Alkoholkonsum in Österreich: Tendenz rückläufig

10.02.2020 | Medizin

Einen rückläufigen Trend beim Pro-Kopf-Konsum von Alkohol bei Erwachsenen und Jugendlichen beobachten Experten seit einigen Jahren. Ein Anstieg ist hingegen bei den stationär behandelten Patienten zu verzeichnen: Hier ist der Frauenanteil von 22 Prozent im Jahr 1992 auf 31 Prozent im Jahr 2017 angestiegen.
Julia Obruca

Der jährliche Alkohol-Verbrauch hat sich demnach um 25 Prozent von etwa 15 auf zwölf Liter Reinalkohol reduziert; zugleich ist auch die Zahl der alkoholassoziierten Todesfälle im Straßenverkehr gesunken. Und doch konsumieren mehr als 80 Prozent der Österreicher über alle Altersgruppen hinweg mindestens einmal jährlich diese psychoaktive Substanz – diese Ergebnisse präsentierten Priv. Doz. Alfred Uhl und sein Team von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) kürzlich bei einer Vorstellung des „Handbuchs Alkohol“ Ende Jänner in Wien. Die problematische tägliche Konsummenge für Erwachsene liegt laut den Autoren bei 40 Gramm Reinalkohol für Frauen und 60 Gramm für Männer, wodurch sich ein gesundheitsgefährdender Konsum bei jedem siebenten Österreicher ergibt. Männer sind mit 19 Prozent stärker betroffen als Frauen mit neun Prozent.

Julian Strizek, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzzentrum Sucht bei der GÖG, machte auf die Bedeutung psychischer Faktoren und die Notwendigkeit einer integrierten, patientenorientierten Versorgung als „adäquates Mittel zur Suchtbekämpfung“ aufmerksam. „Bei der Behandlung sind primärpräventive Ansätze immer wichtiger geworden und haben die ehemals vorherrschenden moralisierenden Konzepte der Abstinenz-Orientierung abgelöst“, so Strizek. Die multidimensionale Diagnostik und die Finanzierung des Therapieprozesses aus einem Topf verbunden mit der Schadensminimierung einer bereits bestehenden Sucht sei für die Therapie von Drogen- und Alkoholsucht gleichermaßen anzustreben – heißt es im Bericht.

Der gesundheitsgefährdende Alkoholkonsum ab 25 Jahren steigt stetig bis ins hohe Erwachsenenalter und nimmt am Höhepunkt zwischen 50 und 60 Jahren unter anderem aufgrund der hohen Mortalität durch Alkoholabusus wieder ab. 2018 wurde errechnet, dass österreichweit ein Querschnitt von rund vier Prozent ab dem 16. Geburtstag als Alkoholiker im Sinn der ICD-10 zu klassifizieren sind. Diverse Studien der Gesundheit Österreich GmbH ergaben, dass männliche Alkoholiker durchschnittlich im 26. Lebensjahr, weibliche hingegen erst im 34. Lebensjahr der Sucht zum Opfer fallen. Dies führt laut den Herausgebern zu einer Reduktion der Lebenserwartung um 17 Jahre bei Männern und um 20 Jahre bei Frauen. Legt man die Studien auf die Inzidenz um, erkranken demnach 0,13 Prozent jährlich neu an der Alkoholsucht; davon sind 0,07 Prozent Frauen und 0,19 Prozent Männer.

Ein gegenteiliger Trend zeigt sich hingegen bei den stationär behandelten Personen mit der Hauptdiagnose „Alkoholismus“: Hier ist der Frauenanteil von 22 Prozent im Jahr 1992 auf rund 31 Prozent im Jahr 2017 angestiegen.

Alkohol und Arbeitslosigkeit

Wie Uhl vom Kompetenzzentrum Sucht der GÖG bei der Präsentation des „Handbuchs Alkohol“ erklärte, „besteht ein komplexer Zusammenhang zwischen Alkohol und Arbeitslosigkeit, der für viele Betroffene in einer ausweglosen Situation endet.“ Diese führe zu unerwünschten Sekundärfolgen wie einem Umstieg auf minderwertige Billigprodukte oder zur Eigenproduktion von diversen Spirituosen. Außerdem verdeutliche es die Notwendigkeit eines umfassenden Therapiekonzepts unter Berücksichtigung psychischer Faktoren. Dass sich für die Prävention weder die gestiegene Kaufkraft der letzten Jahrzehnte noch steuerliche Maßnahmen als wirksames Mittel erweisen, zeigt u.a. der Absatzrückgang von Alkopops – obwohl auf eine entsprechende Steuer verzichtet wurde.

Neben verschiedenen Zugängen zur Prävention ist europaweit auch der politische Diskurs über Alkohol unterschiedlich und reicht von Restriktionen bis hin zu positiven Konnotationen mit genüsslichem Alkoholkonsum. „Die in Nordeuropa und im angelsächsischen Raum vertretene Alkohlabstinenz steht im Gegensatz zum Alpenbereich und Südeuropa, wo verantwortungsbewusster Konsum positiv konnotiert ist“, so Uhl. Auch die unterschiedlichen Jugendschutz-Bestimmungen – sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene – stellen die Verfasser des Handbuchs vor Herausforderungen, was auf die Dringlichkeit einer Länder-übergreifenden Einheitsregelung hinweise.

Seit dem Jahr 1999 liefert der wissenschaftliche Bericht, der in drei Bänden mit unterschiedlichen Zielsetzungen erscheint, aktuelle Daten und die Entwicklung von langfristigen Trends. Während sich der erste Band mit Statistiken und Berechnungsgrundlagen auseinandersetzt, die jährlich aktualisiert werden, beschäftigt sich der alle zwei Jahre überarbeitete zweite Band mit gesetzlichen Grundlagen. Im dritten Band werden wissenschaftliche Erkenntnisse zur Epidemiologie des Alkoholkonsums in Österreich erläutert und Grundlagen, Methoden und Konzepte zu ausgewählten Themen rund um den Alkoholkonsum behandelt. Das Spezielle am „Handbuch Alkohol – Österreich“ sei laut Strizek, dass „die Einbettung in längerfristige Trends, die Kontextualisierung von Einzelergebnissen und die Bereitstellung und Transparenz von möglichst vielen methodischen Hintergründen das Verständnis für dieses Thema erhöht“. ◉

 


Die Fakten:

• Mehr als 80 Prozent der Österreicher konsumieren zumindest einmal jährlich Alkohol.
• Der durchschnittliche Tageskonsum der 15- bis 99-Jährigen stieg von 1955 bis 1973 kontinuierlich auf den Maximalwert von 33,7g Alkohol an. Seit 1993 ist beständig ein rückläufiger Trend zu beobachten.
• 80 Prozent der Österreicher konsumieren hauptsächlich Wein oder Bier.
• 88 Prozent aller Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren haben bereits einmal Alkohol getrunken.
• Als problematische tägliche Konsummenge für Erwachsene gelten in Österreich 40 Gramm Reinalkohol für Frauen beziehungsweise 60 Gramm für Männer. Etwa 19 Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen konsumieren mehr.
• Der gesundheitsgefährdende Alkoholkonsum steigt ab 25 bis 29 Jahren stetig an und nimmt am Höhepunkt zwischen 50 und 60 Jahren unter anderem aufgrund der hohen Mortalität durch Alkoholabusus wieder ab.
• Rund vier Prozent der Österreicher ab dem 16. Geburtstag sind als Alkoholiker im Sinne von ICD-10 zu klassifizieren. (Stand 2018)
• Männer werden durchschnittlich im 26. Lebensjahr, Frauen im 34. Lebensjahr abhängig. Die Folge: eine Reduktion der Lebenserwartung um 17 Jahre bei Männern und um 20 Jahren bei Frauen.
• Alkoholabhängige Männer konsumieren durchschnittlich 226 g Alkohol täglich, Frauen 130 g.
• Alkoholiker konsumieren mehr als ein Drittel des insgesamt in Österreich konsumierten reinen Alkohols.
• Alkoholfreies Bier kommt für die Österreicher als Alternative nicht in Frage: Der Marktanteil lag im Jahr 2017 bei 3,2 Prozent.


 3 Fragen an Michael Musalek

Mangelndes Wissen im Zusammenhang mit Alkohol – etwa dass er in hohen Dosen konsumiert Depressionen auslösen kann – ortet Univ. Prof. Michael Musalek, Leiter des Anton Proksch-Instituts in Wien.

Wo gilt es bei diesem Thema anzusetzen?

Das größte Problem in Österreich ist, dass es kaum ein Problembewusstsein gibt. Alkohol ist weit verbreitet und nur wenige wissen um die Gefahren des Alkohols.

Was genau meinen Sie?


Nur wenige wissen, dass Alkohol in höherer Dosierung Depressionen fördert und auslösen kann. Und gerade bei Jugendlichen hat sich immer noch nicht herumgesprochen, dass es nicht mit dem Leben vereinbar ist, wenn man zu viel Alkohol in zu kurzer Zeit trinkt.

Welche Entwicklungen sind Ihrer Ansicht nach besonders bedenklich?

Zu den bedrohlichsten Entwicklungen in Bezug auf Alkohol zählt mitunter das hochdosierte Konsumieren von Alkohol, das früher nicht so massiv verbreitet war. Es gibt den eher nördlichen, skandinavischen oder auch den anglikanischen Alkoholkonsumstil, bei dem man selten aber hochdosiert Alkohol zu sich nimmt. Davon unterscheidet man den eher südländischen Konsumtyp, bei dem man zwar regelmäßig Alkohol trinkt, aber nicht in hohen Dosierungen und nicht mit dem Ziel, sich damit zu berauschen. Das Bedrohliche in Österreich ist, dass hier beides gleichzeitig gemacht wird.


 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2020