh, wenn er seinen Dienst beginnt, auf seinem Telefon geladen hat“, erkl.rt Preiss. Nach der Visite dokumentiert jeder Arzt die relevanten Informationen wie Zustand und Symptomatik des Patienten, Medikation, Nachsorge, Genesung und sendet sie mit einem „Klick“ an die Leitstelle. Der diensthabende Leitstellenarzt speichert und übermittelt alle Datenblätter an die Landessanitätsdirektion, wo sie von den Epidemie-Ärzten in das epidemiologische System eingegeben werden. „So haben wir einen geschlossenen Kreislauf zwischen den Epidemie- und Amtsärzten und den Visitenärzten“, resümiert Preiss.

Die .rzte des COVID-Visitendienstes müssen genau abschätzen, ob ein milder, mittelschwerer oder schwerer Verlauf zu erwarten ist. „Kommt man zu einem Patienten mit einer schlechten Sauerstoffsättigung, sollte man nicht z.gern und den Patienten stationär zum engmaschigeren Monitoring einweisen, weil es in kurzer Zeit zu einer rapiden Verschlechterung kommen kann“, betont Psychiater Andres Schuh, der ebenfalls beim COVID-Visitendienst mitmacht. Grundsätzlich seien die Patienten dankbar für das Angebot. Auch das Arbeitsklima nehmen die beiden Ärzte positiv wahr. „Es ist immer wieder erfreulich, wenn man mit den verschiedenen Institutionen zusammenarbeitet und sieht, wie gut die Kooperation funktioniert“, berichtet Schuh. Obwohl er mit dem Arbeitersamariterbund bisher wenig zu tun gehabt hatte, funktioniere man als Team vom ersten Moment an. Um Infektionen zu vermeiden, sei es gerade beim An- und Ausziehen der Schutzkleidung wichtig, dass man sich aufeinander verlassen könne. „Den Spirit merkt man schon, dass alle wollen, und gerade die Ärzteschaft in Kärnten scheint sich da ganz gut zu unterstützen“, resümiert Debski.

Emotionale Komponente nicht unterschätzen

Wie verängstigt und besorgt die Menschen durch die Situation sind, ist bei den Visiten zu bemerken. „Diese absolute Reizüberflutung über Social Media, Informationen und Fehlinformationen, die Ausgangssperre und alles zusammen – dem entgeht man ja gar nicht“, wirft Debski ein. Der Visitendienst könne hier durch Psychohygiene stark unterstützen, den Patienten durch Aufklärung die Angst oder die Befürchtung des maximalen Ausgeliefertseins zu nehmen. Aber auch das schlechte Gewissen meldet sich, wenn es zu einer Ansteckung gekommen ist und die Sorge, die eigenen Angehörigen in Gefahr gebracht zu haben. „Das Wichtigste ist, dass die Personen einmal ihre Ängste äußern dürfen, dass man ihnen zuhört, sich Zeit nimmt und dass man ihnen vermittelt, die Ängste sind nachvollziehbar“, erklärt der 60-jährige Andreas Schuh. Gleichzeitig ist es essentiell, gute Informationen über grundlegende Aspekte wie den Ansteckungsvorgang und die Sicherheitsmaßnahmen zu geben. Allein das Wissen, dass 80 Prozent der Erkrankungen mild verlaufen – besonders bei Kindern und Jugendlichen – sei Schuh zufolge für viele Familien schon eine große Erleichterung. Wenn Familien in Situationen wie dieser auf engem Raum zusammenleben müssen, entstehen aber auch häufig Spannungen. „Es ist wichtig, dass man sich um Gelassenheit bemüht und versucht, Ruhe zu bewahren“, betont Schuh. Gleichzeitig habe das Wort Krise letztendlich zwei Bedeutungen: Gefahr und Chance. Die Gefahr besteht in der unkontrollierten Ausbreitung einer schweren Erkrankung, die Chance hingegen, dass Menschen entschleunigen. „Das bemerke ich auch bei mir selbst: dass einem bewusst wird, was man alles im Leben nicht unbedingt braucht und wie wertvoll Bewegungsfreiheit ist“, berichtet Schuh.

Ein Tag im COVID-Visitendienst

Wie ein normaler Tag im Visitendienst aussieht, davon berichtet Allgemeinmedizinerin Patrizia Debski. Der Visitendienst fängt um acht Uhr an und dauert bis 18 Uhr. Sobald feststeht, wer besucht werden soll, wird man von der Leitstelle angerufen und vom Rettungswagen, der von Villach kommt, zu Hause abgeholt und der Patientenhaushalt angefahren. Entweder sind das bereits COVID-19-positiv getestete Patienten oder einfach Menschen, die auf einen Test warten, aufs Testergebnis oder aber aufgrund der Symptome oder weil sie sich aus Risikogebieten kommend in Quarantäne befinden. Im Grunde ist das wie ein Hausbesuch, wobei natürlich Abstriche bis dato nicht gemacht wurden. Es geht darum, dass man den Allgemeinzustand kontrolliert, dass man entscheidet, das geht zu Hause mit ruhigem Gewissen – natürlich in Absprache mit den Patienten und Angehörigen – und da geht es auch sehr viel um Aufklärung. Natürlich werden die Menschen jetzt mit sehr viel Informationen konfrontiert und die Angst ist sehr groß. Da geht es auch in erster Linie darum, dass man die Patienten als Arzt auch – soweit es geht – beruhigt beziehungsweise noch einmal in aller Ruhe etwaige Fragen durchgehen und die Patienten in ihrer Selbstverantwortung und Selbstwirksamkeit stärken kann. Es geht auch darum, zu vermeiden, wenn der Allgemeinzustand doch schlechter wird, dass der Krankheitsverlauf der Patienten viel zu spät kontrolliert wird. Genau das macht den COVID-19-Visitendienst aus, dass man genau diese Hilfe schafft. Sobald man mit einer Visite fertig ist, leitet man das an die Leitstelle weiter. Wenn man wieder zu einem neuen Patienten fahren muss, macht man sich auf den Weg und hat dann eine ganze Route oder aber – falls der Dienst zu Ende ist – wird man wieder in die eigenen vier Wände nach Hause gebracht.

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2020