Schwer­punkt Neu­ro­lo­gie: Insult­pro­phy­laxe: Schlech­tere Pro­gnose beim Rezidiv

25.05.2020 | Medizin


Bei circa jedem sechs­ten Insult han­delt es sich um ein Rezi­div, wobei erschwe­rend hin­zu­kommt, dass das Out­come im Ver­gleich zum Pri­mär­ereig­nis schlech­ter ist und mit einer höhe­ren Wahr­schein­lich­keit Behin­de­run­gen zurückbleiben.

Der Rezi­div-Insult wäre ein außer­or­dent­lich sel­te­nes Ereig­nis, wenn man die Emp­feh­lun­gen für die Sekun­där­prä­ven­tion punkt­ge­nau ein­hal­ten würde“, erklärt Univ. Prof. Ste­fan Kiechl von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Neu­ro­lo­gie in Inns­bruck. Die Rea­li­tät sieht bis­lang jedoch anders aus: Jeder sechste Schlag­an­fall ist ein Rezi­div. In vie­len Fäl­len sind die Pati­en­ten kurz­fris­tig gut ein­ge­stellt, jedoch wer­den Grenz­werte lang­fris­tig nicht ein­ge­hal­ten, was das Auf­tre­ten eines sekun­dä­ren Ereig­nis­ses begüns­tigt. Beim zwei­ten Schlag­an­fall kommt erschwe­rend hinzu, dass das Out­come im Ver­gleich zum Pri­mär­ereig­nis schlech­ter ist, die Fol­gen ein­schnei­den­der sind und mit einer höhe­ren Wahr­schein­lich­keit Behin­de­run­gen zurück­blei­ben. „Ins­ge­samt haben circa 15 Pro­zent der Pati­en­ten wie­der­holte Ereig­nisse, wobei sich das Rezi­div­ri­siko durch die sich ver­bes­sern­den medi­ka­men­tö­sen und Lebens­stil-asso­zi­ier­ten Maß­nah­men zuneh­mend ver­rin­gert“, betont Univ. Prof. Wil­fried Lang von der Abtei­lung für Neu­ro­lo­gie und neu­ro­lo­gi­sche Früh­re­ha­bi­li­ta­tion des Kran­ken­hau­ses der Barm­her­zi­gen Brü­der Wien. Das Rezi­div­ri­siko hängt vor allem von der Ursa­che des ers­ten Schlag­an­falls ab und lässt sich für jeden Pati­en­ten indi­vi­du­ell berechnen.

Unter­schie­den wer­den dabei die fol­gen­den Ursachengruppen:

  1. die kar­dia­len Ursa­chen, zu denen auch die para­doxe Embo­lie und als häu­figste Ursa­che das Vor­hof­flim­mern gehört; 
  2. die Arte­rio­skle­rose in den hirn­zu­füh­ren­den Gefä­ßen, die im Aor­ten­bo­gen beginnt und bis in die intra­kra­ni­ellen Gefäße rei­chen kann;
  3. Mikro­an­gio­pa­thien;
  4. die Gruppe der sel­te­nen Ursa­chen, die Gefäß­ein­risse, ent­zünd­li­che Gefäß­er­kran­kun­gen oder auch Erkran­kun­gen des blut­bil­den­den Sys­tems ein­schließt sowie 
  5. der kryp­to­gene Schlag­an­fall, der die große Gruppe von Pati­en­ten umfasst, bei denen die Abklä­rung trotz umfang­rei­cher Unter­su­chun­gen nicht kon­klu­siv ist.

Je nach Ursa­che des ers­ten Schlag­an­falls gibt es Per­so­nen­grup­pen mit einem beson­ders hohen (fünf bis zehn Pro­zent pro Jahr) oder eher nied­ri­gen Rezi­div­ri­siko (etwa ein Pro­zent pro Jahr). „Beson­ders hoch ist das Risiko, wenn Vor­hof­flim­mern die Ursa­che ist, wobei hier sehr gute Medi­ka­mente ver­füg­bar sind, die das Risiko stark sen­ken kön­nen“, so Kiechl. Ähn­lich sieht es aus, wenn eine Caro­tiss­tenose oder andere ver­engte Hirn­ge­fäße ursäch­lich sind. Ein nied­ri­ges Risiko für ein Sekun­där­ereig­nis von unge­fähr einem Pro­zent pro Jahr besteht hin­ge­gen nach einer para­do­xen Embo­lie durch ein offe­nes Fora­men ovale. Zu beden­ken ist Kiechl zufolge, dass Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten nicht nur ein erhöh­tes Risiko für einen wei­te­ren Schlag­an­fall haben, son­dern auch für alle ande­ren Gefäß­er­kran­kun­gen wie zum Bei­spiel für einen Herz­in­farkt oder Gefäß­ver­schlüsse am Bein.

Drei Monate entscheiden

„Die The­ra­pie ist maß­ge­schnei­dert auf die Ätio­lo­gie des Schlag­an­falls“, fasst Kiechl die Vor­gangs­weise zusam­men. So ist die Ope­ra­tion im Fall einer Caro­tiss­tenose immer noch die beste The­ra­pie­op­tion, in man­chen Fäl­len auch die Implan­ta­tion eines Stents.

Bei Vor­hof­flim­mern ist laut Lang die orale Anti­ko­agu­la­tion indi­ziert, ansons­ten die Gabe eines Throm­bo­zy­ten­funk­ti­ons­hem­mers. Bei TI oder einem ischä­mi­schen Schlag­an­fall mit gerin­ger Sym­pto­ma­tik wird eine duale Throm­bo­zy­ten­funk­ti­ons­hem­mung (Ace­tyl­sa­li­cyl­säure und Clo­p­i­do­grel) gege­ben, wenn das Rezi­div-Risiko als hoch ein­ge­schätzt wird. Die Dauer der dua­len Plätt­chen­hem­mung ist ver­schie­den und liegt zwi­schen drei Wochen und drei Mona­ten, zum Bei­spiel bei sym­pto­ma­ti­schen intra­kra­ni­ellen Steno­sen. Der Nut­zen der dua­len Plätt­chen­hem­mung ist in den ers­ten Tagen/​Wochen nach dem Ereig­nis am größten.

Bei den meis­ten Insul­ten reicht jedoch die medi­ka­men­töse Prä­ven­tion aus; sie umfasst in Ana­lo­gie zum Myo­kard­in­farkt stan­dard­mä­ßig beim leich­ten Schlag­an­fall die dop­pelte Plätt­chen­hem­mung. Diese beson­ders inten­sive The­ra­pie ist kurz nach dem ers­ten Ereig­nis essen­ti­ell. „Zwei Throm­bo­zy­ten­funk­ti­ons­hem­mer wer­den für kurze Zeit zusam­men ein­ge­setzt, da die ers­ten drei Monate nach einem cere­bro­vas­ku­lä­ren Ereig­nis beson­ders kri­tisch sind“, erklärt Lang. Das Risiko ist des­we­gen am höchs­ten, weil die Ursa­che, die zum ers­ten Schlag­an­fall geführt hat, in der Regel noch vor­han­den ist und die The­ra­pie für ihre Wir­kung eine bestimmte Zeit braucht. Danach nimmt das Rezi­div­ri­siko mit der Zeit ten­den­ti­ell ab. Die Sekun­där­prä­ven­tion besteht im Wesent­li­chen aus der anti­throm­bo­ti­schen The­ra­pie mit ora­len Anti­ko­agu­lan­tien oder Thrombozytenfunktionshemmern.

Wei­tere wich­tige Maß­nah­men umfas­sen laut Kiechl eine hoch­do­sierte The­ra­pie mit Sta­ti­nen, um das LDL-Cho­le­ste­rin auf 70 mg/​dl zu sen­ken, eine effek­tive Blut­druck­sen­kung auf 130/​85 mmHg und eine gute Blut­zu­cker­ein­stel­lung. Dazu kom­men Lebens­stil­as­so­zi­ierte Fak­to­ren wie Niko­tin­abs­ti­nenz, aus­rei­chend Bewe­gung und eine gesunde Ernäh­rung. Auch wenn sich die Emp­feh­lun­gen hin­sicht­lich der gesun­den Ernäh­rung im Laufe der Jahre ver­än­dert haben, besteht an den fol­gen­den Inhal­ten kein Zwei­fel: die Reduk­tion der Koch­salz­zu­fuhr, das Ver­mei­den von über­schüs­si­gen Kalo­rien, gro­ßen Men­gen von Zucker und ande­ren Süß­stof­fen, über­mä­ßi­gem Alko­hol­kon­sum und gesät­tig­ten Fet­ten. „Emp­foh­len wird grund­sätz­lich die medi­ter­rane Kost, bei der mehr pflanz­li­che Öle anstatt tie­ri­scher Fette, weni­ger Fleisch und mehr Obst, Gemüse und Fisch ver­zehrt wird“, fasst Lang zusammen.

Sys­te­ma­ti­sche Nachsorge

„Wir wis­sen, dass man sehr viele Rezi­div-Ereig­nisse ver­hin­dern könnte, aber unser Wis­sen ist ein­fach noch nicht opti­mal umge­setzt“, weiß Lang. So sehen sich die Pati­en­ten und ihre Ange­hö­ri­gen nach einem ers­ten Schlag­an­fall mit einer Fülle von Infor­ma­tio­nen kon­fron­tiert. Um ins­be­son­dere die ers­ten kri­ti­schen Wochen zu über­win­den, müs­sen viele Maß­nah­men gesetzt wer­den. In einer gemein­sa­men Stu­die der Uni­ver­si­täts­kli­nik Inns­bruck und des Kran­ken­hau­ses der Barm­her­zi­gen Brü­der Wien hat sich gezeigt, wie „unglaub­lich wich­tig es ist, dass die Pati­en­ten nach drei Mona­ten noch ein­mal kom­men, und mit ihrem Team, das sie betreut hat und das auch alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen kennt, alles noch ein­mal opti­mie­ren“, fasst Lang zusam­men. Neben der Kon­trolle von Risi­ko­fak­to­ren und ande­rer mess­ba­rer Para­me­ter, die den The­ra­pie­fort­schritt betref­fen, haben sich auch soziale Fra­ge­stel­lun­gen als bedeu­tend her­aus­ge­stellt: Wie kom­men die Pati­en­ten mit der Reha­bi­li­ta­tion zurecht? Benö­ti­gen sie exter­nes Pfle­ge­per­so­nal? Wel­che psy­cho­so­zia­len Fol­gen haben sich durch das Ereig­nis im Nach­hin­ein erge­ben (zum Bei­spiel Depres­sio­nen)? Wel­che phy­sio­lo­gi­schen Fol­gen sind für die Pati­en­ten von Bedeu­tung (Sturz­fol­gen, Gelenk­schmer­zen, Spas­tik). Laut Lang kann ein ent­spre­chen­des Dise­ase-Manage­ment mit wenig zusätz­li­chen Kon­tak­ten zum Pati­en­ten einen gro­ßen Effekt haben.

Wäh­rend für Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten bis­lang kein öster­reich­wei­tes sys­te­ma­ti­sches Nach­sor­ge­pro­gramm exis­tiert, umfasst das Stan­dard­vor­ge­hen bei Herz­in­farkt­pa­ti­en­ten den anschlie­ßen­den Reha-Auf­ent­halt und die sechs­mo­na­tige Kon­trolle beim Kar­dio­lo­gen mit Über­prü­fung der rele­van­ten Para­me­ter und Risi­ko­fak­to­ren und einer even­tu­el­len Nach­jus­tie­rung. „Ver­gleich­bare Nach­sor­ge­pro­gramme für Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten sind der­zeit im Auf­bau und soll­ten die Situa­tion in abseh­ba­rer Zeit hof­fent­lich deut­lich ver­bes­sern“, resü­miert Kiechl. (LS)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2020