Transplantationspatient in der Allgemeinpraxis: Relevante Sensoren für Auffälligkeiten

25.10.2020 | Medizin


Bei der Nachbetreuung von Transplant-Patienten sind niedergelassene Allgemeinmediziner die Sensoren vor Auffälligkeiten. Wenn auch das biologische Alter der wichtigste Einflussfaktor ist, gibt es bei einer Transplantation keine numerische Altersobergrenze mehr. In naher Zukunft halten Experten bedeutende Veränderungen bei der Transplantation insgesamt für realistisch.
Laura Scherber

Laut österreichischem Transplantbericht wurden im Jahr 2019 insgesamt 720 Organtransplantationen durchgeführt: 386 Nieren-, 151 Leber-, 100 Lungen-, 67 Herz-, 15 Pankreas-Transplantationen sowie eine Dünndarm-Transplantation. Bei den 386 transplantierten Nieren handelte es sich um 77 Organe von Lebendspendern und 309 von toten Spendern. „Die notwendigen Voruntersuchungen hängen davon ab, ob es eine geplante Lebendspender-Nierentransplantation ist, bei der Spender und Empfänger voruntersucht werden müssen, oder ob es eine Voruntersuchung für die Aufnahme auf die Eurotransplant-Warteliste für Leichenspender-Nieren ist“, erklärt Univ. Prof. Rainer Oberbauer von der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien. 2020 wurden dazu die aktuellen internationalen Leitlinien (Kidney Disease: Improving Global Outcomes; KDIGO) veröffentlicht, in denen genau differenziert wird, welche Untersuchungen üblicherweise im niedergelassenen Bereich durchgeführt werden. Ebenso gibt es auch eine Informationsbroschüre des Transplantzentrums am Wiener AKH, in der die geforderten Untersuchungen angeführt sind.

Vor einer Nierentransplantation ist eine Reihe von Untersuchungen (Bildgebung, Laboruntersuchungen, Gewebsübereinstimmungstestung) notwendig. Der Umfang der Voruntersuchungen hängt allerdings von einigen Faktoren ab – unter anderem davon, ob es sich bei dem Empfänger um jemanden handelt, der jung ist und keine lange Nierenvorerkrankung hat oder jemanden, der eine lange Dialyse-Vintage hat und zusätzlich viele Komorbiditäten. „Eine Leichenspender-Nierentransplantation hält im Mittel ungefähr zehn bis 15 Jahre“, berichtet Oberbauer. Wird man im jüngeren Lebensalter nierenkrank und hat somit eine längere Lebenserwartung, ist oft eine zweite oder manchmal sogar eine dritte Transplantation erforderlich.

Infektionen und Tumore ausschließen

Ist die Indikation für eine Nierentransplantation gegeben – die terminale Nierenerkrankung bestätigt –, müssen Kontraindikationen im Vorfeld ausgeschlossen werden. „Bei den Voruntersuchungen geht es im Grunde genommen um eine umfassende Gesundheitsuntersuchung bei den Kandidaten, um Infektionsherde und Tumorerkrankungen auszuschließen“, erklärt Univ. Prof. Stefan Schneeberger von der Universitätsklinik für Visceral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie in Innsbruck. Ein Großteil der Voruntersuchungen kann dabei im niedergelassenen Bereich absolviert werden. Hier will man Sicherheit haben, dass keine Infektionserkrankungen vorhanden sind oder vorhanden waren, die unter der Immunsuppression reaktiviert werden können. Nasennebenhöhlen-Besiedlungen oder Wurzelinfektionen sollte man zum Beispiel im Vorfeld beheben. Ebenso gilt es, beginnende Tumorerkrankungen auszuschließen oder allenfalls zu behandeln. „Gleichzeitig geht es um die allgemeine Fähigkeit zur Transplantation beziehungsweise Gesundheitskompetenz in puncto Herz- und Lungen-Vorschädigungen oder Gefäßerkrankungen, die eine Narkose oder die chirurgische Umsetzung der Transplantation erschweren“, fügt der Experte hinzu. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist das biologische Alter, wobei es keine numerische Altersobergrenze mehr gibt. So haben Patienten mit schwerwiegenden Gefäßerkrankungen – vor allem Gefäßverkalkungen in den zentralen Gefäßen – grundsätzlich schlechte Voraussetzungen. „Wenn die Durchblutung der neuen Niere nicht gewährleistet ist, erscheint es nicht sinnvoll, die Transplantation zu versuchen“, wirft Schneeberger ein. Häufig müsse man im Einzelfall mit dem Patienten abwägen, wie groß der individuelle Nutzen einer Transplantation ist oder inwiefern die Dialyse eine gute Alternative ist. Bei wiederholten Nierentransplantationen wird das Vorgehen zunehmend schwieriger, da sich die chirurgischen Voraussetzungen ändern und das Immunsystem sensibilisiert ist, sodass die Auswahl der Nieren schwieriger und das Langzeitüberleben problematischer wird.  

Aufmerksame Nachbetreuung

„Die niedergelassenen Kollegen, die die Nachbetreuung mitabsolvieren, sind quasi die Sensoren für Auffälligkeiten, wenn Abweichungen von der Norm auftreten“, weiß Schneeberger. Kommt es zu schwerwiegenden Infektionen oder Veränderungen der Organfunktion, ist es notwendig, Kontakt mit einem spezialisierten Zentrum aufzunehmen und den Patienten zuzuweisen. Die einzelnen Untersuchungen und Differentialdiagnosen sind in diesen Fällen im Kontext der Immunsuppression und der vorausgegangenen Transplantation zu sehen. Banale Infekte können in der Regel auch zu Hause behandelt werden. Viele Fragen und Probleme können auch telefonisch oder per Videotelefonie geklärt werden. „Wir schätzen den regelmäßigen Kontakt mit unseren niedergelassenen Kollegen sehr“, fügt Oberbauer hinzu. So könne man – auch wenn der Zustand eine Zuweisung nicht notwendig erscheinen lasse und die Laborbefunde in Ordnung seien – „gerne“ Kontakt mit der Ambulanz des Transplantzentrums aufnehmen, um einen Fall zu besprechen. Wenn Transplantationspatienten in die Ordination kommen, sind die häufigsten Gründe Fieber oder Diarrhoe. In diesen Fällen empfiehlt sich die zügige Anordnung einer Laboruntersuchung, damit man das Ergebnis am gleichen oder spätestens am nächsten Tag erhält. Bei entsprechenden Entzündungszeichen oder verschlechterter Transplantatfunktion muss der Betroffene an das Transplantzentrum überwiesen und gegebenenfalls stationär aufgenommen werden, betont Oberbauer.

Ziel: Wiederherstellung der Lebensqualität

Ziel der Transplantation ist eine altersgemäße Wiederherstellung der Lebensqualität, weshalb es anschließend eigentlich „keine wesentlichen Einschränkungen“ (Oberbauer) geben sollte. Dies inkludiert alle Bereiche wie Sport, Ernährung, soziale Kontakte, sexuelle Aktivität und berufliches Engagement. Dennoch gibt es Schneeberger zufolge einige Punkte zu beachten: Die Immuntherapie erfordere immer wieder individuelle Anpassungen und sei daher keine statische sondern eine dynamische Therapie. „Tritt etwa eine Infektion mit Herpes-Viren auf, signalisiert das eine Immunschwäche. Tritt das gehäuft auf, muss man überlegen, ob man nicht die Immunsuppression nach unten korrigiert, weil der Patient offensichtlich immungeschwächt ist“, erklärt der Experte. Gleichzeitig müssen vorbestehende Begleiterkrankungen regelmäßig kontrolliert und therapiert werden. „Viele der Patienten haben Komorbiditäten und die bedürfen entsprechender Aufmerksamkeit, Behandlung und Monitoring“, führt Schneeberger weiter aus. Besonders bei opportunistischen Infektionen (virale, bakterielle und Pilzerkrankungen), die typischerweise oder fast ausschließlich bei Transplantierten auftreten, brauche man ein gewisses Know-how und eine bestimmte Struktur zur Abklärung und Therapiefindung. Ein typisches Beispiel dafür ist die Polyomavirus-Infektion. Langfristig müsse man vor allem auf Hauttumore und damit auf die Sonnenexposition achten, auf Tumore der blutbildenden Organe-, wie Leukämie oder Lymphome, aber auch Tumore des Urogenitaltrakts, da es hier prozentuelle Häufungen gebe. Auch Wechselwirkungen im Rahmen der Medikation müssen im Einzelfall hinterfragt werden. „Der Narrow therapeutic index besagt hier eine sehr schmale therapeutische Bandbreite. Aus diesem Grund muss man wachsam sein, was andere Medikamente, Veränderungen oder Zustandsbilder betrifft, um sie zu überprüfen und entsprechend zu korrigieren“, fügt Schneeberger hinzu. Diese Interaktionen können durch einfache Dinge wie Durchfallerkrankungen oder die Zufuhr von Grapefruitsaft bedingt sein. Impfungen wie gegen Hepatitis-Viren sollten im Hinblick auf die Verträglichkeit möglichst vor der Transplantation absolviert werden. Allerdings sollten die für die Allgemeinbevölkerung empfohlenen Impfungen (inklusive Hepatitis-B-Virus) Oberbauer zufolge auch bei Patienten nach Nierentransplantation erfolgen.

Die medikamentöse Immunsuppression muss lebenslang (für die Dauer des Transplantates) eingenommen werden, um eine Abstoßung zu verhindern. Dabei handelt es sich meist um eine Kombination aus drei Medikamenten. „Ebenso wie an anderen Transplantzentren laufen auch am AKH Studien zur Toleranzinduktion. Wir hoffen, für geeignete Patienten in Zukunft andere Alternativen ohne oder mit stark reduzierter Immunsuppression anbieten zu können“, berichtet Oberbauer. Auch Schneeberger hält bedeutende Veränderungen in naher Zukunft für realistisch. „Für die Transplantation und auch für die Nierentransplantation ist eine komplette Veränderung des gesamten Themengebiets in Sicht mit Organuntersuchung, Organbehandlung und Organverbesserung außerhalb des Körpers“, resümiert Schneeberger. Im Rahmen der Entwicklung der Maschinenperfusion käme dieses Themengebiet langsam in die klinische Realisierung und werde auch die Nierentransplantation wesentlich verändern.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2020