Inter­view Aus­trian Health Aca­demy: Evi­denz­ba­siert informieren

10.03.2020 | Politik

Äqui­di­stant den Dis­kurs im Gesund­heits­we­sen bele­ben und den Schwer­punkt auf Evi­denz­ba­sierte Gesund­heits­sys­tem-Infor­ma­tio­nen legen – so for­mu­lie­ren die Ver­tre­ter der Aus­trian Health Aca­demy, Prä­si­dent Claus Raidl sowie die bei­den Vor­stands­mit­glie­der Michael Kraus und Maria M. Hof­mar­cher-Holz­ha­cker, die zen­tra­len Anlie­gen. Das Gespr.ch führte Agnes M. Mühl­gas­s­ner.

Wieso wurde die Aus­trian Health Aca­demy ins Leben gerufen?

Raidl: Unsere grund­sätz­li­che Über­le­gung war, dass wir in die aus mei­ner Sicht sehr ver­wor­rene gesund­heits­po­li­ti­sche Dis­kus­sion – Spi­tä­ler, nie­der­ge­las­se­ner Bereich, Bund, Län­der – Struk­tur brin­gen woll­ten und ein Insti­tut gegrün­det haben, wo wir ver­su­chen, auf einer wis­sen­schaft­li­chen Grund­lage die Dis­kus­sion zu bele­ben. Der Vater der Idee ist Dr. Kraus, der als Obmann der Aka­de­mie fun­giert. Den wis­sen­schaft­li­chen Hin­ter­grund dafür gibt uns seine Stell­ver­tre­te­rin, Frau MMag. Hofmarcher.

Kön­nen Sie mir dazu ein kon­kre­tes Bei­spiel dafür geben?

Raidl: Wir erle­ben gerade die große Debatte in der Stei­er­mark: jeder opti­miert, aber bun­des­ein­heit­lich opti­miert kei­ner. Das ist eine inter­es­sens­be­zo­gene Basis in den Län­dern. Wir aber wol­len eine Evi­denz-basierte Dis­kus­sion, bei der wir uns die Kos­ten­struk­tu­ren anschauen, die Bevöl­ke­rungs­dichte und so wei­ter. Das war die Grund­idee für die Grün­dung der Aus­trian Health Academy.

Herr Dr. Kraus, gab es Sie für einen kon­kre­ten Anlass­fall, der Sie auf die Idee zur Grün­dung die­ser Insti­tu­tion gebracht hat?

Kraus: Ich komme aus der Immo­bi­li­en­wirt­schaft und habe auf­grund mei­nes Fir­men­pro­fils habe ich schon immer ein beson­de­res Nahe­ver­hält­nis zur Stadt Wien gehabt. Es gab vor etwa vier Jah­ren eine ver­trau­li­che Gesprächs­runde, in der sich ins­ge­samt 15 Per­so­nen – Pri­ma­rii aus dem KAV und Pro­fes­so­ren der Med­Uni Wien – getrof­fen und über gesund­heits­po­li­ti­sche Pro­bleme gespro­chen haben. Die­ser infor­melle Kreis wurde dann insti­tu­tio­na­li­siert und für das öster­rei­chi­sche Gesund­heits­we­sen gene­rell ein­ge­rich­tet.

Wie kann man sich die Arbeit der Aka­de­mie kon­kret vorstellen?

Hof­mar­cher: Wir haben uns in zahl­rei­chen Arbeits­ge­sprä­chen im Wesent­li­chen vier The­men gege­ben, um deren Inhalte wir unsere Ana­ly­sen bezie­hungs­weise unsere Akti­vi­tä­ten for­mie­ren. Für mich war die Koope­ra­tion hier des­we­gen so inter­es­sant, weil ich eine Mög­lich­keit sehe, dass wir die Infor­ma­ti­ons­lage zu Gesund­heits­sys­tem­fra­gen qua­li­täts­ge­si­chert ver­bes­sern kön­nen und müs­sen. Wir möch­ten äqui­di­stant zu den Akteu­ren den Dis­kurs im Gesund­heits­we­sen bele­ben und bewir­ken, dass sie sich über den Tel­ler­rand, d.h. über die Silogren­zen hin­aus mit die­sen The­men befas­sen. Und letzt­lich muss es mehr Sys­tem­in­for­ma­tion für die Bevöl­ke­rung geben.

Wel­che vier The­men sind es, mit denen Sie sich schwer­punkt­mä­ßig befassen?

Hof­mar­cher: Die Gene­ral­the­men, die wir uns gege­ben haben, sind ers­tens, dass die Pri­mär­ver­sor­gung aus- und auf­zu­bauen ist. Zwei­tens, muss chro­ni­sches Lei­den ver­hin­dert und rich­tig behan­delt wer­den. Drit­tens beschäf­ti­gen wir uns mit der Frage, wie man die Finan­zie­rung ändern kann, damit die struk­tu­rel­len Män­gel, die ja Krank­heits­leid ver­ur­sa­chen, gemil­dert oder ver­min­dert wer­den kön­nen. Wir haben das „Modell Region-Finan­zie­rung aus einer Hand” genannt. Wenn in die­sen drei erst genann­ten Berei­chen die adäqua­ten Maß­nah­men umge­setzt sind, dann geht es vier­tens darum, dass die Men­schen gesund und glück­lich altern kön­nen.

Was mei­nen Sie damit konkret?

Hof­mar­cher: Wir müs­sen uns zunächst ein­mal mit der Frage beschäf­ti­gen: Wie funk­tio­niert gesun­des Altern? Akti­ves und gesun­des Altern beginnt im Wesent­li­chen in der Schwan­ger­schaft. Ein ganz aktu­el­les Stich­wort dazu ist der Kin­der­ärz­te­man­gel und die schwa­che Koor­di­nie­rung der Ver­sor­gung. Es muss Inves­ti­tio­nen in die Zukunft geben, die sicher­stel­len, dass die Wahr­schein­lich­keit von Men­schen, krank zu wer­den, auf einen höhe­ren Lebens­zeit­punkt ver­scho­ben wird.

Was haben Sie seit der Grün­dung im Mai 2018 von die­sen heh­ren Ansprü­chen erreicht?

Kraus: Die Ant­wort: zu wenig. Wir haben ein paar Auf­träge bekom­men von Insti­tu­tio­nen, die in diese Rich­tung mit einem Evi­dence based-Ansatz arbei­ten wol­len. Aber das, was wir eigent­lich geglaubt haben, näm­lich dass die betrof­fene All­ge­mein­heit sagt: „End­lich gibt es so etwas. Das wer­den wir unter­stüt­zen”, ist nicht – noch nicht – passiert.Warum ist das so? Wo lie­gen Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür?

Kraus:
Alles, was wir machen wol­len – auch im Bereich der Kom­mu­ni­ka­tion – ist natür­lich eine Frage des Bud­gets. Dafür in Öster­reich Geld zu bekom­men, ist äußerst schwie­rig, weil in Öster­reich die Mei­nung ver­tre­ten wird, dass gesund­heits­po­li­ti­sche Anlie­gen Auf­gabe des Staa­tes und der vor­han­de­nen Insti­tu­tio­nen sind. 

Wel­che Schritte sind als nächs­tes geplant?

Hof­mar­cher: Im Hin­blick auf die ver­stärkte Kom­mu­ni­ka­tion ist für uns die Koope­ra­tion mit der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­zei­tung wich­tig. Wir wol­len mit dem „aha-Moment” auf Gesund­heits­sys­tem­fra­gen in Zusam­men­hang mit gesund­heits­öko­no­mi­schen Aspek­ten auf­merk­sam machen Hier ist die Ziel­gruppe Ärz­tin­nen und Ärzte. Der „aha. Moment” ist eine Info­gra­phik, die in loser Folge erscheint.

Braucht es in Öster­reich noch eine wei­tere Insti­tu­tion, die sich mit gesund­heits­po­li­ti­schen Ana­ly­sen befasst?

Hof­mar­cher: Ein kla­res Ja. Das gesamte Wis­sens­ma­nage­ment zum Gesund­heits­we­sen ist stark zen­tra­li­siert in der Gesund­heit Öster­reich, die sehr unter der Kura­tel des Bun­des steht. Die Gesund­heit Öster­reich ver­fügt über Daten, die schon längst der Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht wer­den müss­ten. Gleich­zei­tig gibt es Dop­pel­glei­sig­kei­ten im Daten­be­reich ins­be­son­dere zwi­schen Bund und Sozi­al­ver­si­che­rung. Auf Seite der Sozi­al­ver­si­che­rung gibt es dann auch das Insti­tut für Höhere Stu­dien. Aber ich glaube, dass wir ein­fach zeit­ge­mäß eine Lücke schlie­ßen, indem wir den Schwer­punkt auf Evi­denz­ba­sierte Gesund­heits­sys­tem-Infor­ma­tio­nen legen, für jeden und jede ver­ständ­lich auf­be­rei­tet. Ein ande­rer Aspekt ist die Finan­zie­rung: Wir erle­ben gerade in den letz­ten Jah­ren, dass die Gesund­heits­aus­ga­ben nach wie vor etwas rascher stei­gen als die Wirt­schafts­leis­tung, aber nicht mehr so stark wie frü­her.

Was bedeu­tet das?

Hof­mar­cher: Mit der Haus­halts­rechts­re­form 2009 und als Folge der Rezes­sion wurde ein glo­ba­ler Kos­ten­pfad im Gesund­heits­we­sen ein­ge­führt – das beschäf­tigt mich aktu­ell sehr und es macht mir auch Sor­gen, denn seit 2013 wird die­ser Kos­ten­pfad stän­dig über­erfüllt, was ich selt­sam finde. Und zwei­tens wurde der Kos­ten­pfad noch stren­ger gemacht: So dür­fen sich die Aus­ga­ben bis 2021 nur mehr im Umfang eines sehr nied­rig ange­setz­ten BIP-Wachs­tums ent­wi­ckeln. Ange­sichts der gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen, die wir im Gesund­heits­sys­tem haben, finde ich die­sen Ansatz sehr schwie­rig. Ich glaube, wir müs­sen das Gesund­heits­sys­tem in Zukunft ein wenig groß­zü­gi­ger behan­deln. Eines der zen­tra­len Dinge ist, dass die Finan­zie­rung beson­ders im ambu­lan­ten Sek­tor und im Zusam­men­wir­ken mit der Pflege auf andere Grund­la­gen gestellt wird, was cete­ris pari­bus mög­lich ist – selbst unter jet­zi­gen gesetz­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen. Und die über­ge­ord­ne­ten Her­aus­for­de­run­gensind die finan­zi­elle Nach­hal­tig­keit und die Digi­ta­li­sie­rung. Das Gesund­heits­sys­tem hat die Digi­ta­li­sie­rung noch in einem hohen Umfang vor sich. Hier muss inves­tiert wer­den. Die Schlag­zeile aus mei­ner Sicht müsste sein: Gute Ver­sor­gung erfor­dert bes­sere Poli­tik plus Investition.

Wel­che Maß­nahme müsste man Ihrer Ansicht nach set­zen, um im Gesund­heits­we­sen grund­sätz­lich etwas ändern zu können?

Raidl: Für mich ist ein Schlüs­sel­punkt, die Gesund­heits­kom­pe­tenz dem Bund zu über­tra­gen, auch die Kom­pe­tenz bei der Spi­tals­pla­nung. Ich bin hier zen­tra­lis­tisch ein­ge­stellt, weil das ganze Pro­blem des Zusam­men­spiels zwi­schen Spi­tä­lern, nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten und der Finan­zie­rung muss mei­ner Ansicht nach geän­dert wer­den. Wie kön­nen wir Mit­tel frei­ma­chen, eine Struk­tur schaf­fen, die bil­li­ger ist, ohne dass die Leis­tun­gen dar­un­ter lei­den? Das ist meine Grund­über­le­gung. Der­zeit ver­su­chen neun Poli­ti­ker ein Opti­mum zu machen, ein Sub­op­ti­mum. Neun Sub­op­tima. Und ich glaube, hier ist etwas drin.

Hof­mar­cher: Ich würde genau in diese Rich­tung gehen nach dem Motto „think big, start small”. In einem Zwi­schen­schritt – und den könnte man über­mor­gen umset­zen – könnte man die Mit­tel für die ambu­lante Ver­sor­gung – Spi­tals­am­bu­lan­zen, nie­der­ge­las­se­ner Bereich und Pflege zuhause – auf regio­na­ler Ebene in einen Pool brin­gen, wo die Län­der mit der Sozi­al­ver­si­che­rung auf Basis von Bun­des­vor­ga­ben zusam­men pla­nen und steu­ern. Hier sollte man zusam­men über­le­gen: Wie kann der Leis­tungs­ein­kauf für die ambu­lante Ver­sor­gung gestal­tet werden?

Kraus: Wenn man ver­stan­den hat, dass es ein ord­nen­des Ele­ment gibt, das jen­seits poli­ti­scher Umstände und Details usw. für alle gut ver­ständ­lich ist, dann ist es die Buch­hal­tung. Und da gibt es eine ganz ein­fa­che Ant­wort: Ohne Finan­zie­rung aus einer Hand wer­den wir mit all den Argu­men­ten, die hier schon gesagt wur­den, schwer durch­kom­men. Wenn man bewei­sen kann, dass es hin­ter dem Komma für das Sys­tem bes­ser ist, dann kann man es nur, wenn man ein ord­nen­des und beweis­füh­ren­des Ele­ment ins Sys­tem hin­ein­bringt und das ist die Finan­zie­rung aus einer Hand. Das müsste das Ziel sein.

Raidl: Aber das wird in Öster­reich so wie alles, was mit föde­ra­len Struk­tu­ren zusam­men­hängt, nur sehr schwer mög­lich sein. Da wird man das nur in Etap­pen errei­chen. Die Spi­tals­am­bu­lanz ist ja auch so eine Frage: Wer zahlt, wenn man zum All­ge­mein­me­di­zi­ner geht und wer, wenn man in eine Ambu­lanz geht? Da beginnt ja schon das Pro­blem. Wenn man zum Arzt geht, ist alles ASVG, wenn man in die Spi­tals­am­bu­lanz geht, ist es auch der Spitalserhalter.

Kraus: Es spart sich jeder ver­meint­lich etwas und in Summe zah­len alle drauf. 


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© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 5 /​10.03.2020